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Aus Pfarrersohn «Tschässi» wurde ein Landschaftsarchitekt: Ein Rebell hat seinen Platz gefunden

Aus Pfarrersohn «Tschässi» wurde ein Landschaftsarchitekt: Ein Rebell hat seinen Platz gefunden

Das reformierte Kirchgemeindehaus in Kaiseraugst wird derzeit umgestaltet. Für einen ist das wie eine Rückkehr zu seinen Wurzeln: Landschaftsarchitekt Matthias «Tschässi» Fahrni wuchs hier auf. Seine Vita ist schillernd. Im Porträt erzählt er über das Fremdsein, den Streit ums AKW-Gelände – und von zerhackten Weihnachtsbäumen.

Andreas Fischer

In der Landschaft fühlt sich Matthias Fahrni wohl. Mit seinem Beruf als Landschaftsarchitekt hat er seine Berufung gefunden.

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Das reformierte Kirchgemeinde­haus wird derzeit renoviert und die Umgebung neu gestaltet. Die Neugestaltung des Umschwungs steht unter Leitung von Landschaftsarchitekt Matthias Fahrni – für ihn eine Rückkehr zu den Wurzeln.

Er lebte in dem Haus, das der Autor dieses Textes heute bewohnt. Derzeit kommt er ab und zu zurück, um den Garten neu zu gestalten. Das gibt Gelegenheit, gemeinsam in der Vergangenheit zu graben. Matthias Fahrni kam als Zweijähriger nach Kaiseraugst. Er erzählt:

«Ich war kein Schmid und kein Lützelschwab, ein Fremder also und erst noch ein Pfarrerssohn.»

Fahrni kam als Zweijähriger nach Kaiseraugst.

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Doch er liebte das Dorf, das Haus, wo er im Keller sein eigenes Zimmer hatte, den Garten, wo er mit Freunden Fussball spielte. Jeder hatte seinen Spitznamen. Wenn man Matthias in den Sommerferien von irgendwo her eine Postkarte schrieb, adressiert mit «Tschässi, Chaiseraugscht», dann kam sie an.

Matthias absolvierte die Bezirksschule in Rheinfelden und das Gymnasium auf dem Kohlenberg in Basel. Fleissig war er nicht, dafür oft im Kino, am Montag gab’s jeweils zwei Filme für fünf Franken.

«Zwischen 1972 und 1984 habe ich mehr oder weniger jeden Film gesehen.»

Und viel Stutz dafür ausgegeben, den er mit Ferienjobs wieder reinholte, auf dem Bau und beim Ausgraben der Ruine Frohburg bei Olten unter der Leitung des Geschichtslehrers und späteren Archäologieprofessors Werner Meyer, Übername «Burgen-Meyer».

Der Streit um die Atomkraft spaltet das Dorf

An Ostern 1975 wurde das AKW-Gelände besetzt. Der Streit ums AKW spaltete das Dorf. Es wurden Nagelbänder gelegt, auf Plakaten war zu lesen: «Die Ratten müssen weg». Matthias’ Vater, zwischen den Fronten, bangte um seinen Job, der Sohn warf ihm mangelndes Rückgrat vor, heute sieht er das anders.

Nach dem Militär – «17 Wochen für d Füchs» – ging Matthias zur älteren Schwester nach Italien und half ihr, das Haus umzubauen. Noch heute ist er italophil.

Lange Haare, kritischer Geist: Matthias Fahrni.

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Dann fing er an, an der Uni Basel Geschichte, Ethnologie und Geografie zu studieren. Nach zwei Jahren hängte er das Studium an den Nagel und ging zum Berufsberater. Matthias schaute eine lange Liste mit Berufen durch. Sozialarbeiter wollte er nicht werden, das Feld war durch die Mutter besetzt. Schliesslich kam er auf Landschaftsarchitektur, absolvierte ein entsprechendes Praktikum bei der Stadtgärtnerei Basel, besuchte die Fachhochschule in Rapperswil.

