Aargauer Raiffeisen-Präsident: «Wir liessen uns nach dem NAB-Aus nicht dazu hinreissen, an der CS die Schuhe abzuputzen»

Persönlich

Nach der Matura machte Christoph Wyder die Ausbildung als Landschaftsarchitekt. Während dieser Zeit spielte er intensiv Handball, war im erweiterten Kader der Nationalmannschaft (ohne Länderspiel). Als er die Wyder Gartenbau AG 1991 von seinem Vater übernahm, bedeutete dies das Ende seiner sportlichen Karriere. Wyder und seine Frau Rébecca haben eine gemeinsame Tochter. Pascale (25) ist Handball-Bundesligaspielerin und Nationalspielerin. Anfang 2020 hat Wyder die Geschäftsführung der Wyder Gartenbau AG an Fabian Minder übergeben. Seit 2009 ist er Verwaltungsrat der Raiffeisen Aarau-Lenzburg, seit knapp einem Monat Präsident des Aargauer Verbandes der Raiffeisenbanken.

Es beginnt schon speziell. Wir treffen uns mit dem höchsten Raiffeisenbanker im Aargau. Aber nicht in einem schicken Verwaltungsgebäude, sondern in der Industriezone von Oberentfelden. Christoph Wyder, seit knapp einem Monat Präsident des Aargauer Verbands der Raiffeisenbanken, hat keine Wurzeln im Bankgeschäft. Nach der Kantonsschule studierte er Landschaftsarchitektur und stieg in das Gartenbauunternehmen seines Vaters ein. Heute hat Wyder Gartenbau mit Sitz in Oberentfelden rund 70 Angestellte und erwirtschaftet einen Umsatz von rund 10 Millionen Franken.

Wie wird man vom Gartenbauer zum Banker?

Christoph Wyder: Ich bin ja nicht Banker im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern Verwaltungsrat der Raiffeisenbank Aarau-Lenzburg und seit wenigen Wochen Präsident des Aargauer Verbandes der Raiffeisenbanken.

Aber Sie arbeiten ja für eine Bank?

Ja, auch. Aber auf strategischer Ebene, nicht auf operativer. Entscheidend ist, dass in einem solchen Gremium alle wichtigen Disziplinen vertreten und die notwendigen Kompetenzen vorhanden sind.

Trotzdem, Sie kannten das Banken-Business zuvor nur als Kunde.

Ja, ich musste und muss noch immer dazu lernen. Aber die Bankkompetenz bringen die Mitarbeitenden der Raiffeisen mit. Und zwar auf allen Stufen.

Wie kamen Sie denn in den Verwaltungsrat der Raiffeisenbank Aarau-Lenzburg?

Durch Verwaltungsratspräsident Rolf Fäs. Er hat mich damals angefragt.

Und was können Sie als Branchenfremder beitragen?

Es gibt viele Aufgaben, die in den meisten Branchen sehr ähnlich sind. Zum Beispiel Personalführung, Marketing, Kommunikation oder auch die strategische Ausrichtung gehen ähnlich vonstatten. Zudem kann ich die Sicht des Kunden einbringen.

Sie sind also Kunde bei Raiffeisen?

Ja klar, als Privatperson. Geschäftlich bestanden unsere Beziehungen schon mit einer anderen Bank und da wollte ich nichts vermischen. Daran haben wir nichts geändert.

Wie wurden Sie eigentlich Gartenbauer? Das ist ja nicht gerade der übliche Karriereweg nach der Kantonsschule.

(Lacht) Ja, ursprünglich wollte ich auch Lehrer werden.

Aber?

Na ja, ich begann zu zweifeln. Ich fragte mich, ob ich da glücklich werde. Also ging ich zum Berufsberater. Mit dem Resultat, dass er mich am Schluss fragte, warum ich nicht bei meinem Vater einsteige. Da war es für mich irgendwie klar.

Haben Sie es nie bereut, schon mit 25 Jahren die alleinige Verantwortung für eine Unternehmung übernommen zu haben?

