Kaum die Hälfte der Hilfsgelder wird wohl benötigt – kommt die Aargauer Wirtschaft mit einem blauen Auge davon?

111 Millionen Franken hatte der Grosse Rat Anfang Januar per Nachtragskredit für die Covid-19-Finanzhilfen zur Verfügung gestellt. Der Kredit war nicht viel mehr als eine grobe Schätzung, wurde er doch zu einer Zeit gesprochen, in der unklar war, wie lange die Krise dauern und wie viel sie die Wirtschaft kosten würde. Finanzdirektor Markus Dieth sagte damals: «Falls nötig, werde man den Betrag im Sommer aufstocken.»

Das wird nun wohl nicht nötig sein. Aller Voraussicht nach wird man nicht einmal die Hälfte der 111 Millionen Franken brauchen. Der Kanton Aargau rechnet aktuell mit Netto-Ausgaben von 50 Millionen Franken. Das hat verschiedene Gründe:

Zum einen hat der Bund seinen Anteil aufgestockt. Statt 25 Prozent der gesamten Ausgaben muss der Kanton «nur» noch 20 Prozent übernehmen.

Kaum Gesuche von Firmen mit grossem Umsatzrückgang

Zum anderen wurden auch deutlich weniger Gesuche gestellt, als der Aargau geschätzt hatte. Der Kanton rechnet mit etwa 2500 Gesuchen bis zum Abschluss des Härtefallprogramms – Anfang März ging er noch von rund 5800 aus. Es gab insbesondere kaum Gesuche von Firmen, die grossen Umsatzrückgang (höher als 40 Prozent) geltend gemacht hätten – 400 statt der erwarteten 2400 Gesuche gingen ein.

Und auch Zulieferer von geschlossenen Betrieben nutzten die Finanzhilfe, die extra für sie geschaffen wurde, kaum: 30 statt der erwarteten 1000 Gesuche gingen ein.

Aber auch die Kurzarbeitsgelder oder der Erwerbsersatz hätten ihren Zweck erfüllt und so dazu beigetragen, dass nur verhältnismässig wenig kantonale Finanzhilfen in Anspruch genommen wurden, sagt Sandra Olar vom Departement Volkswirtschaft und Inneres. «Im Weiteren kam die aargauische Wirtschaft bisher vergleichsweise gut durch die Pandemie.»

Kreditbetrüger überlasten Staatsanwaltschaft

Im Frühling 2020 konnten Betriebe wegen der Pandemie Hilfe beantragen. Und zwar in Form eines zinslosen Kredits. So sollte das Überleben der Firma sichergestellt werden. Für den Kredit bürgte der Bund. Es gab Auflagen: Nur Firmen, die besonders unter der Pandemie litten, hatten Anspruch. Das Geld durfte nur für laufende Kosten verwendet werden. Und es gab zehn Prozent des Umsatzes.

Das Problem: Manche Firmen brauchten das Geld sehr schnell. So wurden die Kredite oft gesprochen, ohne die Gesuche wirklich zu prüfen. Das wussten auch viele Firmeninhaber. In 88 Fällen im Aargau stellte sich heraus, dass Firmen Kredite beantragten und bekamen, die gar keinen Anspruch gehabt hätten. Es geht um eine Deliktsumme von rund 11,5 Millionen Franken. Das sind so viele Strafverfahren, dass Staatsanwaltschaft und Polizei zusätzliche Stellen beantragen werden, um mit der Arbeit hinterherzukommen. Wie viele, ist noch unbekannt. Der Grosse Rat wird im Herbst über den Antrag entscheiden.

Schweizweit haben über 1000 Firmen die Covid-19-Kredite missbraucht. Sie haben so 141 Millionen Franken zu Unrecht bekommen.

 

Aufgrund seiner Grösse ist der Aargau einer der Kantone mit den meisten offenen Verfahren wegen Kreditbetrugs. Nur Zürich, der Waadt, das Tessin und Genf haben mehr. Interessant: Sowohl Genf als auch das Tessin sind deutlich kleiner als der Aargau – haben trotzdem mehr Fälle. Auf der anderen Seite hat der Kanton Bern, obwohl er einiges grösser ist als der Aargau, weniger offene Fälle.

