Vier Jogger von Mäusebussard angegriffen – Vogelwarte-Experte hält Vorfälle für «wenig erstaunlich»

Da joggt man gemütlich durch den Wald und plötzlich: ein Luftstoss, ein Schlag auf den Hinterkopf, vielleicht sogar ein Kratzer. Was hier beschrieben wird, ist ein Angriff eines Mäusebussards. Nur wenige werden eine solche Situation bereits erlebt haben. In Bellikon wissen aber mindestens vier Menschen, wie sich so eine Attacke anfühlt. Wie die Gemeindekanzlei mitteilt, wurden in den vergangenen Tagen in der Umgebung der Vogelschutzhütte mehrere Vogelangriffe gemeldet. Die Gemeinde empfiehlt, das Gebiet in den nächsten Wochen zu meiden.

Experte Livio Rey von der Vogelwarte Sempach beantwortet nun die neun wichtigsten Fragen rund um Angriffe von Greifvögeln.

Vier angegriffene Personen innerhalb von wenigen Tagen – ist das normal?

Aussergewöhnlich sind solche Meldungen gerade zu dieser Jahreszeit nicht. Der Vogelwarte-Experte sagt:

«Wenn die Attacken alle am selben Ort stattgefunden haben, ist dies nicht weiter erstaunlich, da es sich dann wahrscheinlich immer um denselben Mäusebussard handelt.»
Die Angriffe erfolgten in Bellikon rund um das Gebiet der Vogelschutzhütte. Anscheinend hat ein Vogel hier ein Nest.

Die Angriffe erfolgten in Bellikon rund um das Gebiet der Vogelschutzhütte. Anscheinend hat ein Vogel hier ein Nest.

Archivbild: Severin Bigler

Wieso greifen die Vögel überhaupt an?

Bei den angreifenden Tieren handelt es sich fast immer um Mäusebussarde, ausnahmsweise auch um Milane. Die Tiere sind aber nicht per se aggressiv, sagt Rey. Vielmehr erfülle das Verhalten den Zweck, die Jungen zu schützen. Wenn ein Jogger in der Nähe eines Horsts mit jungen Mäusebussarden vorbeikommt, sehen die Altvögel in ihm eine Gefahr und versuchen, ihn zu vertreiben.

Wann ist die Gefahr eines Angriffs am grössten?

Am häufigsten erfolgen die Angriffe zwischen Mai und Juli, wenn die Vögel Junge im Nest haben.

Wie oft kommen solche Angriffe vor?

Vogelwarte-Experte Livio Rey.

Vogelwarte-Experte Livio Rey.

Bild: ZVG

Pro Jahr werden schweizweit rund ein Dutzend Fälle bekannt. Genaue Daten werden jedoch nicht erhoben. Angesichts der bis zu 20’000 Brutpaare in der Schweiz und den zahlreichen Joggern ist die Chance, angegriffen zu werden, verschwindend klein, findet Rey. Dass derzeit wegen der Coronakrise mehr Jogger unterwegs sind – schliesslich waren Fitnesszentren lange geschlossen und der Mensch hat die Lust, draussen zu sein, verstärkt für sich entdeckt – könnte Anlass zu häufigeren Konflikten geben. Laut Rey ist es jedoch reine Spekulation, dass sich Angriffe deshalb häufen könnten. Ausserdem habe die Saison gerade erst angefangen.

Wie gefährlich sind die Tiere?

Rey schätzt die Angriffe aufgrund ihrer geringen Häufigkeit als wenig gefährlich ein, auch wenn so ein Angriff einem einen gehörigen Schreck einjagt. In einzelnen Fällen können die Vögel dem Opfer jedoch Kratzer am Kopf zufügen. Ein ausgewachsener Mäusebussard wiegt bei einer Flügelspannweite von bis zu 1,20 Metern jedoch nur rund 1,3 Kilogramm und sei folglich kein Schwergewicht.

Wie läuft eine Attacke konkret ab?

Da die Attacke dazu dient, den vermeintlichen Feind einzuschüchtern, genügt oft ein Scheinangriff. Das heisst, der Mäusebussard fliegt auf das Objekt der Gefahr zu und versucht, es so zu erschrecken. «Meist erfolgen diese Angriffe von hinten, da dann der Überraschungseffekt grösser ist», sagt Rey. Physischer Kontakt werde jedoch mehrheitlich vermieden, weil der Vogel nicht Gefahr laufen wolle, bei der Attacke selber verletzt zu werden.

Wer wird angegriffen?

Bei den angegriffenen Personen handelt es sich laut Rey fast immer um joggende Personen – Spaziergänger oder Velofahrer kommen hingegen meistens ungeschoren davon. Eine Erklärung dafür kann sein, dass Jogger wegen ihrer schnellen Bewegungen eher eine Gefahr darstellen.

Wie soll man sich bei einem Angriff verhalten?

Wichtig ist laut Rey, die Warnung des Vogels ernst zu nehmen und sich mit ruhigen Schritten zu entfernen. Beim Rückzug sollte man den angreifenden Mäusebussard im Auge behalten, um das Risiko eines weiteren Angriffs zu minimieren. Bei Verletzungen – auch bei kleinen – sollte man sich unbedingt beim Hausarzt melden und gegen Tetanus impfen lassen. Tollwut gebe es bei Vögeln hingegen nicht und könne deshalb als mögliche Ursache der Attacke mit Sicherheit ausgeschlossen werden.

Wie kann man sich schützen?

Rey empfiehlt, die Reviere von Mäusebussarden während einigen Wochen entweder komplett zu meiden oder nur langsam zu durchqueren. «So vermeidet man bestmöglich, attackiert zu werden», sagt er.