
Aargauer Ärzte dürfen Inkasso-Firmen Patientendaten liefern
Ende Dezember berichtete die «Süddeutsche Zeitung» über ein Datenleck bei der Schweizer Tochter der Eos-Gruppe, einem der grössten Inkassounternehmen in Europa. Gemäss dem Artikel wurden rund 33 000 Dateien mit persönlichen Angaben von Schuldnern entwendet.
Betroffen waren Tausende Schweizer, die ihre Arztrechnungen nicht bezahlt hatten. Ärzte schickten Eos laut der «Süddeutschen Zeitung» ganze Krankenakten, mitsamt aller Vorerkrankungen der Patienten und den Details ihrer Behandlungen.
Dies löste bei Datenschützern einige Empörung aus. «Es ist unverhältnismässig und somit nicht zulässig, wenn Ärzte ganze Krankenakten inklusive detaillierter Krankengeschichte ihrer Patienten an Inkassofirmen weiterleiten», sagte Adrian Lobsiger, der Schweizer Datenschutzbeauftragte. Ursula Uttiger, Präsidentin des Datenschutzforums Schweiz, sagte gegenüber der AZ: «Damit ein Arzt Patientendaten weitergeben darf, muss er vom Berufsgeheimnis entbunden werden. Sonst macht er sich strafbar.»
Nicht relevant für Inkassobüro
Das Thema beschäftigt auch Severin Lüscher, Grünen-Grossrat und Hausarzt im Aargau. Er wandte sich per Mail an die AZ und schrieb: «Die Gesundheit von Patienten geht ein Inkassobüro nichts an. Aber der Gesetzgeber hat dafür gesorgt, dass es nicht Privatsache ist und bleibt, ob jemand Arztrechnungen zahlt oder nicht.»
Wenn ein Patient nicht zahle, habe der Arzt das Recht, einer Inkassofirma mitzuteilen, dass dieser in Behandlung war. Der Arzt dürfe der Firma auch die dafür notwendigen Daten liefern.
Tatsächlich heisst es im kantonalen Gesundheitsgesetz: «Die Schweigepflicht ist zusätzlich zur Erreichung folgender Zwecke aufgehoben: Inkasso von Forderungen aus dem Behandlungsverhältnis.»
Auf Nachfrage erklärt Severin Lüscher, wie er mit Patienten umgeht, die ihre Rechnungen nicht zahlen: «Wir probieren zuerst, das mit den Leuten selbst zu klären. Wir verschicken drei Mahnungen, danach wird die offene Rechnung einer Inkassofirma zugesendet.» Das komme bei jährlich 6000 Patienten in seiner Praxis nur in rund 100 Fällen vor. Lüscher leitet jedoch nur jene Informationen weiter, die fürs Inkasso relevant sind.
«Die Krankengeschichte und die Diagnose gehören hier definitiv nicht dazu», betont der Hausarzt. Auch den Rückerstattungsbeleg für die Krankenkasse, auf dem die Diagnose des Patienten mit einem Code ausgewiesen ist, leitet er nicht weiter.
Administration ausgegliedert
Der Hausarzt und Grossrat sieht drei mögliche Gründe, warum Krankendossiers in die Hände einer Inkassofirma geraten könnten: «Ausländische Berufskollegen im Aargau wissen vielleicht nicht, dass wir die Krankengeschichten grundsätzlich nicht mitschicken und handeln irrtümlich.» Ausserdem gebe es immer mehr Praxen, in denen die Administration in der Hand von Investoren liege und nicht mehr bei den Ärzten. «Vielleicht werden die Daten vom Manager zur Inkassofirma geschickt und der Arzt weiss nicht mal davon», sagt Severin Lüscher.
Es könne auch vorkommen, dass ein Arzt emotional nicht im Reinen mit einem Patienten sei und diesem eins auswischen wolle, indem er auch die Krankengeschichte mitschickt. «Das wäre allerdings ein Schuss ins eigene Bein», fügt Severin Lüscher an. Trotz des Datenlecks bei Eos sieht der Grossrat keine Notwendigkeit, das aargauische Gesundheitsgesetz anzupassen. «Die gesetzliche Regelung zur Schweigepflicht ist klar und richtig, es braucht hier keine Änderung», so der Hausarzt.
Jürg Lareida, Präsident des Aargauischen Ärzteverbandes, kann sich nicht vorstellen, dass Krankenakten, die über die Rechnung hinausgehen, von Aargauer Ärzten weitergereicht werden. «Dies ist auch nicht notwendig. Für die Inkassofirma genügen der ausstehende Rechnungsbetrag und die Adresse des Patienten.»
Hochuli: «Bewusstsein fehlt»
Auch Susanne Hochuli sind keine Fälle bekannt, die Aargauer Ärzte betreffen. Die Patientenschützerin und ehemalige Aargauer Gesundheitsdirektorin stellt aber fest, dass es vielerorts an Bewusstsein fehlt: «Wer Patientendaten weitergibt, macht das wahrscheinlich oft, ohne zu überlegen.»
Es sei deshalb wichtig, Personen für das Thema zu sensibilisieren, sagt Susanne Hochuli. «Wenn Patientinnen und Patienten solche sensible Daten preisgeben, müssen sie darauf vertrauen können, dass die Ärzte sich bewusst sind, über welches kostbare Gut sie verfügen.» Letztlich könne ein System noch so gut und sicher sein: «Wenn die Menschen, die damit arbeiten, zu wenig vorsichtig sind, bringt das alles nichts.»