Angélique Kidjo: «Musik ist die beste Antwort auf Gewalt»

Zur Person

Angélique Kidjo wurde am 14. Juli 1960 im westafrikanischen Benin geboren, emigrierte 1982 vor dem kommunistischen Regime nach Paris und studierte Gesang. 1994 gelang ihr mit dem Album «Ayé» und der Single «Agolo» der Durchbruch. Die temperamentvolle Sängerin, Songschreiberin und Tänzerin avancierte mit wechselnden Mischungen aus afrikanischen Musikstilen, R&B, Funk, Latin und Jazz zum Aushängeschild der sogenannten World Music. In dieser Kategorie wurde sie zwischen 2008 und 2020 mit vier Grammys ausgezeichnet. Seit 2002 ist Kidjo Unicef-Botschafterin und wird 2020 von der BBC unter «100 inspirierendsten und einflussreichsten Frauen der Welt» eingereiht. (rhö)

Weshalb haben Sie Ihr Album zusammen mit jungen afrikanischen Künstlern aufgenommen?

Angélique Kidjo: Ich habe schon immer mit Künstlern jeglichen Alters Musik gemacht, denn das Alter ist nicht wichtig. Ausserdem ist Musik eine gute Medizin und hält dich jung. Das Album ist ein Liebesbrief an Mutter Natur angesichts des Klimawandels, über den die Jugend mehr erfahren möchte. Ich übernehme darin die Rolle der mündlichen Geschichtenerzählerin, die in der Familie oft von Grossmüttern oder Grossvätern gespielt wird.

Kannten Sie die anderen Künstler schon vor Ihrer Zusammenarbeit?

Manche schon, andere habe ich erst im NPR (National Public Radio) entdeckt. Ich liebe es, mit welcher Kühnheit die neue Musikergeneration aus Afrika zu Werke geht. Da sie auch im Umgang mit den modernen Technologien sehr beschlagen ist, muss sie sich von niemand mehr Vorschriften machen lassen, was für Musik sie zu machen haben, sondern kann selbst entscheiden, wer sie ist. Das ist ein wirklicher Paradigmenwechsel.

Wie wurde die Albumproduktion durch die Covid-Einschränkungen beeinflusst?

Sie ist einfacher, entspannter und tiefgründiger geworden. Es gab kein Damoklesschwert, das über unseren Köpfen hing, weder eine Deadline im Studio, noch bei der Veröffentlichung. Wir haben alles getan, was wir wollten, wenn es dem Lied diente. Wir konnten beim kreativen Prozess Zeit lassen, diskutieren, Dateien hin- und herschicken. Ich habe mich über den makellosen und hochwertigen Sound der jungen afrikanischen Produzenten sehr gefreut, aber er war auch eine Herausforderung für mich.

Was wollen Sie mit der Single «Dignity» ausdrücken?

Bei einem Gespräch mit der nigerianischen Sängerin Yemi Alade erzählte sie mir von einer Demonstration gegen die Machenschaften einer korrupten und brutalen Sondereinheit der Polizei, bei der plötzlich mit echten Kugeln auf die Aktivisten geschossen wurde und diese – darunter Familienangehörige und Freunde – um ihr Leben fürchten mussten. Ich riet ihr: «Kehre zurück zur Musik. Musik ist der beste Weg, um auf Gewalt zu antworten.» Ich habe ihr mein Lied «Dignity» geschickt und sie steuerte ihren Teil dazu bei.

Sie haben auch mit Burna Boy, Mr Eazi und Jean Hébrail zusammengearbeitet. Was hat Ihr Ehemann beigetragen?

Wir waren schon immer ein gutes Songschreibergespann, seit Tag eins. In den ersten zehn Jahren unserer Ehe hat mich Jean auch als Bassist auf den Tourneen begleitet. Als unsere Tochter in die Schule kam, beschränkte er sich jedoch gerne auf die Studioarbeit. Er versteht es, Musik auf klassische Art zu komponieren, ich habe ihn allerdings mit meiner Methode «kolonialisiert», Ideen auf ein Gerät zu singen und erst später genauer auszuführen. Sind Sie als afrikanische Künstlerin heute mit anderen Herausforderungen konfrontiert als zu Beginn Ihrer Karriere?

