
Aargauer Jungfreisinnige wollen Kirchen die Werbung verbieten – Kirchenvertreter kontern Vorwürfe
«Aargauer Jungfreisinniger wehrt sich mit einer Klage gegen das politische Engagement der Kirche!» So lautet der Titel einer Mitteilung, die Benjamin Riva, Medienchef der Jungen FDP, am Dienstag verschickte. Formal ist es keine Klage bei einem Gericht, sondern eine Stimmrechtsbeschwerde beim Regierungsrat, die Tim Voser, Präsident der Jungfreisinnigen der Region Baden, eingereicht hat.
Voser und die Jungfreisinnigen Aargau kritisieren das politische Engagement der Kirchen im Zusammenhang mit der Konzernverantwortungsinitiative. Die Kirche habe durch ihren Status als öffentlich-rechtliche Institution eine privilegierte Position inne und dürfe beispielsweise Kirchensteuern einziehen. «Die Kirche soll sich deshalb, wie andere staatlichen Institutionen, an den Grundsatz der politischen Neutralität und an die Grundrechte halten», lässt sich Voser in der Mitteilung zitieren.
«Kirchen überschreiten mit Engagement eine Grenze»
Gemäss dem Bundesgericht dürften sich staatliche Behörden, wie die Kirche, nur dann zu politischen Themen äussern, wenn sie besonders stark vom Abstimmungsergebnis betroffen seien. Diese Betroffenheit der Kirchen sieht Voser im aktuellen Abstimmungskampf nicht: «Ich bin überzeugt, die Kirche überschreitet hier eine klare Grenze», meint er. Zu behaupten, die Kirchen seien besonders betroffen, nur weil die Abstimmung etwas mit christlichen Werten zu tun habe, leuchtet ihm nicht ein. Mit diesem Argument dürften sich die Kirchengemeinden praktisch in jeder Abstimmung mit Steuergeldern engagieren, sobald die Abstimmung im Entferntesten mit christlichen Werten zu tun hätte – «und dies wäre fatal», findet Voser.
Ziel der Beschwerde sei es, vor dem Aargauer Regierungsrat eine superprovisorische Verfügung zu erwirken, wonach sich die Kirchen per sofort aus dem Abstimmungskampf zurücknehmen sollen. «Der Entscheid soll Rechtssicherheit für die Zukunft schaffen und definitiv klären, ob ein solches Engagement in Abstimmungskämpfen, trotz fehlendem Bezug, für öffentlich-rechtliche Behörden zulässig ist oder nicht», schreiben die Jungfreisinnigen.
Kritik auch von prominenten SVP- und CVP-Vertretern
Die Jungfreisinnigen Aargau haben, wie auch die Mutterpartei FDP, die Nein-Parole zur Konzernverantwortungsinitiative gefasst. Ebenfalls gegen die Initiative ist die SVP – ihr ehemaliger Kantonalpräsident und Nationalrat Thomas Burgherr kritisiert ebenfalls das Engagement der Kirchen. Burgherr postete auf Facebook das Foto einer Flagge für die Konzernverantwortungs-Initiative in der Heiliggeistkirche in Bern und schrieb dazu: «Ich appelliere an die verantwortlichen Personen dieser Kirche: Nehmt umgehend diese Plakate weg, so gibt es massenhaft Kirchenaustritte.» Er mahnte die Kirche eindringlich: «Konzentriert euch auf die Verkündigung des Evangeliums!»
Marianne Binder, CVP-Nationalrätin und Präsidentin der CVP Aargau, kritisiert auf Twitter seit Wochen das Engagement der Kirchen im Abstimmungskampf. Zuletzt schrieb sie am Montag nach einem Streitgespräch mit dem Fricktaler Seelsorger Patrik Suter: «Unsere Kirchen sind keine Dorfvereine, aber auch keine Parteien oder Kampagnenorganisationen, welche die einen gegen die anderen ausspielen. Die wichtige und geschätzte Aufgabe der Kirche in der Gemeinschaft der Gläubigen ist der Zusammenhalt, nicht die Spaltung.»
Mitte Oktober äusserte sich Binder auf Twitter weniger diplomatisch: «Die massive Kampagne der öffentlich-rechtlich verfassten Landeskirchen mit den Steuergeldern aller gegen die eigenen Mitglieder ist für mich stossend.»
Synode der Reformierten war gegen Unterstützung
Frank Worbs, Mediensprecher der Reformierten Landeskirche Aargau, sagt auf Anfrage der AZ, zur Konzernverantwortungs-Initiative gebe es bei den Reformierten unterschiedliche Meinungen. Die Synode, also das Parlament der Reformierten Landeskirche Aargau, habe im Juni 2019 «mit klarer Mehrheit ein Postulat zurückgewiesen, das den Beitritt zur Plattform ‹Kirche für Konzernverantwortung› verlangte», sagt Worbs. Der Kirchenrat nehme deshalb weder für noch gegen die Initiative Stellung. «Einzelne Mitglieder können sich aber selbstverständlich dazu äussern», hält der reformierte Sprecher fest.
Ob sich einzelne reformierte Kirchgemeinden für die Initiative äusserten, indem sie zum Beispiel Plakate oder Fahnen an kirchlichen Gebäuden aufhängen, entscheidet laut Worbs die örtliche Kirchenpflege. «Der Kirchenrat kann und will das den Kirchgemeinden weder vorschreiben noch verbieten.»
Katholiken setzen kein Steuergeld für Initiative ein
«Es steht jedem Einwohner des Kantons offen, eine Stimmrechtsbeschwerde einzureichen, aus rechtlicher Sicht ist dagegen nichts einzuwenden», sagt Luc Humbel, Rechtsanwalt und Präsident des Römisch-katholischen Kirchenrats Aargau. Er schaue dem Entscheid des Regierungsrats relativ gelassen entgegen. «Wir als Landeskirche sind zwar der Plattform ‹Kirche für Konzernverantwortung› beigetreten, geben aber keine Abstimmungsempfehlung ab und spenden kein Geld für die Plattform», hält Humbel fest.
Ihm sei im Aargau kein Fall bekannt, in dem Mittel aus Kirchensteuern für Werbung für die Initiative eingesetzt worden wären. «Finanziert wurden die Plakate und Flyer durch die Pfarreien, also aus pastoralen Geldern, zum Beispiel aus der Kerzenkasse» Das gelte seines Wissens auch für das Banner, das in Aarau an der Kirche St. Peter und Paul hängt. Die Plakate am Verwaltungsgebäude der Katholischen Landeskirche in Aarau wurden laut Humbel von einem Mitarbeiter gekauft.
«Uns ist es wichtig, dass über die Konzernverantwortungs-Initiative und ihre Ziele diskutiert wird», betont der Kirchenratspräsident. Aus seiner Sicht gebe es durchaus einen Zusammenhang zur Bewahrung der Schöpfung oder zu anderen wichtigen kirchlichen Anliegen. Humbel ist klar der Meinung, dass sich die Kirche zu politischen Fragen und Abstimmungen äussern soll, wie dies Parteien und Interessengruppen auch tun. «Deshalb bin ich gegen den Versuch, die Kirche mit einer Beschwerde beim Regierungsrat mundtot zu machen», stellt Humbel klar.