
Alex Hürzeler verteidigt seine Strategie zur Schulöffnung : «Kanton soll nicht noch mehr einschränken»
Präsenzunterricht geht los: Abstand einhalten, aber wie?
Ab 11. Mai findet der Unterricht an den Aargauer Volksschulen wieder im Schulhaus nach Lehrplan und gemäss den geltenden Stundentafeln statt. So gestaltet die Mehrheit der Kantone die Wiederöffnung. Der Bundesrat hatte sie am 29. April beschlossen, es aber den Kantonen überlassen, wie sie aussehen soll. Der Aargau gibt Eckwerte vor, die einzelnen Schulen sind für die Umsetzung zuständig. Die Schutzmassnahmen richten sich nach dem Bundesamt für Gesundheit (BAG). Sie besagen, dass sich Schüler untereinander weitgehend normal verhalten und bewegen dürfen. Hingegen sollen sie im Kontakt mit den Lehrpersonen nach Möglichkeit einen Mindestabstand von zwei Metern einhalten. Diese vage Formulierung ist einer der grossen Kritikpunkte von Lehrerverband und Eltern. Die Vorgaben gelten auch für Lehrer untereinander und für alle Personen, die im Schulhaus verkehren. Zudem haben alle die Hygieneregeln zu beachten. Im Schulhaus werden Möglichkeiten zur Handhygiene zur Verfügung stehen. Die Oberflächen, Schalter, Fenster- und Türfallen, Treppengeländer sowie WC-Infrastruktur und Waschbecken werden in regelmässigen Abständen gereinigt. Für die Noten im Jahreszeugnis werden im Aargau die Leistungsbelege aus dem regulären Unterricht berücksichtigt. (eva)
Herr Hürzeler, das Bildungsdepartement wird wegen seines Entschlusses, die Schulen am Montag nach Stundenplan wieder zu öffnen, kritisiert. Was entgegnen Sie?
Alex Hürzeler: Die Wiederaufnahme des ordentlichen Unterrichts an den Volksschulen wurde unter Einbezug der Schulleitungs- und Lehrpersonenverbände sowie des Verbands der Schulpflegpräsidien getroffen. Von den Schulleitungen bekommen wir fast nur positive Rückmeldungen. Eltern und Lehrpersonen melden sich bei uns mit spezifischen Anliegen und Sorgen, etwa wegen Vorerkrankungen in der Familie. Die Anliegen werden teilweise aufgenommen oder geklärt und es werden Ratschläge erteilt. Die Bedenken gegenüber den Vorgaben des Bundesrats und des Bundesamts für Gesundheit (BAG) können wir aber nicht ganz ausräumen.
Überrascht Sie der Unmut?
Nein. Die Schliessung der Schulen Mitte März löste zwar eine deutlich grössere Flut von Anfragen und Kritiken bei uns aus. Die Art der Rückmeldungen ist jetzt aber eine andere, denn ein guter Teil der Bevölkerung hat sich inzwischen wochenlang über das Coronavirus informiert. Die vielen Informationen und Expertenmeinungen widersprechen sich teilweise, das kann verunsichern.
Der Lehrerverband hat das BKS aber für sein Handeln bei der Schliessung gelobt. Jetzt ist er Ihr schärfster Kritiker. Er sagt, weil nicht bewiesen ist, dass Kinder keine Treiber des Virus sind, sei die Aufnahme des Präsenzunterrichts mit vollen Klassen fahrlässig. Warum hält der Aargau daran fest?
Das BAG stellt klar, dass der Unterricht unter Einhaltung der Hygienemassnahmen wieder möglich ist und Kinder keine Treiber des Virus seien. Daneben gibt es Studien, welche etwas anderes sagen. Wir handeln nach den Vorgaben des Bundesrats und wie die grosse Mehrheit der Kantone öffnen wir die Schulen deshalb für die ganzen Klassen und nach normalem Stundenplan. Dies im Wissen darum, dass aufgrund der einzuhaltenden Schutzmassnahmen vorderhand noch kein Schulalltag im gewohnten Stil möglich sein wird. Der nationale Lehrerverband war im Vorfeld des Bundesratsentscheids von diesem mit einbezogen worden. Er wünschte sich verbindlichere Vorgaben für die Schulen in der ganzen Schweiz. Darauf verzichtet der Bundesrat, ich begrüsse das.
Warum?
Das Schulwesen ist Sache der Kantone. Auch Corona schafft unterschiedliche Voraussetzungen, das Tessin und Genf sind viel stärker betroffen als beispielsweise Kantone in der Ostschweiz. Entsprechend sollen die Stände auch, unter Einhaltung der Eckwerte durch den Bundesrat, die Wiedereröffnung der Schulen auf ihre eigenen Bedürfnisse angepasst vornehmen können.
