
Adrian Schmitter, CEO des Kantonsspitals Baden: «Wir sind eineverschworene Truppe»
Adrian Schmitter
Der 62-Jährige ist in Rothrist auf einem Bauernhof aufgewachsen. Er absolvierte ein Agronomiestudium, studierte an den Universitäten Neuenburg und Freiburg Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Seine berufliche Karriere begann bei Suisseporcs, dem Dachverband der Schweizerischen Schweineproduzenten, den er von 1997 bis 2001 als Direktor leitete. Von 2001 bis 2010 war er Generalsekretär im Departement Gesundheit und Soziales des Kantons Aargau, von 2010 bis 2014 Direktor der Regionalspital Emmental AG. Im November 2014 wurde er zum CEO der Kantonsspital Baden ernannt. Schmitter ist verheiratet und Vater von drei Töchtern.
Eigentlich sollte das Interview mit Adrian Schmitter im Park des Kantonsspitals Baden stattfinden. Aber es ist kühl und windig an diesem Sommermorgen. Noch schnell ein Foto auf dem Helikopterlandeplatz, von wo man den Spital-Neubau besonders gut sieht – und dann rein ins Büro für das Gespräch. Der CEO des Kantonsspitals Baden spricht über Corona, seinen Lohn und die Krise am Kantonsspital Aarau. Er beantwortet jede Frage ohne Zögern, als hätte er sich die Antwort schon hundertfach überlegt.
Herr Schmitter, welches war für Sie in der Coronapandemie der emotionalste Moment?
Adrian Schmitter: Noch immer habe ich die Bilder von Patienten in Bauchlage auf unserer Intensivstation im Kopf. Wenn man das live sieht, dann fährt das ein. Ich habe ein gesundes Verständnis für alle, die impfkritisch sind. Weil ich selber auch nicht zu allem Ja und Amen sage. Aber wenn man Menschen so liegen sieht, dann hofft man ganz einfach, dass es so schnell wie möglich ein Mittel gegen Covid gibt. Das haben wir nun dank der Impfung. Emotional fast noch nachhaltiger wirkt bei mir das unglaubliche Engagement unserer Mitarbeitenden nach. Rund 3000 Leute arbeiten hier im KSB, wir sind zusammengerückt, haben uns gegenseitig geholfen und unterstützt. Ein Beispiel: Absenzen gab es viel weniger als sonst. Wir wissen jetzt: Wenn es eine Krise gibt, können wir uns aufeinander verlassen.
Würden Sie bei der Bewältigung der Pandemie aus heutiger Sicht etwas anders machen?
Nein. Ich habe das Gefühl, dass wir die Krise sehr gut bewältigt haben, ohne dass ich dies auf mich münzen würde. Vor allem dank guter Kontakte ins Tessin auf ärztlicher Seite haben wir sehr früh realisiert, was auf uns zukommt. Wir wussten zum Beispiel von Beginn an: Die Patienten nur zu beatmen, das allein genügt nicht, man muss mit weitergehenden Massnahmen, beispielsweise medikamentös, Unterstützung bieten. Auf unserer Intensivstation betrug die Todesfallrate von Covid-Patienten bloss rund zehn Prozent, was einen vergleichsweise sehr tiefen Wert darstellt.
Sind Sie geimpft?
Ja.
Das Kantonsspital Baden gibt die Impfquote der Mitarbeitenden nicht bekannt. Warum nicht? Was gibt es zu verbergen?
Wir haben nichts zu verbergen. Wir haben bereits am 28. Dezember 2020 zu Testzwecken mit Impfungen gestartet. Aber der Bund war damals noch nicht bereit mit der Software, um die Geimpften zu erfassen. Wir kennen daher die detaillierte Zahl nicht. Ich gehe davon aus, dass bei uns aktuell zwei Drittel der Angestellten geimpft sind. Bei der Ärzteschaft ist die Quote sehr hoch, beim nicht-medizinischen Personal noch relativ tief, ungefähr bei 50 Prozent. Dies auch, weil sich noch nicht alle doppelt impfen konnten. Aber es bleibt dabei: Es gibt auch bei uns im Spital impfkritische Leute. Da darf man nicht mit dem Zweihänder reagieren.
Wie wird das Spital umgehen mit Angestellten, die nicht geimpft sind?
Wir werden uns überlegen müssen, ob es spezielle Vorgaben braucht. In der Westschweiz beispielsweise gilt: Wer nicht gegen die Grippe geimpft ist, muss eine Maske tragen und darf nicht auf der Intensivpflegestation arbeiten. Bei uns gibt es solche Vorgaben bisher nicht. Denn sie sind personalrechtlich sehr heikel und wären eine Stigmatisierung. Das möchten wir verhindern.
Wie zufrieden sind Sie mit der Aargauer Coronapolitik?
Wir haben das Glück, einen Gesundheitsdirektor zu haben, der auf die Verantwortlichen der Gesundheitsinstitutionen zugeht, ihnen zuhört und dann entscheidet.
Das müssen Sie jetzt sagen: Jean-Pierre Gallati gehört der SVP an – so wie auch Sie.