Nein, bereut habe ich nichts, auch wenn der Entscheid natürlich weitreichende Konsequenzen hatte. Mein Vater blieb damals noch knapp ein halbes Jahr im Unternehmen, danach war Schluss und ich musste liefern. In den ersten 15 Jahren habe ich zum einen nur selten Ferien gemacht und wenn, dann war das Geschäft immer irgendwie dabei in Form von Telefon, Post und Mails.

Sie waren ein aufstrebender Handballer, spielten zwei Saisons in der höchsten Spielklasse, waren im erweiterten Kader der Nationalmannschaft. Ihre sportlichen Ambitionen fielen der beruflichen Karriere zum Opfer.

Das ist hart formuliert, aber ja, ich musste mich entscheiden. Es wäre nicht möglich gewesen, weiterhin täglich zu trainieren. Da hätten weder Zeit noch Energie gereicht. Ein Unternehmen führt man nicht nebenher. Aber ich bekam die Chance, schon früh selbstständig zu werden, das hat mehr als entschädigt – wenigstens emotional.

Dem Sport blieben Sie verbunden.

Ja, als langjähriger Sponsor des HSC Suhr-Aarau und durch meine Tochter (Pascale Wyder ist Nationalspielerin und verdient ihr Geld in der Deutschen Handball-Bundesliga bei Frisch Auf! Göppingen; Anm. d. Red.), später auch wieder als Trainer im Breitensport und in verschiedenen Vorstandsfunktionen beim TV Zofingen Handball Frauen.

Aber aktiven Sport trieben Sie nie mehr?

Nein, Aktivsport ist für mich wie Weihnachten: einmal im Jahr (lacht). Ich verfolge das Geschehen im Handball sehr eng, aber neben ein bisschen Wandern und Skifahren in der Lenk mache ich kaum mehr Sport.

Was haben Ihnen Ihre Erfahrungen im Leistungssport als Unternehmer gebracht?

Ich habe gelernt, dass immer Konkurrenz da ist. Als Unternehmer kann man vielleicht durch Innovation in Bereiche vorstossen, wo es noch keine Konkurrenz gibt. Aber je lukrativer das Geschäft, desto schneller kommen die Mitbewerber. Zudem gilt für den Sport und die Berufswelt gleichermassen: Am Ende des Tages zählt die Leistung, Ausreden und Entschuldigungen interessieren niemanden. Ebenso sehe ich Parallelen in der Führung einer Unternehmung und eines Sportteams, für den Erfolg braucht es in der Regel nicht die besten Einzelspieler, die Zusammenarbeit und der gemeinsame Sinn fürs Ganze sind wichtiger.

Die Bankgeschäfte im Aargau scheinen durchaus lukrativ zu sein. Es gibt kaum eine andere Region, die so umkämpft ist.

Ich kann nicht mit anderen Regionen vergleichen. Aber ja, der Bankenplatz Aargau ist sehr dynamisch.

Was viel mit dem Ende der NAB zu tun hat.

Für Raiffeisen und auch die anderen Platzbanken eröffneten sich durch das NAB-Aus natürlich Chancen punkto Marktanteile und Personalrekrutierung. Wenn sich ein wichtiger Mitbewerber selber abschafft, hält sich die Trauer bei der Konkurrenz in relativ engen Grenzen.

Und als Mensch Christoph Wyder?

Als Konsument und als Aargauer ist die Entwicklung natürlich sehr bedauerlich, da geht ein Stück Firmengeschichte zu Ende, das ganz eng mit unserem Kanton verwoben war.

Wie fanden Sie das offensive Werben um die Kundschaft und Mitarbeitenden der NAB durch die Aargauische Kantonalbank?

Es obliegt nicht mir, das zu beurteilen. Das muss jeder für sich machen. Wir waren zurückhaltender und das, finde ich, war der Situation angemessen. Viele Menschen waren schockiert über das Ende der NAB, die Mitarbeitenden fürchteten um ihren Job. Solche Dinge muss man berücksichtigen, denn es geht immer auch – oder eigentlich vorwiegend – um Menschen. Raiffeisen liess sich nicht dazu hinreissen, an der CS ihre Schuhe abzuputzen.

