Aargauer Grossrat stellt Qualität des Obergerichts infrage – wie oft korrigiert das Bundesgericht Urteile?

Im Juni 2017 hat das Bundesgericht den Wohler Gemeindeammann Walter Dubler vom Vorwurf des Betrugs freigesprochen. Dies ist für CVP-Grossrat Harry Lütolf der Auslöser, am 15. Mai im Kantonsparlament einen Vorstoss zur Qualität der Urteile des Aargauer Obergerichts einzureichen. «Als gelernter Jurist war ich von Anfang an der Meinung, dass im Fall Dubler keine strafbaren Handlungen vorliegen, insbesondere kein Betrug», sagt Lütolf. Das habe er in seinem Umfeld auch von Anfang an so gesagt. «Ich war deshalb sehr erstaunt, dass Herr Dubler vom Bezirksgericht und vom Obergericht schuldig gesprochen wurde.»

 
Unabhängig von den Amtspflichtverletzungen des Politikers, die vom Bundesgericht bestätigt wurden, ist es für Lütolf stossend, «dass die Aargauer Instanzen nicht erkannten, dass strafrechtlich nichts vorliegt».

Lütolf verlangt Richternamen
Nun verlangt er vom Obergericht oder vom Regierungsrat eine Auswertung, die detailliert aufzeigt, wie viele Strafurteile aus dem Aargau das Bundesgericht seit 2015 aufgehoben hat. Lütolf verweist in seinem Vorstoss unter anderem auf den Fall Gränichen, in dem «Lausanne» vor gut einem Monat ein Mordurteil aufhob. «Unter diesen Eindrücken muss sich die Frage aufdrängen, wie es um die Qualität der Rechtsprechung der aargauischen Strafjustiz steht», schreibt Lütolf in seinem Vorstoss.

Ein entscheidender Gradmesser ist für ihn, ob die Urteile des Obergerichts vor dem Bundesgericht Bestand haben und wie sich die Quote bestätigter und aufgehobener Entscheid im Vergleich mit anderen Kantonen ausnimmt. Lütolf verlangt nicht nur eine Auswertung mit Kantonsvergleich, sondern auch Namen jener Richter, deren Urteile aufgehoben wurden. «Es darf und soll nach Verantwortlichkeiten gefragt werden, weil ein pauschales Urteil zur Qualität der Rechtsprechung die Falschen treffen könnte», begründet der Jurist. Schliesslich müsse sich der Grosse Rat darüber klar werden können, ob die Wiederwahl eines Oberrichters gerechtfertigt und verdient sei.

In der Kommission vertröstet
Lütolf sagt, er habe schon letztes Jahr in der Geschäftsprüfungskommission den Antrag für eine Auswertung der Obergerichtsurteile gestellt. «Dies nach Gesprächen mit Strafverteidigern, die mir mitteilten, dass ihrer Einschätzung nach das Bundesgericht mehr Urteile aus dem Aargau aufhebt als aus anderen Kantonen.»

Zu einem ähnlichen Schluss war Radio SRF vor drei Jahren gekommen. Aufgrund einer eigenen Auswertung berichtete der Sender, im Jahr 2014 habe das Bundesgericht 14 von 57 Fällen, die weitergezogen wurden, zur Neubeurteilung ans Aargauer Obergericht zurückgewiesen. Jeder vierte Fall kam damals zurück, 25 Prozent der Strafurteile musste das Obergericht später erneut verhandeln. In den Kantonen Bern und Solothurn waren es deutlich weniger, dort betrug die Quote im Jahr 2014 nur zwölf beziehungsweise elf Prozent.

In der Kommission wurde Lütolf letztes Jahr vertröstet. «Offenbar gibt es derzeit wichtigere Themen als eine Analyse dazu, wie viele Aargauer Urteile vom Bundesgericht aufgehoben wurden», sagt der CVP-Grossrat. Stattdessen lieferte das Obergericht eine Auswertung zur Qualität der Urteile der einzelnen Bezirksgerichte. «Darum geht es im Moment aber nicht», hält Lütolf fest. Er betont: «Im kommenden Herbst steht die Erneuerungswahl des Obergerichts an, Wahlbehörde ist der Grosse Rat, da müssen wir als Parlamentarier doch wissen, welche Oberrichter bei ihren Urteilen eine gute Qualität abliefern und bei welchen die Entscheide in Lausanne regelmässig nicht standhalten.»

Wichtig für Oberrichterwahlen
Lütolf kennt die Auswertung von Radio SRF aus dem Jahr 2015, er möchte jedoch offizielle Angaben, «damit wir auf objektiver Basis die Qualität des Obergerichts und der einzelnen Richter beurteilen können». Der Jurist erwartet, dass das Obergericht noch vor den Wahlen eine solche Auswertung liefert, und überlegt sich, seinen Vorstoss dringlich einzureichen.

«Ich hoffe, dass sich das Obergericht nicht hinter Datenschutz oder Persönlichkeitsrechten versteckt, schliesslich ist die Rechtsprechung grundsätzlich öffentlich.» Natürlich entscheide ein Oberrichter nicht alleine, räumt Harry Lütolf ein, «aber wenn man weiss, wer bei aufgehobenen Urteilen die Verfahrensleitung hatte, gibt das schon wichtige Hinweise».

Und wie sieht es mit den anderen Abteilungen des Obergerichts aus? Lütolf sagt dazu, laut seinen Informationen würden Aargauer Urteile nur im strafrechtlichen Bereich häufiger aufgehoben. «Im Verwaltungs- und Privatrecht ist dies nicht der Fall, deshalb habe ich meinen Vorstoss auf das Strafrecht beschränkt.»