Ich würde dasselbe sagen, wenn er in einer anderen Partei wäre. Ich bin in der aktiven Politik nicht mehr tätig, und ich bin open-minded. Die Haltung der SVP betreffend Covid kann für mich als Spitaldirektor manchmal sogar schwierig sein. Herr Gallati hat auch Entscheide gefällt, die in der SVP nicht nur gut ankamen. Fakt ist: Insgesamt hat der Aargau die Krise sehr gut bewältigt, auch im Vergleich mit anderen Kantonen.
Wie sieht Ihr Alltag als CEO aus?
Ich versuche, mich früh am Morgen ein wenig zu bewegen. Um 7 Uhr starte ich, bearbeite E-Mails, täglich sind es rund 150. Zwischen 40 und 60 beinhalten Fragen, in denen ich Stellung beziehen muss. Wir haben wöchentliche Geschäftsleitungssitzungen mit vielen Traktanden, monatliche Verwaltungsratssitzungen. Mit unseren Chefärzten tausche ich mich regelmässig aus, und auch die Kommunikation, das HR und die Unternehmensentwicklung sind mir direkt unterstellt. Hinzu kommen derzeit rund 80 Projekte. Von einem Projekt sprechen wir ab Kosten von 100000 Franken und wenn mehrere Bereiche betroffen sind.
Ihr Salär wird von einem Branchenportal mit 430000 Franken angegeben. Ist dieser Lohn gerechtfertigt?
Ob diese Schätzung zutrifft, sei dahingestellt… Für meinen Lohn muss ich mich nicht rechtfertigen. Ich arbeite rund 70 Stunden pro Woche, der Druck ist sehr hoch, und ich bin und fühle mich verantwortlich für die 3000 Mitarbeitenden. Wir müssen gute Arbeit leisten, sonst gehen Jobs verloren und am Schluss des Tages geht es auch um meinen Kopf. In branchenverwandten Bereichen, etwa bei Krankenkassen, verdienen manche das Doppelte oder Dreifache, obwohl deren Verantwortung nicht mit derjenigen eines Chefarztes oder eines Spital-CEO vergleichbar ist. Ich habe einen intensiven, aber äusserst spannenden Job, der mir viel Spass macht und der angemessen bezahlt ist.
Seinen Kopf hinhalten musste Robert Rhiner, CEO des Kantonsspitals Aarau, der seit Ende Juni nicht mehr im Amt ist. Wie haben Sie die Diskussionen in Aarau erlebt?
Entgegen dem, was man medial mitbekommt oder vielleicht denken könnte, arbeiten das KSA und das KSB in den meisten Bereichen sehr gut zusammen. Wir sind Mitbewerber, das wollen wir auch sein, es tut beiden gut, denn Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft. Ich kenne Robert Rhiner seit Jahren, wir verstehen uns sehr gut. Als ich Generalsekretär im Departement Gesundheit und Soziales war, habe ich ihn als Leiter der Spitalabteilung angestellt. Ich habe eine grosse Achtung vor ihm. Die Arbeit am KSA ist einiges komplexer als meine Arbeit.
Warum?
Die Struktur in Aarau war schon immer ganz anders als in Baden. In Aarau gibt es, flapsig formuliert, «Königreiche», sehr starke einzelne Abteilungen. Diese zu führen und zusammenzubringen, ist enorm schwierig. Schon 2003 gab es am KSA eine grosse Krise. Als Generalsekretär habe ich quasi notfallmässig zusammen mit anderen die Führung übernommen. Wir versuchten, das Spital wieder auf Kurs zu bringen. Die Geschichte wiederholt sich immer wieder. Dort CEO zu sein, ist eine ganz grosse Herausforderung.
Manche finden, es würde Sinn machen, das KSA und das KSB zusammenzuführen.
(energisch) Diese Frage taucht immer wieder auf, schon als ich Generalsekretär war. Viele sehen darin Vorteile, für mich macht es jedoch keinen Sinn. Andere Kantone versuchen es vorzumachen, allerdings mit mässigem Erfolg. Wir vergessen immer wieder, wie gross der Kanton Aargau ist. Wir haben 700 000 Einwohner, sind der viertgrösste Kanton. In Zürich fragt niemand, ob man das Universitätsspital und das Kantonsspital Winterthur oder das Stadtspital Triemli fusionieren soll! Im Aargau haben wir immer das Gefühl, wir wären so klein. Dabei gehört das KSA zu den sieben grössten Spitälern der Schweiz, das KSB liegt ungefähr auf Platz 15. In keinem anderen Kanton würde diskutiert, ob ein Spital wie Baden mit dieser Grösse, dieser Referenz und diesen Erfolgen mit einem anderen Spital zusammengelegt werden soll. Das KSB funktioniert hervorragend. Ich darf sagen: Wir sind ein tolles Spital. Wir wären wahnsinnig froh, wenn die Politik dies anerkennen und auf Gedankenspiele über Zusammenführung verzichten würde. Eine solche Wertschätzung würde uns sehr freuen.
Das KSB sorgt für viel weniger negative Schlagzeilen als das KSA. Wird hier in Baden einfach besser gearbeitet als in Aarau?
