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Markus Wopmann verlässt nach 30 Jahren die Kinderschutzgruppe: «Es gab Momente, in denen ich dachte, weshalb gewisse Eltern überhaupt Kinder kriegen»

Markus Wopmann sitzt am eleganten Holztisch im obersten Stock seines dreigeschossigen Hauses am Waldrand. Draussen auf der Terrasse liegt ihm ganz Würenlos zu Füssen, der Blick schweift über Spreitenbach bis zum Heitersberg. Hier in seinen eigenen vier Wänden wird er nun öfters Zeit verbringen. Nachdem der 66-Jährige bereits vor einem Jahr als Chef der Kinderklinik am Kantonsspital Baden in Pension ging, tritt er nun per Ende November definitiv aus der von ihm gegründeten Kinderschutzgruppe zurück.

Ganz loslassen kann der engagierte Würenloser jedoch nicht: «Ich amtiere seit kurzem als Fachrichter für Kinderanhörungen im Kanton Aargau», verrät er. Ausserdem setzt er sich dafür ein, dass angehende Kinderärztinnen und Kinderärzte während ihrer Ausbildung einen obligatorischen Weiterbildungskurs zum Thema Kinderschutz absolvieren müssen.

Wopmann erwähnt dies nebenbei, zeigt sich bescheiden, als wäre das Gesagte beinahe unwichtig. Dagegen beweist es: Selbst nach der Pension, nach einem Arbeitsleben voller Herzblut, Leidenschaft und Einsatz macht sich Wopmann noch immer für die Schwächsten in unserer Gesellschaft stark.

Der Arzt hat in seinen 30 Jahren viele traurige Schicksale erlebt

Wopmann gründete die Badener Kinderschutzgruppe im Jahr 1991. Auslöser dafür war ein tragisches Erlebnis während seiner Assistenzarzt-Zeit im Kinderspital Zürich, als ein Kind wegen körperlicher Misshandlung eingeliefert wurde und schliesslich an den Folgen der erlebten Gewalt verstarb. Solche Schicksale habe er viele erlebt: Eltern, die ihre Babys schütteln, ihre Kinder schlagen, sie mental misshandeln. «In einem Fall haben Eltern ihren Sohn jahrelang psychisch gequält», erzählt Wopmann. «Er durfte nicht am selben Tisch wie der Rest der Familie essen, wurde zurückgelassen, als sie mit der Tochter in die Ferien fuhren.»

Wopmann erzählt eine Geschichte, dann eine andere und noch eine weitere. Es sind Geschichten von tragischen Schicksalen, von leidenden Kindern und überforderten Eltern. Während Wopmann spricht, ist seine Stimme ruhig. Und doch merkt man, dass ihm die Fälle noch immer in den Knochen stecken. Er gibt zu:

«Es gab schon Momente, in denen ich dachte, weshalb gewisse Eltern überhaupt Kinder kriegen. Aber als Arzt darf ich meine Emotionen nicht Überhand gewinnen lassen, sondern muss auf professioneller Ebene beurteilen.»

Zudem würden viele Eltern nicht böswillig handeln. Im Gegenteil: «Bei den meisten ist eine gute familiäre Beziehung vorhanden», sagt Wopmann. Gewalt passiere häufig, wenn die Eltern überfordert seien. Aus einer Bagatelle entwickle sich ein Geschrei, ein Streit, dann rutsche die Hand aus – worauf bei vielen sofort Reue folge.

Grobe körperliche Misshandlung hat abgenommen

Das Schlimme sei nicht, dass man sich als Elternteil mit dem eigenen Kind ab und zu überfordert fühle, meint Wopmann. Gerade in der heutigen Zeit sei der Druck auf Erwachsene als auch auf Kinder grösser als früher. Entscheidend sei hingegen, wie man mit solchen Situationen umgehe. Wopmann lässt keinen Spielraum zu:

«Die geringste Anwendung von Gewalt ist zu viel.»

Zum Glück aber habe die systematische, schwere Züchtigung stark abgenommen, es gebe heute weniger grobe körperliche Misshandlung. Naheliegende Gründe dafür seien, dass sich zum einen das gesellschaftliche Wertebild geändert habe, zum anderen weil Misshandlung von Kindern strafrechtlich strenger verfolgt werde.

Wer mit dem Würenloser über Kinder spricht, spürt sofort seine gesamte Leidenschaft: «Ich ging immer gerne arbeiten», sagt er. «Die Freude am Beruf, an der Zusammenarbeit mit Familien und am Gefühl, helfen zu können, hat mich stets angespornt.» Für seine langjährigen Verdienste wurde Wopmann im Jahr 2017 zum Aargauer des Jahres gewählt. Zudem war er von 2011 bis 2020 Präsident der Fachgruppe Kinderschutz der Schweizerischen Kinderkliniken.

Markus Wopmann und seine Frau Carmen am NAB-Award 2019.

Seit wenigen Tagen ist er Grossvater einer Enkeltochter

Wer jetzt aber denkt, Wopmann habe in all diesen Jahren nur Zeit mit fremden Kindern verbracht, irrt sich. «Meine Familie ist mir am wichtigsten.» Das sagt er mit Nachdruck. Deshalb habe er beispielsweise immer versucht, zum Mittagessen zu Hause zu sein – vor allem, als die beiden Söhne noch klein waren. «Die gemeinsame Zeit haben wir alle immer sehr geschätzt», sagt er. Frau Carmen, die sich in der Zwischenzeit dazu gesetzt hat, nickt bekräftigend. «Das tun wir immer noch», fügt sie an. «Unsere Beziehung zueinander ist sehr eng.»

Dann beginnen die beiden zu strahlen und verraten: «Wir sind gestern Grosseltern geworden.» Carmen Wopmann zückt sogleich ihr Handy und zeigt ein Bild. «Ist sie nicht herzig?», fragt sie und wartet die Antwort gar nicht erst ab – natürlich ist sie das. «Für mich wird es bestimmt spannend, meinem Sohn und seiner Frau in ihrer Elternrolle zu helfen», sagt Markus Wopmann. Aber nur, wenn sie seine Unterstützung auch wollen würden. Ansonsten würde er sich raushalten. «Ich will schliesslich nicht der Arzt sein, sondern einfach nur der Grosspapi.»

Familienzeit. Die rückt mit Wopmanns Pensionierung nun stark in den Vordergrund. Der ehemalige Chefarzt freut sich darauf, nun nicht mehr so eingespannt zu sein, wieder flexibler zu sein – und wieder vermehrt auf Reisen zu gehen. Eine weitere Leidenschaft, die auch seine Frau und seine beiden Söhne teilen. Die nächsten Ferien sind bereits geplant: eine Rundfahrt auf einem Tuk Tuk durch den Südosten Indiens.