Haben die Raiffeisenbanken profitiert vom Aus der NAB?

Wir konnten Kundinnen und Kunden dazugewinnen. Insofern haben wir sicherlich profitiert. Bezüglich Mitarbeitenden ist das eine längerfristige Sache. Ich glaube, die grossen Fluktuationen stehen noch bevor.

Das Ende der NAB ging einher mit der Streichung von fast der Hälfte des Filialnetzes. Hauptgrund dafür ist sicherlich die Digitalisierung. Die Pandemie hat zu einem zusätzlichen Digitalisierungsschub geführt. Müssen auch die Raiffeisenbanken bald Filialen streichen?

Geplant ist das derzeit gemäss meinen Kenntnissen nicht. Aber letztlich hängt diesbezüglich immer alles von den Bedürfnissen der Kundinnen und Kunden ab. Es gibt eine Schmerzgrenze, einen Punkt, an dem man sagen muss, es geht nicht mehr, es lohnt sich nicht. Auch die Raiffeisenbank Aarau-Lenzburg musste in den letzten Jahren die Geschäftsstellen in Bottenwil und Muhen schliessen.

Gibt es bei Filialschliessungen keine Gegenwehr von den Genossenschaftern?

Sie schauen uns genau auf die Finger, Kahlschläge wären unmöglich. Aber wenn die Sache gut erklärt und dokumentiert wird, verstehen das die Leute. Mit rund 70 Geschäftsstellen hat Raiffeisen noch immer mit Abstand das dichteste Filialnetz im Aargau. Das ist nicht so, weil es Spass macht, sondern weil wir überzeugt sind, dass die Nähe zu den Kunden, die ja oftmals auch Genossenschafterinnen und somit Eigentümerinnen sind, unser grösster Trumpf ist.

Die Raiffeisenbank als Volksbank – wie sehr schmerzt es eigentlich, dass all die Delegierten- und Generalversammlungen derzeit nicht stattfinden können?

Natürlich fehlen diese direkten Berührungspunkte, das Zusammentreffen, das gemeinsame Essen, der geschäftliche und der gesellige Teil einer GV. Aber es fallen ja nicht nur Raiffeisen-Anlässe aus, sondern auch Familienfeiern. Bei aller Enttäuschung über den Ausfall der Anlässe, spüren wir auch grosses Verständnis. Wir hätten es ja auch lieber andersrum.

Die Banken sparen auch Geld dabei.

Ja, klar, es wird uns quasi verboten, Geld auszugeben! Aber einige Banken kompensieren das sehr kreativ und sympathisch auf verschiedene Arten. Eine hat zum Beispiel lokale Gewerbegutscheine verschickt als kleines Trösterli, eine andere verteilte das Geld nach einem Video-Wettbewerb an verschiedene Vereine. Gerade als lokale Banken mit engem Kontakt zu Gewerbe und Menschen der Region sind wir uns ja sehr bewusst, wie schwierig diese Zeiten für alle sind.

Wie gross war der Ansturm auf die Covid-Kredite bei der Raiffeisen im Aargau?

Die Nachfrage war sehr gross. Wir haben per Ende März über 1500 Covid-I-Kredite vergeben und einen Covid-II-Kredit. Innert kürzester Zeit sprachen wir so Kredite in der Höhe von insgesamt rund 115 Millionen Franken. Das kam ja quasi über Nacht auf die Banken zu.

Wie meinen Sie das?

Der Bundesrat hat an einem Freitag über diese Möglichkeit der Liquiditätsbeschaffung informiert, eine Woche später stand alles. Das ist, so finde ich, eine beachtliche Leistung. Da darf man die Banken ganz allgemein auch einmal loben. Der Impfplan brauchte jedenfalls länger, bis er griff.

Eine leise Kritik in Richtung der Regierung?

Vielleicht. Ich weiss, kritisieren ist immer einfach, aber wir Banken werden auch ständig kritisiert. Wer kritisiert wird, wird immerhin wahrgenommen und dem traut man offenbar ein gewisses Handlungspotenzial zu. Das kann man auch als Kompliment sehen.