Dort gewann er bald den Eindruck, das sei ein Kindergarten für Erwachsene. Die naturwissenschaftlichen Fächer interessierten ihn sowieso nicht. Als der Mathematiklehrer ihm, inzwischen 25 Jahre alt, androhte, wenn er nicht ruhig dasitze, bekomme er eine schlechte Note, lachte er laut auf, erhob sich und sagte, er verlasse hiermit diesen Laden, und zwar für immer.

Appell: Weitermachen und nicht immer «furtsekkle»

Dem Architekturdozenten Peter Erni ist es zu verdanken, dass es anders kam. Er nahm sich den jungen Mann zur Brust und sagte ihm, er soll jetzt mal weitermachen und nicht immer «furtsekkle». Und tatsächlich: Das Studium gefiel Fahrni immer besser. Er schloss ab, arbeitete kurze Zeit als Angestellter im Tessin, merkte, dass er sich selbstständig machen wollte, kehrte zurück nach Basel. Es begannen die langen linearen Phasen im Leben von Matthias Fahrni.

Am 1. Mai 1986 gründete er mit seinem Studienkollegen Beat Breitenfeld die Landschaftsarchitektur-Firma «Fahrni und Breitenfeld». Die Chemie passte perfekt.

Ein Jahr zuvor hatte Fahrni als Lehrer an der Gewerbeschule Muttenz angefangen. Zu Beginn habe er da jeweils einen Informationsvorsprung von zwei Stunden gehabt, erzählt er lachend, aber der Job gefiel ihm, und er machte ihn gut. Ebenso lang ist er mit seiner heutigen Frau Sibylle zusammen, die er bei einer Tannzapfenschlacht und einem der letzten Miles Davis-Konzerte kennen lernte.

Er fühlt sich wohl in Basel

Die beiden wohnen seit 30 Jahren im Bachletten-Quartier in Basel, in einer Wohnung, aus der man Fahrni nur noch mit den Füssen voran rauskriegen wird.

«Das kann gut und gern noch eine Weile dauern. Doch immerhin habe ich inzwischen schon zum vierten Mal mein bedingungsloses Grundeinkommen bezogen.»

Soweit es Knie, Hüften und Rücken zulassen, unternimmt er Wanderungen, macht Ferien in Italien, liest Krimis wie die von Wolfgang Schorlau, Journalist und einstiger «Azubi der Weltrevolution».

Zwischendurch schreibt Fahrni selbst Kolumnen im «Dialog», der Quartierzeitung des Bachletten. Er war lange Jahre Präsident des aus dem Häuserkampf entstandenen Quartiervereins, schrieb damals seine «Hirtenbriefe», wie er sie nennt, heute lautet das Label: «De Fahrni meint…».

Schon als Jugendlicher wollte er Rente

Als Jugendlicher schrieb er, inspiriert von den Juxbriefen des Basler Schriftstellers René Schweizer, den Behörden, er würde gern per sofort eine Rente erhalten, weil er mit 25 das Zeitliche segnen werde. Das sei, erzählt er fast beiläufig, damals seine Überzeugung gewesen.

«Als ich dann am Morgen nach dem 25. Geburtstag mit einer leeren Weinflasche im Arm neben den Bahngleisen erwachte, wusste ich, dass alles, was nun folgt, ein Geschenk sei.»

Der Abend neigt sich der Nacht zu. Es ist Zeit für die grossen Fragen und Themen. Eine äussere Instanz müsse er nicht bemühen, um im Anblick von Ulmen und Sternen ins Staunen zu kommen, sagt Fahrni. Und weiter: «Ich war als Jugendlicher jähzornig. Einmal schlug ich den Weihnachtsbaum im Pfarrhaus kurz und klein. Theologie hat mich nie interessiert und ich habe mich von meinem Vater beraten lassen, wie ich am einfachsten zur Kirche austrete.»

Er habe zwischenzeitlich, in der Häuserbesetzerszene in Italien und mit seinem Gerechtigkeitssinn, davor gestanden, sich zu radikalisieren. «Doch meine Eltern glaubten sehr früh und tief an mich. Dieses Urvertrauen, dass ich immer auf die Füsse falle, ist irgendwie geblieben.»