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«Das Ermessen eines Polizisten ist für mich kein Beweis»: Junger Mann zieht 200-Franken-Busse vor Gericht – und gewinnt

Der Gang zum McDonald’s im November letzten Jahres hätte Mirco (Name geändert) fast mehr als 800 Franken gekostet: 200 Franken Busse, dazu Anklagegebühr und weitere Kosten. Er wurde von der Polizei als Autoposer taxiert. Doch der 27-Jährige fand, er werde zu Unrecht bestraft. Deshalb zog er die Busse für «Verursachen von unnötigem Lärm» vor Gericht.

Nun fand die Verhandlung am Bezirksgericht Kulm statt – mit 45 Minuten Verspätung, weil Mirco nicht da war. Die Befragung des Beschuldigten hatte seinerzeit in Zofingen stattgefunden. «Deshalb dachte ich, die Verhandlung ist auch dort», erklärt Mirco, als er leicht errötet die Treppen des Bezirksgerichts hochläuft. Einen Anwalt hat er nicht dabei. In den Monaten vor der Verhandlung waren «aufwendige Befragungen durchgeführt» worden, so Gerichtspräsident Christian Märki. Das sei bei Bussen in dieser Höhe nicht üblich.

In der falschen Zone

«Ich hatte bisher noch nie mit dem Gesetz zu tun», sagt Mirco zu Beginn der Gerichtsverhandlung. Im November 2020 sei er nach dem Tennisspielen von Buchs nach Reinach gefahren. Auf dem Heimweg wollte er sich im McDonald’s in Reinach etwas zu essen holen. «Ich sah schon von Leimbach her, dass die Polizei Kontrollen durchführte», so Mirco. Extra Lärm zu machen, sei allein schon deswegen sicher nicht seine Absicht gewesen.

Nach dem Zwischenstopp im McDonald’s-Drive-in fuhr er in seinem Mercedes in Richtung Einmündungsstrasse zum Kreisel. Dort sei er dann von der Polizei angehalten worden. Der Beamte habe als Erstes ein Foto von seinem Armaturenbrett gemacht. «Wohl, um zu sehen, in welchem Modus ich fahre», so der Beschuldigte. «Ich fahre meistens im SportPlus-Modus, der ist nun mal etwas lauter», ergänzt er. Jedoch sei das Auto eine Standardausführung und nicht getuned.

«Würden Sie sagen, Sie seien ein Autofan?», fragt Richter Märki. Mirco bejaht. Den Mercedes habe er seit anderthalb Jahren. Die Anschuldigung, er habe mit Absicht vermeidbaren Lärm verursacht, weist der Informatiker aber von sich. «Ich bin normal angefahren, von null auf vielleicht 20 Kilometer pro Stunde», sagt er. Wieso die Polizei sein Fahrverhalten als Provokation einstufte, wisse er nicht. «Vielleicht hatten sie an diesem Tag zu wenig Bussen verteilt», sagt er. Seinen Führerschein hat er, seit er 18 Jahre alt ist. Abgeben musste er ihn nach eigenen Angaben noch nie.

Weiter bezieht sich der Beschuldigte auf das Strassenverkehrsgesetz, in dem steht, dass das Verursachen vermeidbaren Lärms «namentlich in Wohn- und Erholungsgebieten und nachts» verboten sei. «Kontrolliert wurde ich tagsüber und in einer Industriezone», so Mirco. Zudem wurde keine Lärmmessung gemacht. «Das Ermessen eines Polizisten ist für mich kein Beweis», ergänzt er.

Abschliessend sagt der Reinacher: «Ich wurde genug gestraft. Heute musste ich freinehmen, um hierhin zu kommen. Zudem musste ich mich jetzt ein Jahr mit dem Thema befassen. Ich finde es unfair, dass man jemanden so einfach verurteilen kann.»

Aussage gegen Aussage

Nach einer kurzen Urteilsbesprechung spricht Gerichtspräsident Märki den Beschuldigten frei. «Es gibt keine objektiven Beweismittel», sagt er. Wenn jemand mit seinem Auto imponieren wolle, würde er im Übrigen auch eine längere Strecke auswählen.

Zudem seien die Aussagen des befragten Polizisten relativ schwammig. Im Gegensatz dazu habe Mirco plausibel und schlüssig Auskunft über die Ereignisse gegeben. Stünde Aussage gegen Aussage, gelte der übliche Grundsatz: im Zweifel für den Angeklagten. «Der Beschuldigte ist somit vollumfänglich freigesprochen», so Märki. Alle Verfahrenskosten werden von der Staatskasse übernommen, und Mirco steht wegen des Aufwands eine Parteientschädigung von 200 Franken zu.