Auf die Aargauer Gemeinden kommen Millionenausfälle zu – so will die Regierung auf die Steuersenkung reagieren

Die bürgerliche Mehrheit des Grossen Rates will in einer neuen Steuergesetzrevision die Gewinnsteuern für ertragreiche Firmen schon ab 2022 von 18,6 sukzessive auf 15,1 Prozent senken. Dies gegen den vehementen Widerstand von linker Ratsseite. Gleichzeitig soll der Versicherungsabzug (faktisch der Krankenkassenprämienabzug) für Ehepaare um 50 Prozent von 4000 auf 6000 Franken erhöht werden, für alle anderen Steuerpflichtigen ebenfalls um 50 Prozent von 2000 auf 3000 Franken.

In erster Beratung hat das Kantonsparlament dies im Sommer so mit 91 zu 41 Stimmen beschlossen. Mit Blick auf die entscheidende zweite Beratung hat es der Regierung jedoch sieben Prüfungsaufträge mitgegeben. Dabei ging es auch um die Tragbarkeit der Vorlage für die Gemeinden. Denn anders als der Kanton profitieren sie nicht von stattlichen Gewinnausschüttungen der Nationalbank.

Jetzt liegen die Antworten der Regierung in Form der Botschaft für die zweite Beratung vor. Der Regierungsrat beantragt, die Revision so durchzuführen, wie sie im Sommer aufgegleist wurde. Das heisst, dass sie sich wehren würde, falls die Bürgerlichen die Gewinnsteuern rascher senken wollen als in den vorgesehenen Schritten über drei Jahre.

Höherer Steuerabzug kostet Kanton und Gemeinden zusammen 88 Millionen

Der Pauschalabzug für Versicherungsprämien und Sparkapitalzinsen kann steuerlich abgesetzt werden. Dieser Abzug ist seit 2001 unverändert tief, deshalb sieht Finanzdirektor Markus Dieth hier Handlungsbedarf. «Diese Entlastung kommt direkt den privaten Haushalten und damit unseren Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern zu Gute», sagt er. Wenn die Abzüge erhöht werden, führt dies zu Mindereinnahmen von 46 Millionen Franken beim Kanton und 42 Millionen Franken bei den Gemeinden, zusammen also 88 Millionen Franken.

Finanzdirektor Markus Dieth.

Finanzdirektor Markus Dieth.

Valentin Hehli

Gewinnsteuern sollen sukzessive auf 15,1 Prozent sinken

Die im Aargau ansässigen Unternehmen müssen mit dem heutigen Zweistufentarif Gewinne über 250’000 Franken zu 18,6 Prozent versteuern (Bundes-, Kantons- und Gemeindesteuern). Die Steuerbelastung in diesem ertragsstarken Segment soll zwischen 2022 und 2024 gestaffelt auf 15,1 Prozent reduziert werden. Wenn der Grosse Rat das so beschliesst, hat der Aargau ab 2024 – wie die meisten anderen Kantone – einen einheitlichen Steuertarif.

Gewinnstarke Firmen (im Bild der Blick auf die Industrie in Baden) sollen weniger Steuern zahlen müssen. Der Kanton will so wettbewerbsfähig bleiben.

Gewinnstarke Firmen (im Bild der Blick auf die Industrie in Baden) sollen weniger Steuern zahlen müssen. Der Kanton will so wettbewerbsfähig bleiben.

Alex Spichale

Die Gewinne bis 250’000 Franken werden nämlich schon heute mit 15,1 Prozent besteuert. Mit der Steuervorlage 17 (STAF) hat der Aargau aber laut regierungsrätlicher Botschaft «an Wettbewerbsfähigkeit eingebüsst, aufgrund der damals laufenden Haushaltsanierung wurde auf eine Senkung der Tarife verzichtet». Mit der neuerlichen Revision verbessere er seine Position im interkantonalen Vergleich ins Mittelfeld. Vor der Steuervorlage 17 war er dort gewesen, mit jener Vorlage jedoch auf den drittletzten Platz (vor Zürich und Bern) zurückgefallen.

Eine Reduktion der Unternehmenssteuersätze sei ein bedeutender Anreiz für Unternehmen, ihre wirtschaftlichen Aktivitäten im Aargau zu erhöhen. Die Firmen sollen Investitionen tätigen und gewinnstarke Tätigkeiten und Funktionen im Kanton verstärken oder neu ansiedeln, argumentiert die Regierung. Damit sollen langfristig höhere Steuererträge resultieren.

Zusätzliche, einmalige Kompensationszahlung an Gemeinden von 10 Mio.

