
79-Jähriger soll Callcenter-Mitarbeiter arbeitsunfähig gepfiffen haben – Freispruch
Anrufe von Callcentern können nervig sein – wer hat sich nicht schon aufgeregt, wenn ihm die nette Dame oder der freundliche Herr am Telefon eine neue Versicherung verkaufen oder ein anderes Handyabo aufschwatzen will. Auch ein Stern im Telefonbuch, der deutlich macht, dass Werbeanrufe auf dieser Nummer unerwünscht sind, schützt nicht in jedem Fall. Und auch Sperrlisten mit Callcenter-Nummern und Apps vermögen nicht alle lästigen Anrufe zu blockieren. Zudem sind die Möglichkeiten, juristisch gegen Betreiber vorzugehen, die oft vom Ausland aus operieren, beschränkt.
Deshalb kann die Reaktion von Leuten, die Opfer dieser unerwünschten Anrufe werden, bisweilen heftig ausfallen. Einfach den Hörer aufzulegen oder das Gespräch zu beenden, ist noch die mildeste Variante. Daneben kommt es auch vor, dass Callcenter-Mitarbeiter beschimpft oder beleidigt werden. Doch die Reaktion von Fritz (79, Name geändert) war weitaus heftiger, und sie brachte ihn gestern Mittwoch vor das Bezirksgericht Bremgarten.
Verärgert über Werbeanruf
Bei Fritz klingelte eines Abends im Frühling 2015 das Telefon, der Anrufer stellte sich als Mitarbeiter eines Callcenters vor. Ob er Fritz ein paar Fragen zu einer Marktforschungsumfrage stellen dürfe, wollte der Mann wissen. Fritz reagierte verärgert und sagte dem Callcenter-Mitarbeiter, er habe Feierabend und wolle nicht durch solche Anrufe gestört werden.
Darauf sagte dieser, er werde dafür sorgen, dass die Telefonnummer von Fritz aus der Liste gelöscht werde und er keine unerwünschten Anrufe mehr erhalte. Zugleich erkundigte sich der Callcenter-Mitarbeiter, ob vielleicht eine andere Person im Haushalt bereit wäre, einige Fragen zur Marktforschungsumfrage zu beantworten. Fritz regte sich fürchterlich darüber auf und «pfiff über mehrere Sekunden laut ins Telefon», wie es im Strafbefehl der Staatsanwaltschaft heisst.
Mitarbeiter erlitt Gehörschaden
Was harmlos und fast erheiternd klingt, hatte für den Callcenter-Angestellten am anderen Ende der Leitung gravierende Folgen. Das laute Pfeifen von Fritz führte bei dem Mann zu einer Gehörverletzung. Der Callcenter-Mitarbeiter war über einen Monat arbeitsunfähig, kann nicht mehr mit Kopfhörern arbeiten und musste seine Stelle kündigen. Auf dessen Anzeige hin verurteilte die zuständige Staatsanwaltschaft Fritz mittels Strafbefehl zu einer bedingten Geldstrafe von 6000 Franken sowie einer Busse von 1500 Franken.
Dies akzeptierte der Senior nicht, so kam es zur Gerichtsverhandlung. Dort nahm Fritz neben seinem Anwalt Platz und legte schon bei der Begrüssung durch Einzelrichter Peter Thurnherr die Hand ans Ohr. «Ich habe seit 16 Jahren ein Hörgerät, aber trotzdem Probleme», sagte Fritz, als der Gerichtspräsident von ihm wissen wollte, ob er ihn verstanden habe. Darauf wies Thurnherr den Beschuldigten an, mit dem Stuhl für die Befragung weiter nach vorne zu rücken. Fritz tat dies, machte jedoch gleich klar, dass er selber keine Fragen beantworten, sondern seinen Rechtsanwalt reden lassen wolle.
Anwalt beantragt Freispruch
Dieser zog in seinem Plädoyer das Arztzeugnis in Zweifel, welches dem Callcenter-Angestellten einen Gehörschaden attestierte. Das Zeugnis sei ein einseitiges Parteigutachten, ausserdem zu spät erstellt und rückdatiert worden, kritisierte er. Zudem habe sich das angebliche Opfer erst nach rund drei Wochen bei einem Arzt gemeldet. Ausserdem sei gar nicht klar, ob überhaupt Fritz derjenige sei, der laut ins Telefon gepfiffen habe. Der Callcenter-Mitarbeiter habe nur einen ungefähren Zeitraum von 15 Minuten angeben können, in dem aber fünf Anrufe stattfanden. Ausserdem habe das Opfer die Stimme von Fritz gar nicht wiedererkannt, dieser müsse also gemäss dem Grundsatz «im Zweifel für den Angeklagten» vom Gericht freigesprochen werden.
Einzelrichter Thurnherr sagte, es sei durchaus normal und nachvollziehbar, dass der Betroffene eine gewisse Zeit gewartet habe, ob die Gehörprobleme wieder verschwinden würden, bevor er zum Arzt gegangen sei. Auch die festgestellten Beeinträchtigungen seine keine Lappalien, das laute Pfeifen am Telefon kein Lausbubenstreich, sondern eine ernsthafte Schädigung für das Opfer.
Wer dem Callcenter-Mitarbeiter aber überlaut ins Ohr gepfiffen hat, konnte auch das Gericht nicht sicher feststellen. Von den fünf Personen, welche der Mann damals angerufen hatte, liessen sich zwei ausschliessen: Eine Frau und ein Mann, der nur gebrochen Deutsch sprach. «Von den übrigen drei könnte es jeder gewesen sein, und weil sich nicht sagen lässt, wer es tatsächlich war, muss ein Freispruch erfolgen.»