Gegen die Betrügerinnen wurden Strafverfahren eröffnet. In den meisten noch offenen Fällen hatten die Firmeninhaber das Geld nicht für laufende Kosten ausgegeben (siehe unten «Kreditverwendung»). Oftmals wurde auch ein zu hoher Umsatz angegeben, um einen höheren Kredit zu bekommen. Es gab aber auch Firmen, die mehrere Kredite aufs Mal beantragten, beim Gründungsdatum ihres Unternehmens schummelten oder aber das Geld für ein Konkursverfahren verwendeten.

Einen der grössten Einzelfälle von Covid-19-Kreditbetrug beging der Inhaber der Praxis-Kette «Mein Arzt». Er hatte viel zu hohe Umsatzzahlen angegeben und so 4,3 Millionen Franken erhalten – zu Gute gehabt hätte er rund 800’000 Franken. Mit dem Geld versuchte er, seine serbelnde Firma zu retten. Vom Bezirksgericht Bülach wurde der Mann schuldig gesprochen und verurteilt. Er muss einen Grossteil des Geldes zurückzahlen und zehn Monate ins Gefängnis.

Häufigste Missbrauchsarten (schweizweit)

Missbrauchsart Anzahl offener Fälle
Kreditverwendung 612
Umsatzangabe 135
Mehrfachanträge 85
Kreditverwendung Dividenden 17
In Konkurs 16
Gründungsdatum 12
Andere 191
Total 1068
Quelle: Eidgenössisches Finanzdepartement

Bei kantonalen Finanzhilfen wird genauer hingeschaut

Nach der ersten Phase der Krise mit den Krediten bekamen die Firmen später weitere Unterstützung, sogenannte Härtefallhilfen. Im Aargau sind das Liquiditätshilfen und Fixkostenbeiträge.

Bei diesen Finanzhilfen wurde von Anfang an genauer hingeschaut. Sandra Olar vom Departement Volkswirtschaft und Inneres:

«Bei der Prüfung der Gesuche wird seit Beginn der Finanzhilfen sichergestellt, dass die gesetzlichen Anforderungen des Bundes und des Kantons eingehalten werden.»

Rund 3000 Gesuche um Härtefallhilfen wurden bisher gestellt, 2000 davon sind bewilligt. 500 wurden abgelehnt und 500 sind noch in Bearbeitung. Knapp 130 Millionen Franken, die nicht zurückbezahlt werden müssen, hat der Aargau ausbezahlt. Und rund elf Millionen Franken Kreditausfallgarantien hat er gesprochen.

Im März wurde etwa jedes fünfte Härtefallgesuch abgelehnt, mittlerweile ist die Quote leicht tiefer. Am häufigsten wurden Liquiditätshilfen abgelehnt. Zum einen, weil dort die Anforderungen höher sind. Es wurden aber auch Gesuche von Firmen abgelehnt, die überschuldet waren, offene Betreibungen oder keine Zukunftsaussichten hatten, schreibt Olar.

Es hatten zudem Firmen Gesuche um Fixkostenbeiträge gestellt, die gar nicht geschlossen waren. Auch diese wurden abgelehnt – oder aber sie haben einen neuen Antrag gestellt, dieses Mal für die richtige Finanzhilfe.

Trotz der Kontrollen bei der Vergabe dieser Gelder: Ab dem Herbst werden die ausgezahlten Gelder stichprobenartig kontrolliert. Olar: «Wird dabei festgestellt, dass zu Unrecht Beiträge gewährt oder zu hohe Mittel ausgerichtet wurden, werden diese zurückgefordert.»

Liquiditätshilfen und Fixkostenbeiträge: Das steckt dahinter

Liquiditätshilfen

Unternehmen mit einem Umsatzrückgang von mindestens 25 Prozent bekommen finanzielle Unterstützung. Je nach Unternehmensgrösse und Umsatzrückgang sind das Kredite oder Beträge, die nicht zurückbezahlt werden müssen.

Fixkostenbeiträge

Betriebe, die behördlich geschlossen wurden, Zulieferer von geschlossenen Betrieben sowie Firmen mit einem Umsatzrückgang von mindestens 40 Prozent haben Anspruch auf Fixkostenbeiträge. Das ist ein gedeckelter Betrag, der nicht zurückbezahlt werden muss und die laufenden Kosten wie Strom und Miete decken soll. Je nach Branche ist der Betrag unterschiedlich hoch.