Die Reduktion der Gewinnsteuertarife soll ab 2022 in drei Etappen eingeführt werden. Um den Gemeinden Planungssicherheit zu geben, kompensiert der Kanton einen Teil ihrer Mindereinnahmen während vier Jahren durch einen Steuerfussabtausch. Neu beantragt die Regierung eine zusätzliche, einmalige Kompensationszahlung von 10 Millionen Franken an die Gemeinden. Die Kompensationszahlungen des Kantons an die Gemeinden würden damit insgesamt 71 Millionen Franken betragen.

Eine aktualisierte Steuerprognose zeige, dass sich die Steuereinnahmen über alle Gemeinden einzig im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 0,5 Prozent reduzieren, heisst es weiter. Damit die Steuereinnahmen über alle Gemeinden betrachtet in etwa gleich hoch ausfallen wie im 2021, beantragt der Regierungsrat die zusätzliche Kompensation von 10 Millionen Franken.

In den Jahren 2023, 2024 und 2025 erhöhen sich die Steuereinnahmen nach Berechnungen des Kantons im Vergleich zum jeweiligen Vorjahr in allen Gemeinden. Die Regierung schreibt: «Im Vergleich der Jahre 2023, 2024 und 2025 zum Jahr 2020 verzeichnen nur neun der 210 Gemeinden einen Rückgang, während die Steuereinnahmen aller anderen Gemeinden auch unter Berücksichtigung der Steuergesetzrevision ansteigen, je nach Gemeinde jedoch unterschiedlich stark.» Die unterschiedliche Ressourcenstärke und die unterschiedliche Betroffenheit zwischen den Gemeinden würden durch den interkommunalen Finanzausgleich geglättet.

Aufgabenverschiebungen: Ausgleich von 2,5 Millionen an die Gemeinden

Der Grosse Rat verlangte auch eine Überprüfung der Aufgabenverschiebungsbilanz zwischen Kanton und Gemeinden. Das Ergebnis zeigt, dass die Gemeinden, auch unter Berücksichtigung von vier neuen Aufgabenverschiebungen, gesamthaft um rund 2,5 Millionen Franken jährlich mehr belastet werden. Das will der Regierungsrat ausgleichen. Mit einer separaten (zeitgleich publizierten) Vorlage beantragt er dem Grossen Rat die Erhöhung der jährlichen Ausgleichszahlung von 16 auf 18,5 Millionen Franken.

In dieser Berechnung nicht berücksichtigt seien drei Lastenverschiebungen an den Kanton aufgrund von parlamentarischen Beratungen, heisst es weiter. Dieser Verzicht bedeute für den Kanton eine jährliche Mehrbelastung von 18 Millionen Franken.

Über 700 Millionen Franken in der Reservekasse

Wie das Ergebnis der Langfristperspektive 2021 bis 2030 zeige, verfüge der Kanton über die finanzielle Stärke, um Einwohnerschaft und einen wichtigen Teil der Aargauer Wirtschaft steuerlich zu entlasten, hält die Regierung fest. Der Kanton hat mittlerweile über 700 Millionen Franken in seiner Reservekasse. «Der Regierungsrat ist überzeugt, dass die Steuergesetzrevision 2022 den Aargau als Wohn- und Wirtschaftskanton attraktiver macht», sagt Markus Dieth,

Und weiter: «Die höheren Abzüge für Versicherungsprämien und Sparkapitalzinsen entlasten die natürlichen Personen. Mit der Senkung der Gewinnsteuern werden rund 1300 ertragsstarke Unternehmen entlastet, die rund 80 Prozent zum Steueraufkommen der juristischen Personen beitragen und über einen Drittel der Arbeitsplätze im Aargau anbieten.»

Von der verbesserten Wettbewerbsfähigkeit des Kantons würden die Aargauer Wirtschaft und Privatpersonen dank attraktiver Arbeitsplätze im Kanton profitieren, ist Dieth überzeugt. Und die Gemeinden profitierten von der höheren Standortattraktivität für Firmen und Private, was zu Wachstum und damit langfristig zu höheren Steuereinnahmen führen werde.

Volksabstimmung wäre am 15. Mai

Der Grosse Rat wird die Vorlage am 7. Dezember behandeln. Zu erwarten ist, dass sich SVP, FDP und Die Mitte vehement für die Steuersenkung und die höheren Prämienabzüge in die Bresche werfen. Umgekehrt werden vorab SP und Grüne die geplante Gewinnsteuersenkung genauso vehement bekämpfen. Die bürgerliche Mehrheit dürfte sich im Parlament letztlich durchsetzen.

Dann dürfte von links mit hoher Wahrscheinlichkeit das sogenannte Behördenreferendum ergriffen werden. Es kommt zu Stande, wenn es von 35 der 140 Grossrätinnen und Grossräte unterstützt wird. Zu einer Abstimmung käme es auch, wenn die Vorlage nicht mindestens 71 Stimmen bekommen sollte. Die Volksabstimmung wäre dann am 15. Mai 2022.