Sie sind hier: Home > Aargau > Matthias Bryner hat das erste Aarauer Finanz-Startup gegründet: «Kapitalismus kann nur nachhaltig sein, wenn alle davon profitieren»

Matthias Bryner hat das erste Aarauer Finanz-Startup gegründet: «Kapitalismus kann nur nachhaltig sein, wenn alle davon profitieren»

Trifft man Matthias Bryner im Aarauer Café Byro, im Erdgeschoss des gleichnamigen Co-Working-Spaces an der Rathausgasse, sieht er nicht aus wie ein stereotypischer Banker. Das liegt daran, dass er 2018 sein eigenes Startup gegründet hat.

Diesen Februar ging «findependent» an den Start: ein Fintech (eine Mischung aus Finanz- und Technologie-Unternehmen), das es Nutzerinnen und Nutzer ermöglicht, über eine einfache und unkomplizierte Handyapp Geld in börsengehandelte Indexfonds (ETF) zu investieren. Also in Investment-Fonds, welche die Wertentwicklung eines bestimmten Index wie zum Beispiel des Swiss Market Index (SMI) abbilden. Dafür arbeitet das Unternehmen mit der Hypothekarbank Lenzburg zusammen.

Nach klassischer Banker-Karriere zum Startup

Trotz seines lässigen Äusserens hat Bryner den Lebenslauf eines klassischen Bankers: So hat er an der Universität Zürich und an der Hochschule St. Gallen Banking & Finance studiert und sogar ein Praktikum bei der Schweizer Grossbank Credit Suisse (CS) absolviert, im bankinternen Kompetenzzentrum für Fondslösungen.

Nach seinem nächsten Job bei der ersten Schweizer Digitalbank Neon hat er aber gemerkt, dass sein Herz nicht wirklich für die Welt der Grossbanken schlägt: «Wenn man die Arbeitswelt einer Grossbank und die eines Fintechs kennt, merkt man relativ rasch, wo man hingehört.»

Mehrwert für alle statt für Ultrareiche schaffen

Das liegt nicht nur am lockeren und kreativen Umfeld, das ein Startup von einer Grossbank unterscheidet, denn Bryner hat eine Mission: Geldanlagen einfach und zugänglich für alle zu machen, damit auch alle von den ökonomischen Vorteilen der Kapitalmärkte profitieren können: «Ein nützliches Produkt für meine Freunde und deren Freunde zu entwickeln ist deutlich motivierender, als bei der CS etwas für die Ultrareichen zu machen.»

Spricht man ihn auf seine klassenkämpferische Rhetorik an, winkt Bryner ab. Doch er sagt: «Kapitalismus kann nur nachhaltig sein, wenn alle davon profitieren, und das ist heute nicht der Fall, auch in der Schweiz nicht.» Das beste Beispiel dafür seien die tiefen Zinsen, die dazu führten, dass man mit dem Sparkonto nichts mehr verdient, weshalb die Anlagepreise und insbesondere die Aktienpreise enorm gestiegen sind: «Das ist eine Umverteilung vom Sparer zum Anleger, wenn man bedenkt, dass Sparer tendenziell eher ärmer und Anleger eher reicher sind.»

Ex-Banker Matthias Bryner hat eine Mission: Geldanlagen einfach und zugänglich für alle machen.

In einem Monat fast die Kundschaft verdoppelt

Im August hatte «findependent» noch um die 360 Kunden und fast 3 Millionen Franken Anlagevolumen, inzwischen ist das Unternehmen bereits bei über 600 Kunden angelangt. Das Ziel ist laut Bryner, in vier Jahren schwarze Zahlen zu schreiben.

Dazu bräuchte das Unternehmen ein Anlagevolumen von rund 500 Millionen, rechnet er vor, im letzten Quartal habe man knapp 1000 Franken Umsatz erzielt. Ein ambitionierter Plan, doch laut Bryner absolut machbar: «500 Millionen kann heissen 50’000 Kunden mit 10’000 Franken oder 10’000 Kunden mit durchschnittlich 50’000 Franken, irgendwas dazwischen wird es wahrscheinlich sein.»

Unter anderem deshalb hat Bryner auch den ETF als Vehikel gewählt: Börsengehandelte Indexfonds sind leicht handelbar, deutlich günstiger und nicht weniger rentabel, gleichzeitig sieht man an den globalen Kapitalströmen, wie beliebt ETF weltweit geworden sind. Ein weiterer Vorteil ist die Breite, in die es sich mittels ETF investieren lässt: «Bei uns kann man mit 500 Franken beginnen und ist dafür in rund 4500 Einzeltitel investiert – das wäre über Direktanlagen niemals möglich.»

Das Startkapital kam von den Eltern

Bei «findependent» kam das Startkapital von Bryner selbst, mittels Erbschaftsvorbezug: «Ich gründete die AG gleich nach dem Studium, da hatte ich nicht gerade 100’000 Franken auf der hohen Kante.» Im März 2020 führte das Unternehmen eine Finanzierungsrunde durch, nahm neues Geld von Familie und Freunden auf, womit die erste Version der App bereits finanziert werden konnte.

In diesem Sommer fand schliesslich eine Zwischenfinanzierung statt, mit zwei der Öffentlichkeit bereits bestens bekannten Investoren, deren Namen im Oktober oder November veröffentlicht werden sollen. Und im nächsten Frühjahr soll bereits die nächste Finanzierungsrunde erfolgen, so Bryner: «Wir sind angewiesen auf Geld von externen Investoren.» Schliesslich sei als Startup die Finanzierung aus dem Direktkundengeschäft, und dann erst noch aus einem mit eher kleineren Kunden, in den ersten Jahren enorm schwierig.

Im Aarauer Byro hat Bryner nun seine Zelte aufgeschlagen, beschäftigt dort vier Leute oder 2,5 Vollzeitstellen. Doch warum in Aarau, ist die Stadt doch eigentlich kein klassischer Fintech- oder generell ein Startup-Standort? Das habe sich aus Bryners eigener Geschichte ergeben, schliesslich hat er da die Bezirks- sowie die Kantonsschule besucht und wohnt seit Ende seines Studiums wieder in Aarau: «Bei der Firmengründung war ich ja noch ganz alleine, da war Aarau selbstverständlich.» Gleichzeitig sei aber auch sein ganzes Team aus dem Kanton Aargau und solange alle Beteiligten hier glücklich seien, gebe es keinen Grund, die Firma nach Zürich umzusiedeln.