
«Absolut unnötig»: 230-Stellen-Abbau von Roche wird scharf kritisiert
Ganze 2300 Angestellte arbeiten zurzeit für Roche in Kaiseraugst. Wie viele es im Jahr 2019 sein werden, ist unklar. Sicher ist, dass der Basler Pharmakonzern den Bereich Verpackung vor Ort markant verkleinert. Am späten Montagnachmittag gab das Unternehmen bekannt, von rund 320 Stellen in dieser Einheit 235 Arbeitsplätze zu streichen. Dies entspricht einem Abbau von über 70 Prozent.
In der Fricktaler Gemeinde, die rund 15 Kilometer von Basel entfernt ist, befindet sich das weltweit grösste Verpackungs- und Logistikzentrum der Firma. Teil davon sind auch ein «hochmodernes Zentrum für die Sterilproduktion, die Antibiotika-Produktion und -Abfüllung», wie Roche auf ihrer Website schreibt. Derzeit würden jährlich rund 120 Millionen Medikamente verpackt und weltweit verschickt.
Der Pharmakonzern wird ab Mitte 2019 grosse Teile der Verpackungseinheit an andere Standorte im Ausland verlagern. In Zukunft sollen die Wirkstoffe vermehrt dort verpackt werden, wo sie hergestellt werden. Grund für den Schritt sind neue Produkte, welche die alten Roche-Medikamente immer stärker verdrängen. Letztere sind kleinmolekulare Arzneimittel, die in grösseren Mengen produziert werden. Die neuen, vorwiegend biotechnologisch hergestellten Medikamente werden in deutlich geringeren Mengen hergestellt.
Aus diesem Grund hat Roche bereits vor zwei Jahren angekündigt, weltweit vier Produktionsstandorte zu schliessen oder zu verkaufen. Dass nun auch die Verpackungseinheit verkleinert wird, kommt daher nicht völlig überraschend. Die Personalkommission von Roche hat zwar von dieser Massnahme vorgängig nichts gewusst, befürchtete jedoch, dass der Pharmakonzern in Kaiseraugst einen Stellenabbau vornehmen könnte, wie die «Nordwestschweiz» erfahren hat.
Roche betont in der Medienmitteilung, dass Basel und Kaiseraugst weltweit einer der bedeutendsten Produktionsstandorte bleiben werden. Zumindest in den letzten fünf Jahren verzeichneten die beiden Firmenareale am Rheinknie und im Fricktal einen beachtlichen Stellenzuwachs von knapp 22 Prozent auf 10 720 Mitarbeiter. Die betroffenen Mitarbeiter würden die «bestmögliche Unterstützung» am bestehenden Arbeitsplatz und bei der Suche nach einer neuen Stelle erhalten. Über weitere Massnahmen wie Frühpensionierungen könne Roche zum jetzigen Zeitpunkt noch nichts sagen, da dies Teil des Konsultationsverfahrens sei, sagt eine Sprecherin. Dieses dürfte zwischen Mitte und Ende Januar abgeschlossen sein.
«Das ist so nicht üblich»
Der Basler Pharmakonzern muss sich von den Behörden und den Gewerkschaften scharfe Kritik an seiner Informationspolitik gefallen lassen. So hat Roche die Standortgemeinde Kaiseraugst nicht vorab informiert, wie das üblicherweise der Fall ist. Man habe vom Stellenabbau aus den Medien erfahren, sagt Gemeindepräsidentin Sibylle Lüthi. Das Befremden über die Nicht-Information hört man ihr an. Das sei so nicht üblich, betont Lüthi. «Wir erleben die Roche sonst als verlässlichen Partner.» Man treffe sich regelmässig und bespreche auch anstehende Entwicklungen.
Für Kaiseraugst sei der Stellenabbau «ein Schlag und sehr bedauerlich», sagt Lüthi. «Er ist vor allem für die betroffenen Mitarbeiter schlimm.» Viele der Stellen seien im niederschwelligen Bereich angesiedelt. Hier würden derzeit auch anderswo Stellen abgebaut. «Die Betroffenen dürften es deshalb wohl schwer haben, eine neue Stelle zu finden», sagt Lüthi. Dass der Standort Kaiseraugst generell in Gefahr ist, glaubt sie indes nicht. «Roche hat in den letzten Jahren viel in Kaiseraugst investiert». Lüthi geht deshalb davon aus, dass der Standort «auf absehbare Zeit hin» gesichert ist.
Auch die Gewerkschaft Syna fragt sich, weshalb sie vom Pharmakonzern nicht vorgängig informiert wurde. Roche habe den Gesamtarbeitsvertrag (GAV) für die Basler Pharma-, Chemie- und Dienstleistungsunternehmen unterzeichnet, der gewerblich-technischen Berufe, also auch die Produktion und Verpackung mit einschliesse. «Wir hätten deshalb erwartet, dass wir wenigstens gleichzeitig mit den Medien über den Stellenabbau informiert und vor allem auch angehört worden wären», sagt Astrid Beigel von der Gewerkschaft Syna.
Ähnlich tönt es auch bei der Unia. Roche habe keinen Respekt vor der Sozialpartnerschaft, sagt Christian Gusset, Sektorleiter Chemie und Pharma, dazu. Immerhin sei die Unia Vertragspartei des GAV. Auch intern sei die Belegschaft – ähnlich wie die Öffentlichkeit – nur vage informiert worden, wie Gusset aus dem Innern der Firma gehört hat. Die Informationspolitik sei daher ungenügend.
Bedenklicher Abbau
Insgesamt bezeichnet Gusset den Abbau als «absolut unnötig». Roche gehe es wirtschaftlich gesehen sehr gut. Deshalb gebe es keinen direkten Handlungsbedarf. «Wir fordern, dass es zu keinen Entlassungen kommt.» Grosse Volumen könnten problemlos auch in der Schweiz kostendeckend verpackt werden, ist der Gewerkschafter überzeugt. Eine Auslagerung ergebe auch im Lichte der strengen Zulassungsbedingungen für solche Verpackungsanlagen keinen Sinn, sagt Gusset weiter. Ohnehin würden die Mitarbeiter in Kaiseraugst die Abläufe genau kennen. Schliesslich hätte Roche auch zusätzliche Produktionschargen nach Kaiseraugst verschieben können, statt nun den umgekehrten Schritt zu machen.
Astrid Beigel von der Syna erachtet einen Abbau im produktiven Bereich für den Werkplatz Schweiz generell als bedenklich. Mit diesen und weiteren Abbaumassnahmen drohe ein weiterer Verlust des industriellen Know-hows.