Sie haben selbst politisiert, in der SVP. Aber Sie betonten immer Ihre grüne Ader. Waren Sie in der falschen Partei?

Sind, müsste es heissen (schmunzelt). Ich zahle immer noch Mitgliederbeitrag bei der SVP. Aber in der Tat wäre ich zu einem späteren Zeitpunkt vielleicht den Grünliberalen beigetreten. Denn als Gartenbauer sehe ich schon, was in der Natur schiefläuft. Aber ich bin noch immer mit vielem einverstanden, was die SVP vertritt. Es gibt keine andere Partei, die so nahe am Gewerbe und den einfachen Menschen ist. Aber ich politisiere zurzeit nicht mehr aktiv.

Obwohl Sie jetzt ein bisschen mehr Zeit hätten.

Sie spielen auf die Firmenübergabe an, oder?

Genau.

Nach fast 30 Jahren an der Spitze von Wyder Gartenbau war es an der Zeit, dass ich mich auch damit beschäftige. Ich hatte mit Fabian Minder einen jungen, motivierten Mann im eigenen Betrieb, der alles mitbringt, um ein solches Unternehmen zu führen.

Hätten Sie das Geschäft nicht gerne Ihrer Tochter vermacht?

Das war nie ein Thema (schmunzelt). Ganz ehrlich: Es hätte nicht besser kommen können. Leute, die so etwas können und wollen, gibt es nicht wie Sand am Meer. Fabian war ein Glücksfall. Er hat schon die Lehre bei uns gemacht und sich danach gezielt und auf hohem Niveau weitergebildet.

Sie arbeiten trotzdem weiter im Geschäft.

Ja, als Projektleiter. Zudem bin ich noch im Verwaltungsrat. Aber ich habe doch einiges abgeben können wie zum Beispiel das Marketing, Personalfragen und vieles mehr. Jetzt kann ich mich so wieder vermehrt um Gärten kümmern.

Hätten Sie zuvor überhaupt Zeit gehabt für das Amt als Präsident der Aargauer Raiffeisenbanken?

Nein, definitiv nicht. Ich rechne zwar nicht damit, dass ich jede Woche einen Tag brauche für dieses Amt, aber es braucht Zeit. Unter der Woche und nicht am Wochenende. Das wäre nicht drin gelegen.

Ihr Vorgänger Stefan Köchli war kein ganzes Jahr im Amt. Warum?

Er geht den entgegengesetzten Weg, den ich gehe (lacht). Im Ernst, er bekam ein Angebot aus der Baubranche, um dort Finanzchef zu werden. Eine berufliche Veränderung, eine neue Herausforderung, die er annehmen wollte. Und weil er kein Amt mehr bekleidet bei Raiffeisen, konnte er gar nicht weitermachen.

Was werden Ihre Aufgaben sein?

Die Raiffeisen ist in einem Veränderungsprozess. Die einzelnen Banken haben dabei mehr Gewicht gewonnen. Jede Bank hat innerhalb der gesamtschweizerischen Strukturen eine Stimme. Dazu kommt der Bankrat, wo jede Region einen Delegierten entsendet. Im Aargau ist das Daniel With. Welche Rolle der Regionalverband in Zukunft spielen wird, muss sich noch weisen. Es gibt ein paar Kernaufgaben, aber darüber hinaus ist noch vieles offen.

Gehen diese Veränderungen auf den Vincenz-Skandal zurück?

Diesen Link haben Sie sich bis zum Ende aufgespart, ich wusste, dass er kommt! Die Sache Vincenz hat vieles ausgelöst, und sie hat vor allem gezeigt, dass sich auch eine grosse Unternehmung von der Basis ausgehend wandeln kann, wenn sie genossenschaftlich organisiert ist und der Wille da ist. Mehr gibt es nicht zu sagen, ausser vielleicht: Auch für Pierin Vincenz gilt die Unschuldsvermutung.

Das müssen Sie sagen.

Nein, das will ich sagen. Die Bank ist unter ihm sehr viel professioneller geworden, fokussierter und ambitiöser. Und bis jetzt gibt es nur Anschuldigungen kein Urteil.