Impfen im Aargau: Es geht vorwärts – für die Herdenimmunität braucht es aber noch deutlich mehr Anmeldungen

Zahlen

Stand 31. Mai wurden 234’738 Menschen im Aargau gegen Covid-19 geimpft. Davon haben 150’763 bereits den vollen Schutz mit zwei Impfungen. Damit sind insgesamt 34 Prozent der Aargauerinnen und Aargauer einmal, 21 Prozent zweimal geimpft.

Ausserdem warten aktuell fast 80’000 Aargauerinnen und Aargauer auf einen Impftermin, täglich kommen um die 1000 Anmeldungen dazu. Das ergibt insgesamt etwa 315’000 Personen, die entweder mindestens einmal geimpft sind oder aber sich für die Impfung registriert haben. Das sind rund 45 Prozent der Gesamtbevölkerung. Um die Herdenimmunität zu erreichen, müssten sich aber etwa 75 Prozent impfen lassen.

Altersgruppen

Bei den über 70-Jährigen haben bereits über 80 Prozent die Erstimpfung und über 70 Prozent die Zweitimpfung erhalten. Bei den über 60-Jährigen sind es 62 beziehungsweise 43 Prozent. Je jünger die Bevölkerungsgruppe, desto tiefer wird die Durchimpfungsrate. Bei den unter 20-Jährigen sind ein Prozent zwei Mal geimpft. Seit Anfang Mai werden alle Personen über 16 geimpft. Je früher man sich angemeldet hat, desto früher kommt man dran.

Kantonaler Vergleich

Beim Impftempo befindet sich der Aargau im Mittelfeld der Kantone. Stand 30. Mai hatten 33,7 Prozent der Aargauerinnen und Aargauer mindestens ihre erste Impfung erhalten. Das ist Rang 19 im kantonalen Vergleich. Spitzenreiter bei den Erstimpfungen ist momentan Basel-Stadt mit 39,9 Prozent. Schlusslicht ist Obwalden mit 30,4 Prozent. Der schweizweite Durchschnitt beträgt 35,6 Prozent.

Erst-Impfungen: So steht der Aargau im Kantonsvergleich da

in Prozent
Kanton Mindestens einmal Geimpfte
BS 39,9
GE 39,5
TI 39,3
BE 38,3
BL 38,1
SH 37,2
VD 37
JU 36,6
UR 36,6
ZG 35,5
Quelle: BAG

Etwas besser steht der Aargau bei den Zweitimpfungen da. 21,1 Prozent der Aargauerinnen und Aargauer sind zwei Mal geimpft. Das ergibt schweizweit Rang zwölf. Am schnellsten ist hier momentan Basel-Landschaft mit 25,9 Prozent, am langsamsten Freiburg mit 16,6 Prozent. Der schweizweite Schnitt beträgt 20,2 Prozent.

Zweit-Impfungen: So steht der Aargau im Kantonsvergleich da

in Prozent
Kanton Zweimal Geimpfte
BL 25,9
SH 25,7
TI 24,7
GE 23,8
OW 23,3
NE 23,1
GR 23
UR 22
BE 21,9
BS 21,7
Quelle: BAG
 

Arztpraxen

Geimpft wird mittlerweile nicht mehr nur in den neun Impfzentren und mit mobilen Teams (die zum Beispiel in Altersheime gehen), sondern seit Anfang Mai auch in Hausarztpraxen. Insgesamt 170 Hausarztpraxen im Kanton machen mit. Sie haben für die Monate Mai und Juni total 50’000 Impfdosen erhalten. Weitere Dosen sollen den Hausärzten zur Verfügung gestellt werden. Wie viele genau, hänge von der effektiven Nachfrage ab, heisst es beim Gesundheitsdepartement auf Anfrage.

Jürg Lareida, Präsident des Aargauischen Ärzteverbands.

Jürg Lareida, Präsident des Aargauischen Ärzteverbands.

Bild: Britta Gut

Das funktioniere so weit ausgezeichnet, sagte der Präsident des Aargauischen Ärzteverbands Jürg Lareida, der in seiner Praxis in Aarau selbst schon über 100 Impfdosen verabreicht hat. Auch wenn das Ganze mit einem riesigen Aufwand verbunden sei.

Das Hauptproblem: Die Dosen werden in Fläschchen geliefert. Eines bietet Stoff für elf Impfungen. Wird eine Lieferung geöffnet, müssen die elf Impfungen innert sechs Stunden verabreicht werden. Wenn jemand kurzfristig den Impftermin absagt, müssen die Hausärzte Ersatz suchen, damit sie die Dosen nicht wegwerfen müssen. Dafür haben sie eine Art Reservepool mit impfwilligen Leuten gebildet, auf den sie zurückgreifen können. «Es wäre einfacher für uns, wenn die Impfdosen einzeln geliefert werden könnten», sagt Lareida. Doch das würden die Hersteller aktuell nicht anbieten. Wegwerfen müssen habe er bisher aber noch keine einzige Impfdosis.