Diese Frage kann man mit der Historie erklären: Das KSB hatte schon immer einen besonderen Druck, gut arbeiten zu müssen. In den 1970er-Jahren führte das KSB einen grossen Kampf, um als Kantonsspital akzeptiert zu werden und nicht einfach ein städtisches Spital zu sein. Wir müssen in Baden stets aufs Neue beweisen, dass wir einen guten Job machen. Unter solchen Voraussetzungen führt man das Team viel klarer, als wenn man der Platzhirsch ist und nicht den Druck verspürt, sich immer wieder bestätigen zu müssen. Wir haben in Baden klare Führungsstrukturen. Wenn ich in den sieben Jahren hier etwas erreicht habe, dann dies: Wir führen in Teams und sind eine verschworene Truppe. Das ist sehr motivierend.
Die Leserschaft des Branchenportals «Medinside» wählte Sie zu einer der drei bedeutendsten Persönlichkeit im Schweizer Gesundheitswesen des Jahres 2020. Was bedeutet Ihnen das?
Nicht wahnsinnig viel. Bei der nächsten Umfrage käme es vielleicht anders heraus. Das Resultat hat auch damit zu tun, dass ich seit 20 Jahren im Gesundheitswesen tätig bin und verschiedene Aufgaben hatte. Und ich durfte immer viel verändern und weiterentwickeln. Das sieht man auch an diesem Spital: Wir haben inzwischen die Tagesklinik Kubus und ein Partnerhaus eröffnet sowie den KSB Health-Innovation-Hub gegründet. Das KSB und sein Gesundheitscampus sind sehr stark gewachsen. Den krönenden Abschluss der Modernisierung bildet nun der Neubau.
Was wird sich für die Patientinnen und Patienten durch den Neubau verändern?
Das neue Spital ermöglicht uns, ganz neue Prozesse und Strukturen einzuführen. Wir haben Leute an Bord geholt, die ganz anders denken als wir, junge Köpfe mit ganz neuen Ideen. Um Innovationen voranzutreiben, haben wir den «KSB Health-Innovation-Hub» gegründet. Im Moment läuft im Spital vieles noch old-fashioned ab. Zum Beispiel das Anmeldeverfahren: Man kommt zu uns, meldet sich an und macht dann alle Angaben. Künftig wird man diese Informationen bereits zu Hause auf einer App eingeben können, wenn man will. Mit der «heyPatient-App» wird man bei uns als Patient durch das Spital geleitet, man muss sich weniger durchfragen als heute, in der App werden viele Fragen beantwortet. Gleichzeitig erhält auch das Ärzteteam auf diese Weise Informationen. Wir denken hier ganz neu.
Wann eröffnet das neue Spital?
Geplant war die Eröffnung ursprünglich für Herbst 2023. Wegen Covid und weiteren Herausforderungen gibt es aber Verzögerungen von ungefähr einem Jahr. Aber damit mussten wir rechnen. Wir haben uns ein sehr herausforderndes Ziel gesetzt, auch punkto Kosten. Jede oder jeder könnte für eine Milliarde Franken und bis im Jahr 2030 ein Spital bauen, das wäre keine Kunst. Aber zu sagen, wir wollen bis 2023 für die Hälfte dieses Betrages ein neues Spital bauen, ist sehr ambitioniert.
Wie können Sie sich von Ihrem intensiven Job erholen?
Ich kann zum Glück schnell abschalten. Und immer gut schlafen. Schlechter Schlaf wäre ein Alarmzeichen. Natürlich sind mir die Familie und meine wunderbaren Töchter enorm wichtig. Dazu habe ich Hobbys, zum Beispiel schraube ich gerne an alten Autos herum. Ich bin auf einem Bauernhof in Rothrist aufgewachsen und habe das Privileg, mich in einer unglaublich schönen Umgebung erholen zu dürfen. Nicht die Arbeitsmenge oder die Verantwortung können einen zu Boden drücken, sondern Stress und Unzufriedenheit. Stress wird ausgelöst, wenn man in einem negativen Sinn Druck von oben und von unten hat, von den Vorgesetzten und den Mitarbeitenden. Wenn man es fertig bringt, dass alle am selben Strick und in die gleiche Richtung ziehen, dann kommt man in einen Flow.
Und das KSB ist in einem Flow?
Ja, das sind wir.
Die letzte Frage nochmals zu Corona: Wie schätzen Sie die Lage ein – müssen wir uns nun auf eine vierte Welle gefasst machen?
Erstens bin ich nicht Arzt, und zweitens kein Prophet. Auch ich würde gerne wissen, was auf uns zukommt. Es gibt mir schon zu denken, wenn ich sehe, was in Israel passiert. Dort ist die Durchimpfung sehr hoch, und doch grassiert die aggressive Delta-Variante. Immerhin zeigt sich, dass weniger Leute auf der Intensivstation behandelt werden müssen. Ich bin überzeugt: Die vierte Welle wird kommen. Aber wenn wir es dank Impfungen schaffen, Coronapatienten wie Grippepatienten behandeln zu können, werden wir damit gut umgehen können.