Alterspodium: Die Wunderwaffe und das blaue Wunder mit der SVP

«Ich kenne Frau Widmer nur aus der Zeitung», sagte Recycling-Unternehmerin und SVP-Grossrätin Karin Bärtschi (27). «Ich kenne Frau Bärtschi auch aus der Zeitung», gab alt Bundesrätin und Pro-Senectute-Präsidentin Eveline Widmer-Schlumpf (61) zurück. Die zwei Frauen signalisierten gleich zu Beginn der Podiumsdiskussion am Samstag im Kultur- und Kongresshaus in Aarau, dass sie nicht nur 34 Lebensjahre trennt. TV-Profi Reto Brennwald, der das Podium «Älter werden – Fluch oder Segen?» moderierte, nannte Bärtschi mit Bezug auf Titulierungen in Medien «die Wunderwaffe der SVP». «Während Sie, Frau Widmer, ja eher ihr blaues Wunder mit der SVP erlebt haben.»

Über Politik wollte Widmer-Schlumpf eigentlich gar nicht reden, schon gar nicht über die gescheiterte Altersreform, weil sie mit ihrem Ja-Plädoyer im Vorfeld der Abstimmung Kritik ausgelöst hatte. Doch Bärtschi nahm sich schon vor der Podiumsdiskussion vor, die alt Bundesrätin dann schon noch darauf anzusprechen. Und prompt sagte sie im Scheinwerferlicht: Es gebe alt Bundesräte, die sich aktiv zur Politik äusserten, auch Frau Widmer gehöre dazu. Sie fände das nicht gut.

Ich habe ein liebes Mami, aber …
Das liess der Angesprochenen keine andere Wahl, als sich doch noch zu erklären: Sie habe als Pro-Senectute-Präsidentin Stellung genommen, nicht als alt Bundesrätin. «Es ist legitim, sich in dieser Funktion zu äussern.» Die Pro Senectute habe sich schon 2014 zur Vorlage positioniert. Das habe man dann weitergezogen bis zur Abstimmung.

Lieber als über zähe Alterspolitik wollte Moderator Brennwald über die persönlichen Erfahrungen des Altwerdens reden. «Ich habe einen gelassenen Umgang mit dem Alter», sagte Widmer-Schlumpf. Und Alter sei ohnehin relativ. Beim Aufräumen habe sie kürzlich einen Aufsatz entdeckt, den sie als 10-jähriges Mädchen geschrieben habe. Dort stand: «Ich habe ein sehr liebes Mami; schade, dass sie schon so alt ist.» 37 war ihre Mutter damals notabene. Jetzt erlebe sie Ähnliches umgekehrt. Ihr sechsjähriger Enkel habe ihr kürzlich gesagt: «Gell Nonna, du magsch jetzt au nüme so alles mache.» Auch Widmer-Schlumpf hatte eine intensive Beziehung zu ihrer Grossmutter. Von ihr habe sie vor allem Bodenhaftigkeit und Gelassenheit gelernt.

Müllprinzessin statt Militärpilotin
Bärtschi hat als 27-Jährige selbstredend einen anderen Zugang zum Alter: «Ich gehe jetzt langsam auf die 30 zu. Und akzeptiere das», kokettierte die SVP-Politikerin. Sie müsse zugeben: Sie denke jetzt noch nicht so wirklich ans Altwerden.

Auch Bärtschi hatte ein enges Verhältnis zu ihren Grosseltern. Ihr Grossvater habe sie oft mit dem Auto in den Kindergarten im Nachbardorf gefahren, wo er gearbeitet habe. Und er war es auch, der die Basis für ihre junge Unternehmenskarriere gelegt hatte. «Er war ständig mit seinem Lastwagen unterwegs und hat alte Sachen und Müll eingesammelt.» Nachdem sie es nicht zu ihrem Traumberuf Militärpilotin schaffte, habe ihr Vater ihr angeboten, ins Recycling-Unternehmen einzusteigen. «Und so hatte ich schon mit 19 als kleine Müll-Prinzessin meinen eigenen Bereich in der Firma.»

Jetzt ist Karin Bärtschi Chefin, der Vater aber immer noch im Unternehmen. «Er hat lernen müssen, dass ich nicht alles gleich mache wie er. Ihr Vater fände zum Beispiel Dekoration und Musik in der Recyclinganlage überflüssig, aber habe es mittlerweile akzeptiert. «So eine Ablösung ist ein Prozess, das geht nicht von heute auf morgen.»

«Ich kann gut loslassen», sagte die vierfache Grossmutter Eveline Widmer-Schlumpf von sich selber. «Ich habe meinen Kindern immer gesagt: Fragt nicht, ob ihr dies oder das hättet anders machen sollen. Das ist sinnlos.»

Die Kunst des Loslassens
Loslassen können und sich nicht überall einmischen ist aber nicht nur ein Thema für die Alten gegenüber den Jungen, sondern auch umgekehrt. Bärtschi erzählte von ihrer Grossmutter, die fast nichts mehr essen wollte. Zuerst habe sie sich dafür verantwortlich gefühlt, dass ihre Grossmutter zunehme und ihr beim Kochen extra mehr Butter in die Teigwaren gegeben oder etwas mehr Rahm untergemischt. «Aber ich musste einsehen, dass meine Grossmutter so lebt, wie sie will.»

Schliesslich kam auch das Unvermeidbare zur Sprache: der Tod. Widmer-Schlumpf erzählt von ihrem Vater (alt Bundesrat Leon Schlumpf). Er sei bis zum Schluss vital gewesen. Ihre Mutter dagegen habe sich fast nicht mehr bewegen können. Aber jeder empfinde sein Schicksal anders. Ihre Mutter habe gesagt: «Ich hatte ein so schönes Leben, das jetzt gehört auch dazu. Das Leben so nehmen, wie es ist, ist eine Kunst.»