Aber im Aargau präsentiert sich die Lage nicht viel anders als in Zürich. Trotzdem werden die Schüler dort ab Montag nur an halben Tagen unterrichtet. War das keine Option?
Auch dort gibt es Kritik, etwa von Eltern, die jetzt die Kinderbetreuung neu organisieren müssen. In Zürich muss zudem der Lernstoff reduziert werden, damit der Unterricht eingeschränkt erfolgen kann. Das erachte ich als keine gute Lösung. Insbesondere vermeiden wollten wir aber, eine Hybridlösung von Fern- und Präsenzunterricht einzuführen und Gefahr zu laufen, den Unterricht bis zu den Sommerferien vielleicht noch einmal anpassen zu müssen.
Lehrern und Eltern fehlt es aber vor allem auch an klaren Vorgaben…
Der Aargau hat über 200 Gemeinden mit ebenso vielen Schulen, deren Leitungen, Schulpflegen und Gemeinderäte eine klare Weisung vom BKS erhalten haben. Diese ermöglicht den Schulen Anpassungen an ihre Situation, die sich oft sehr unterschiedlich präsentiert. Die Schulen und die Gemeinden setzen den Fernunterricht nach ihren Möglichkeiten um und sie werden auch die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts zum Teil eigenständig lösen können. An einer Schule fehlen vielleicht gesundheitlich bedingt gleich mehrere Lehrpersonen. Dann muss diese sich anders organisieren als eine mit idealeren Platz- und Personalverhältnissen. Die vorgegebenen Schutzmassnahmen bedeuten bereits grosse Einschränkungen und Mehraufwand für alle beteiligten. Der Kanton soll die Möglichkeiten nicht noch mehr einengen.
Geht das BKS also gar nicht auf die Forderungen ein?
Grundsätzlich wird am Montag der Präsenzunterricht wieder aufgenommen, das steht fest. Wir publizieren laufend Antworten auf Fragen auf der Website, sobald wir Bedarf feststellen. Zudem stehen wir in ständigem Kontakt mit den Schulleitenden der 205 Schulen und unterstützen sie, ebenso wie wir Lehrer und Eltern beraten. Fragen zu spezifischen Fällen können wir versuchen zu klären, aber wir können und werden keine anderen gesundheitspolitischen Einschätzungen in ein Bildungspapier aufnehmen.
Was geschieht, wenn sich am Montag Eltern weigern, ihre Kinder in die Schule zu schicken?
Ein anderes Thema sind die Maturprüfungen. Auch hier steht das BKS in der Kritik, weil der Aargau die schriftlichen Prüfungen durchführen lässt.
National die Mehrheit, in der Deutschschweiz gar gut zwei Drittel der Kantone, führen Abschlussprüfungen durch. In der Kritik stehen jene Kantone, die auf die Durchführung verzichten, diese bilden den «Sonderfall». Wir haben uns für den Kompromiss entschieden, die schriftlichen Prüfungen durchzuführen und die mündlichen ausfallen zu lassen. Die notwendigen Schutzmassnahmen können in unseren derzeit leerstehenden Kantonsschulen gut eingehalten werden. Aus bildungspolitischer Sicht wäre es ein Armutszeugnis, wenn ein ganzer Jahrgang – ohne ernsthafte Not – keine Maturaprüfungen macht.
Maturanden kritisieren aber, dass sie gegenüber ihren Kollegen aus Zürich benachteiligt werden. Diese machen keine Prüfungen.
Die Matura ist ein Meilenstein in der Bildung, die Prüfungen gehören zum Erreichen der Hochschulreife dazu. Eine «Billigmatur» kann nicht im Interesse der Schülerinnen und Schüler sein. Sie haben sich schliesslich vier Jahre lang auf diesen Abschluss vorbereitet.
Aber ist die Vorbereitung gewährleistet? Schliesslich sind auch die Kantonsschulen seit Mitte März geschlossen.
Deswegen wurden tatsächlich schon mehrere Klassen beim BKS vorstellig. Den Vorwurf der Chancenungerechtigkeit weise ich aber als haltlos zurück. Der Unterricht findet statt, wenn auch als Fernunterricht. Wegen acht Wochen Unterricht aus der Distanz ist die Qualität der Vorbereitung nicht gefährdet. Die grundsätzliche Frage nach Qualitätsunterschieden stellt sich zudem auch im bewährten Präsenzunterricht. Wie in jedem Jahr wird es aber in Einzelfällen zu Nachprüfungen kommen, weil Schülerinnen und Schüler durch Krankheiten oder andere spezielle Umstände nicht an der Abschlussprüfung teilnehmen können.