Die Aargauer Wirtschaft erholt sich vom Coronaschock: Kehrt jetzt das Inflationsgespenst zurück?

Der monatlich erhobene Aargauer Konjunkturbarometer von der Aargauischen Kantonalbank (AKB) und Aargau Services Standortförderung klettert weiter. Er steht bereits wieder bei 95,8 Punkten, nachdem er pandemiebedingt zwischenzeitlich auf einen historischen Tiefstwert von 51,9 Punkten abgesackt war. Zur Erläuterung: Im langjährigen Durchschnitt liegt der Index bei 100 (vgl. Grafik oben).

Ein Viertel mehr offene Stellen als vor einem Jahr

AKB-Chefökonom Marcel Koller.

AKB-Chefökonom Marcel Koller.

Alex Spichale

Am stärksten zugelegt hat die Konsumentenstimmung vor dem Hintergrund besserer Arbeitsmarktprognosen. So sank die Arbeitslosenquote im Aargau per Ende Mai um 0,1 auf 3,6 Prozent. Auch sank die Zahl der von Kurzarbeit Betroffenen. Derzeit sind im Aargau 25 Prozent mehr Stellen ausgeschrieben als vor einem Jahr. Allerdings lag die Zahl der offenen Stellen Ende Mai 2021 immer noch rund 7,5 Prozent unter Mai 2019. Die AKB berücksichtigt für diese Analyse verschiedene grosse Job-Portale. Weltweit verläuft der Trend ähnlich. In Deutschland lag Ende Mai die Zahl der offenen Stellen 18 Prozent über dem Vorjahr, jedoch 21 Prozent unter dem Wert von 2019.

Konsumstimmung wieder sehr positiv

Den grössten Fortschritt gab es im Mai in der Konsumstimmung. «Die Aargauerinnen und Aargauer ergreift die Shoppinglust», sagt AKB-Chefökonom Marcel Koller. Während sich Anfang Jahr das Shopping auf Baumärkte und den Online-Handel konzentrierte, füllen sich nun die Einkaufsgeschäfte parallel zu den Covid19-Lockerungsschritten. Dabei unterscheide sich der Trend im Aargau kaum vom Schweizer Durchschnitt.

Pharmaexporte legen stark zu

Sie seien recht optimistisch, so Koller, dass es nach den USA (wo massiv geimpft wurde, gigantische Investitionsprogramme ausgelöst wurden, sodass dort schon im Winter ein Boom losging) auch in der Schweiz wieder richtig aufwärts geht – selbst ohne explizite Konjunkturspritzen. Besonders gut laufe es derzeit der Exportindustrie. Da der Aargau überdurchschnittlich viel Industrie aufweist, profitiert er von davon auch überdurchschnittlich. Allerdings gelte es zu differenzieren, so Koller: «Die Zeichen bei der hier traditionell starken MEM-Industrie stehen auf Erholung. Deutlich am besten läuft es dort und überhaupt bei Firmen mit Alleinstellungsmerkmalen sowie Pharmaunternehmen.»

Die Erholung der Schweizer Industrie schreitet derart rasch voran, dass verbreitet Knappheit auftritt. Der Kapazitätsaufbau verläuft indes nach wie vor schleppend, so die AKB, da die Mehrheit der Unternehmen mit einem Personalaufbau zuwartet. Die Knappheit, die sich in den längeren Lieferfristen und den höheren Einkaufspreisen ausdrückt, hat sich abermals verschärft. Teurer geworden sind vor allem Güter aus Übersee, was auf rekordhohe Transportkosten zurückzuführen ist. Teurer geworden sind auch generell Rohstoffe und Elektronikkomponenten.

Nachfrage steigt derzeit schneller als das Angebot

Hohe Bewertungen, Inflationssorgen und Lieferengpässe im Welthandel machten die Finanzmärkte kurzfristig nervös, analysiert Koller weiter. Wirklich nur kurzfristig? Holzbauunternehmen klagen doch über explodierende Preise, Im- und Exporteure über teilweise massiv teurere Rohstoffe und Transportkosten? Das ist alles richtig, antwortet Koller. Viele Produzenten hätten drum in der Pandemie ihre Kapazitäten reduziert: «Jetzt kommen sie mit der rasch anziehenden Nachfrage nicht mit. Das gilt auch für Rohstoffe. Im übrigen gibt es genug Transportcontainer. Viele stehen derzeit bloss am falschen Ort.»

Dass Computerchips knapp und teuer sind, sei auch eine Folge der forcierten Digitalisierung wegen Covid19. All das dürfte sich innerhalb eines halben Jahres einpendeln: «Letztes Jahr sanken die Preise auf breiter Front, jetzt folgt die Gegenbewegung. Die Inflation dürfte deshalb kurzfristig temporär sogar noch weiter steigen. Bis etwa Mitte 2022 dürfte sich die Teuerung um 1,5 Prozent einpendeln. Mehr befürchten wir aktuell nicht, denn es sind genug Arbeitskräfte verfügbar, und es ist genügend Liquidität vorhanden.»

Zinsen bewegen sich eher seitwärts als nach oben

Deshalb erwartet Koller auch nicht, dass die Zinsen, die zwischenzeitlich kurz angezogen haben, in absehbarer Zeit weiter steigen: «Es gab einen kleinen Zinsbuckel, doch die Zinsen werden sich nun kurzfristig eher seitwärts bewegen.»»

Aargauer Bruttoinlandprodukt dürfte um 4,5 Prozent steigen

Die AKB rechnet aufgrund der anhaltend erfreulichen Entwicklung für die gesamte Schweiz im laufenden Jahr mit einer Zunahme des Brutto-Inlandprodukts (BIP) von 4,0 Prozent, für den Kanton Aargau dürfte dank des höheren Anteils an Industrieunternehmen gar eine Zunahme von rund 4,5 Prozent resultieren. Koller: «Damit wären wir sogar wieder leicht über dem normalen Wachstumstempo.» Doch bis wann hat der Aargau – vorausgesetzt wir bekommen die Pandemie nachhaltig in den Griff – das Niveau von vor der Pandemie wieder erreicht? Das braucht etwas mehr Geduld. Koller: «Wenn alles gut läuft, dürften wir Mitte, spätestens Ende 2022 den ursprünglich vor der Krise erwarteten Wachstumspfad wieder erreicht haben.»