«Druck auf Pflegepersonal ist kontraproduktiv»: Das sind die Aargauer Reaktionen auf Bersets Impfmuffel-Vorwurf

Arg hat das Image der Alters- und Pflegeheime durch die Coronagrossausbrüche gelitten. So auch im Kanton Aargau. Und nun, da sich die leeren Betten in den Aargauer Heimen langsam wieder füllen, kommt die Kritik von Bundesrat Berset zu einem heiklen Zeitpunkt: Es gebe ein «gröberes Problem» in den Alters- und Pflegeheimen. Die Impfbereitschaft beim Personal sei zu tief, kritisierte der Bundesrat.

Was sagen die Aargauer Alters- und Pflegeheime und die Spitex zu Bersets Vorwürfen?

Der Tenor lautet klar: Die Kritik sei so nicht gerechtfertigt. André Rotzetter, Präsident des Verbandes der Aargauer Pflegeinstitutionen und Geschäftsführer zweier Altersheime in Frick und Laufenburg, meint: «Ich verstehe die ganze Aufregung nicht. Das Pflegepersonal nahm und nimmt während der Pandemie seine Verantwortung wahr.»

Ältere Pflegeangestellte sind impffreudiger als jüngere

Grossrat André Rotzetter, Präsident des Verbandes der Aargauer Pflegeinstitutionen und Geschäftsführer zweier Altersheime in Frick und Laufenburg.

Grossrat André Rotzetter, Präsident des Verbandes der Aargauer Pflegeinstitutionen und Geschäftsführer zweier Altersheime in Frick und Laufenburg.

Alex Spichale

In den Zentren Frick und Laufenburg seien rund zwei Drittel des Personals geimpft. «Das ist eine relativ hohe Quote», findet Rotzetter. Und weist darauf hin, dass sich jetzt viele anfänglich Skeptische zur Impfung anmelden würden: «Die Impfentscheidung ist ein Prozess. Dieser ist noch lange nicht bei allen Ungeimpften abgeschlossen», so Rotzetter.

Ein interessanter Aspekt: Gemäss Rotzetter ist die Impfbereitschaft altersabhängig. «Die älteren Angestellten sind viel impffreudiger als die jüngeren», beobachtet er. Bei jenen, wo die Familienplanung ein aktuelles Thema ist, sei die Skepsis besonders gross: «Bezüglich Impfung und Fruchtbarkeit ist noch vieles unklar, das sagt sogar das BAG.» Pflege-Angestellte hätten – wie alle anderen Personen auch – ein Recht darauf, dieses Risiko nicht eingehen zu wollen.

Geimpfte und Getestete sind teils von der Maskenpflicht befreit

Rotzetter hält regelmässige Tests für eine gleichwertige Alternative zur Impfung. Seit dem 1. Juli gibt es in den Heimen von Frick und Laufenburg denn auch eine Erleichterung für alle Geimpften, Getesteten und Genesenen: Sie sind von der Maskenpflicht befreit.

Max Moor, Geschäftsleiter Spitex Verband Aargau.

Max Moor, Geschäftsleiter Spitex Verband Aargau.

Claudio Thoma

Anders wird das bei der Aargauer Spitex gehandhabt. «Im Klientenkontakt gilt weiterhin eine uneingeschränkte Maskenpflicht», sagt Max Moor, Geschäftsführer des Spitex Verbandes Aargau. «Auch für Geimpfte und Genesene.»

Bei der Impfquote gibt es Luft nach oben

Rund die Hälfte der Aargauer Spitex-Angestellten hätten sich bisher impfen lassen. «Das ist weniger, als man es sich vielleicht wünschen würde. Aber angesichts der grossen Zurückhaltung ist der Wert gar nicht so schlecht», relativiert Moor den Impfmuffel-Vorwurf.

Als Verband habe man immer für die Impfung geworben und auch die Bemühungen unterstützt, dass das Pflegepersonal prioritär geimpft wird. «Natürlich gibt es noch Potenzial, die Impfquote zu steigern», erklärt Moor, «aber das gilt nicht nur für die Pflege, sondern für die ganze Bevölkerung.»

Brigitte Weibel, stellvertretende Geschäftsführerin des Gemeindeverbandes Regionale Alterszentren Bremgarten, Mutschellen, Kelleramt, kann Bersets Kritik ein Stück weit nachvollziehen.« Ich verstehe, dass er die Impfquote möglichst schnell vorantreiben will», sagt sie. Doch die Kritik am Pflegepersonal hält sie für den falschen Ansatz:

«Wenn man jetzt Druck macht, ist das kontraproduktiv.»
Brigitte Weibel, Leiterin Pflege und Betreuung des Gemeindeverbandes Regionale Alterszentren Bremgarten, Mutschellen, Kelleramt.

Brigitte Weibel, Leiterin Pflege und Betreuung des Gemeindeverbandes Regionale Alterszentren Bremgarten, Mutschellen, Kelleramt.

zvg

Man dürfe nicht vergessen, dass die Impfung freiwillig ist: Angesichts der grossen Skepsis hätten sich schon vergleichsweise viele Pflegende impfen lassen. In den Alterszentren Bärenmatte in Bremgarten und Burkertsmatt in Widen sind bereits zwei Drittel der knapp 100 Pflege-Angestellten geimpft. In letzter Zeit sei das Vertrauen gestiegen, berichtet Weibel: «Viele wollten zuerst schauen, wie der Impfbetrieb anläuft. Nun sehen sie, dass die Vorteile der Impfung für die meisten überwiegen.»

In den Alterszentren Bärenmatte und Burkersmatt gilt die Maskenpflicht auch für Geimpfte – ausser im Büro, wo die Abstände gewährleistet sind. Dafür besteht keine Pflicht zu regelmässigem Testen: «Viele unserer Angestellten machen bei den Präventivtests freiwillig mit», erklärt Weibel.

Impf-Prämien sind im Aargau kein Thema

Freiwilligkeit ist das Stichwort: Darin sind sich Rotzetter, Moor und Weibel alle einig. Impf-Anreize wie Prämien halten sie für wenig sinnvoll. André Rotzetter ist überzeugt:

«Damit könnte ich keinen einzigen Angestellten kaufen.»

Stattdessen setze man auf Gespräche und Aufklärung. Und auch Max Moor glaubt: «Wer gegen die Impfung ist, wird sich nicht durch eine Prämie dazu bewegen lassen.»