In der Musikbranche war es nie einfach, eine afrikanische Frau zu sein, und der Kampf wird weitergehen, da es im 21. Jahrhundert noch immer viele Menschen gibt, die an Klischees und Stereotypen glauben – sogar mehr denn je. Gemäss diesen sind Afrikaner minderwertig. Das hat mich aber nie davon abgehalten, meinen Weg zu gehen.

Welches sind für Sie die guten und schlechten Seiten der Bezeichnung «World Music», die in Mode kam, als Ihr Stern in den Neunzigerjahren aufgegangen ist?

Sie hat keine gute Seite! Wenn man uns in eine andere Kategorie steckt, bedeutet es, dass wir nicht zur entwickelten, sogenannt zivilisierten Welt gehören. Ich denke da bloss: «Die Musik, die du spielst, was denkst du denn, woher die kommt? Planet Mars? Sie kommt aus Afrika!» Es sind die Heuchelei und der Rassismus der westlichen Welt, welche den Begriff World Music erzeugt haben, der am Ende gar nichts bedeutet.

Sie haben nicht nur vier Grammys für das beste World-Music-Album gewonnen, sondern 2015 auch einen Crystal Award. Wofür erhielten Sie die Auszeichnung des World Economic Forum?

Nicht für meinen Gesang, sondern für mein Engagement für eine Welt, in der Emanzipation, Fairness und Gleichstellung herrschen. Bei meiner Arbeit als Unicef-Goodwill-Ambassador setze ich mich für Frauenrechte, arme Männer, universelle Erstbildung, Kindergesundheit und Impfung ein. Mit meiner Batonga-Stiftung unterstütze ich Mädchen und junge Frauen.

Was ist Ihnen von Ihrem Aufenthalt in Davos und den Begegnungen mit den Mächtigen dieser Welt in Erinnerung geblieben?

Der Schnee. Und es ist kalt, das sage ich Ihnen! (lacht) Aber es ist ein guter Ort, um sich zu treffen, zu verhandeln und Entscheidungen zu treffen. Allerdings weiss ich nicht, wie viel Entscheidungsfreiheit wir auf dieser Welt im Umbruch noch haben, wenn die Pandemie nicht endet. Dabei wäre es dringend notwendig, dass die westliche Welt begreift, dass Afrika und seine Wirtschaft auch wertvoll sind. Durch das Internet verändert sich unser Kontinent so schnell, dass ich jedes Mal, wenn ich irgendwohin zurückkehre, denke: «Was? Das war doch noch nicht da, als ich vor sechs Monaten hier war!»

Und das sehen Sie positiv?

Ja, würden wir unsere Länder nämlich nicht entwickeln, verdient die Bevölkerung auch nicht genug, um zu konsumieren, was die Weltwirtschaft produziert. Und der Markt ist riesig, da Afrika der Kontinent mit der jüngsten Bevölkerung ist. Ansonsten hätte die Pandemie auch noch viel mehr Opfer gefordert.

Bald treten Sie in Zofingen auf. Freuen Sie sich, wieder Konzerte geben zu können?

Ja, als ich meine Tournee in Südfrankreich begann, hat es wirklich gutgetan, die Menschen wieder einmal tanzen zu sehen. Ich werde mich aber nicht unter die Fans mischen, bevor wir alle geimpft sind, da ich weder mich noch andere gefährden möchte.

Weshalb nennen Sie Ihr Live-Programm «An African Odyssey»?

Das Leben jedes Menschen auf diesem Planeten ist eine Odyssee. Du machst Fehler, du fällst hin, du stehst wieder auf. Meine musikalische Odyssee, von welcher die Konzerte erzählen, hat in Afrika begonnen und mich rund um den Globus geführt. Ich weiss nicht, wann sie zu Ende sein wird, aber mit Sicherheit am Tag, an dem ich das Gras von unten ansehen werde! (Lacht)

Magic Night: Angélique Kidjo tritt am Mittwoch, 8. September,  auf dem Heitern in Zofingen auf. Weitere Acts: Gipsy Kings, Opus und Philipp Fankhauser.