Trotz dieser Hürden ist Lareida dafür, dass auch in Arztpraxen geimpft wird: Das niederschwellige Angebot sei eine gute Ergänzung zu den Impfzentren und würde helfen, die Durchimpfungsrate zu erhöhen. Es gab aber auch Ärztinnen und Ärzte, die sich zwar angemeldet hätten, um zu impfen, das dann aber doch nicht taten, weil der Aufwand zu gross war.

Lareida sagt:

«Finanziell lohnt sich das Impfen für uns nicht. Wir können bestenfalls die Kosten decken. Aber wir tun das für die Gesellschaft.»

Die Entschädigung haben Kanton und Ärzteverband zusammen erarbeitet. Das kantonale Departement Gesundheit und Soziales schreibt dazu: «Es ist den Hausärztinnen und Hausärzten freigestellt, ob sie Covid-19-Impfungen anbieten wollen.» Aktuell werde eine Umfrage bei den Arztpraxen durchgeführt, man gehe davon aus, dass über die Hälfte weiterhin impfen. Dass einige damit aufhören, kann laut Kanton zudem auch andere Gründe haben: Weil zum Beispiel kleinere Arztpraxen gar keine ungeimpften Patienten mehr haben.

Apotheken

Ende letzter Woche hat auch die erste Apotheke im Kanton mit Covid-Impfungen begonnen. Bis Ende Juni werden insgesamt sechs Pilotapotheken gegen Covid-19 impfen. Ab Anfang Juli sollen weitere Apotheken dazukommen. Etwa die Hälfte der knapp 130 Apotheken im Aargau hat Interesse bekundet.

Firmen

Auch mehrere Aargauer Unternehmer boten dem Kanton an, in ihren Firmen zu impfen. Zu Stande gekommen ist das bisher nicht. Auf die Bremse trat der Kanton: Man werde erst Impfstoff an Unternehmen abgeben, wenn ein Überschuss bestehe, hiess es.

Beat Bechtold, Direktor der Aargauischen Industrie- und Handelskammer.

Beat Bechtold, Direktor der Aargauischen Industrie- und Handelskammer.

Bild: Britta Gut

Wann das der Fall sein soll, dazu sagt der Kanton noch nichts. Gemäss Beat Bechtold, Direktor der Aargauischen Industrie- und Handelskammer, soll Impfen in Firmen etwa ab Anfang Juli möglich sein.

Doch lohnt es sich überhaupt, in den Firmen zu impfen, wenn sich zu diesem Zeitpunkt alle mehr oder weniger ohne Wartezeit in den Impfzentren, beim Arzt oder sogar in der Apotheke impfen lassen können? Ja, findet Bechtold, auch wenn man lieber früher damit gestartet hätte: «Das Angebot ist niederschwellig und freiwillig. Es hilft, die Durchimpfungsrate zu steigern.» Es könne auch die Motivation steigern, wenn zum Beispiel jemand sage: «Eigentlich möchte ich mich nicht impfen lassen. Aber wenn es meine Arbeitskollegen tun und ich es direkt im Betrieb machen kann, dann tue ich das auch.»

Testen

Seit dem jüngsten Bundesratsentscheid können Betriebe die Homeoffice-Pflicht lockern – wenn sie stattdessen repetitiv testen. Das löst bei Bechtold gemischte Gefühle aus: «Wir hätten uns gewünscht, dass der Bundesrat die Homeoffice-Pflicht zu einer Empfehlung umwandelt und die Firmen selbst entscheiden können, was in ihrem Betrieb nötig ist.»

Das repetitive Testen habe schon Vorteile: Nebst der Rückkehr an den Arbeitsplatz wird damit auch die Kontaktquarantäne hinfällig. Allerdings ist das Testen für die Betriebe mit einem grossen Aufwand verbunden. Gerade für grössere Betriebe, wenn Hunderte Mitarbeiter regelmässig getestet werden müssen. Darum würden die Betriebe nun auch unterschiedlich von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, sagt Bechtold.

Vergangene Woche wurden im Kanton 13’600 Personen repetitiv getestet. Allerdings fiel wegen Pfingstmontag ein Testtag weg. Zwei Drittel dieser Tests entfallen auf Schulen, ein Viertel auf Unternehmen und der Rest auf sozialmedizinische Institutionen und Pflegeheime.

Ursprünglich hatte der Kanton angepeilt, 100’000 wöchentliche Tests durchzuführen. Davon ist man weit entfernt. Dazu schreibt der Kanton:

«Dieser definierte Zwischenzielwert entspricht der aktuellen Laborkapazität. Zu Beginn des repetitiven Testens konnte nicht abgeschätzt werden, wie viele Personen teilnehmen werden. Wir haben aktuell genügend Laborkapazitäten und stellen bisher von Woche zu Woche eine Steigerung der Teilnehmerzahlen fest.»

Ausserdem stehen die Sommerferien schon bald an. Auch das könnte einen Einfluss darauf haben, dass viele Betriebe noch nicht regelmässig testen, so Bechtold. Danach sind vermutlich sowieso genügend Personen geimpft, sodass die Firmen weniger strenge Auflagen bekommen. Auch ohne repetitives Testen. Die Massentests hätten vermutlich mehr gebracht, hätten die Firmen früher damit starten dürfen, so Bechtold.