
Bahnausbau bringt dichteres Zugangebot – aber weniger Direktverbindungen
Der öffentliche Verkehr in der Schweiz wird fortlaufend ausgebaut und verfeinert. Das ist angesichts des Passagierwachstums auch nötig. Dennoch bleiben für viele Reisende in den Hauptverkehrszeiten nur noch Stehplätze – und dies nicht nur auf der SBB-Paradestrecke Zürich – Bern, sondern zum Beispiel auch zwischen Aarau und Bern.
Seine zentrale Lage ist für den Aargau Glück und Pech zugleich: Er liegt mitten auf der Ost-West-Hauptachse St. Gallen – Zürich – Bern – Genf. Diese ist heute schon enorm ausgelastet, besonders zwischen Rupperswil und Zürich. Nötig wäre – da sind sich Bund, SBB und Aargau einig – ein mutiger Ausbauschritt. Ausgetüftelt und seinerzeit in der AZ vorgestellt worden ist eine weitgehend unterirdische Neubaustrecke Rupperswil – Zürich Altstetten.
Das Problem: Diese allein würde fast alle Mittel verschlingen, die bis 2030 zur Verfügung stehen, nämlich 7 Milliarden Franken. Doch es zeichnen sich auch in anderen Regionen grosse Engpässe ab. Für das Bundesamt für Verkehr stehen deshalb mehrere Grossprojekte prioritär zur Diskussion: Der Brüttnertunnel zwischen Zürich und Winterthur, ein viertes Gleis für den Bahnhof Zürich-Stadelhofen, der Zimmerberg-Basistunnel II zwischen Thalwil und Zug, ein in Luzern sehnlichst erwarteter Tiefbahnhof, das Herzstück der S-Bahn Basel und die Netzvervollständigung (Ausbau zweite Röhre) am Lötschberg. Im Mittelland will der Bund das Angebot systematisieren –mit Massnahmen zum Erhalt der Anschlussqualität von Verbindungen.
Was soll der Aargau tun?
Wie soll sich da der Aargau verhalten? Simone Rangosch, Leiterin der Abteilung Verkehr im aargauischen Baudepartement, schickt voraus, sie stehe hier rein für die fachtechnische Sicht. Die Stellungnahme der Kantonsregierung könne und wolle sie nicht vorwegnehmen. «Aber die Neubaustrecke Rupperswil – Altstetten wird zu Recht als eine der schweizweit besten Ausbaumassnahmen überhaupt bewertet.» Rangosch sagt, sie verstehen, dass die Strecke, die allein 7 Milliarden Franken kostet und nicht etappiert werden kann, nicht sofort zu realisieren ist. «Mittelfristig sehen wir aber keine Alternative dazu.» Die Spezialistin erwartet vom Bund, dass er Grossbauwerke ausschliesslich aufgrund des Beitrags zum gesamtverkehrlichen Überlastabbau priorisiert. Rangosch: «Man sollte auf der enorm nachgefragten Strecke Olten – Aarau – Zürich – Winterthur rechtzeitig und richtig investieren.»
Angebot wird verdichtet
Doch was bedeutet eigentlich die vom Bund ausgearbeitete Systematisierung des Angebots im Mittelland? Es soll auf einer bestimmten Strecke nicht mehr zwei verschiedene Verbindungen pro Stunde geben. Künftig soll einfach derselbe Zug halbstündlich und an den gleichen Endpunkt verkehren. Rangosch: «So kann man die Streckenkapazität im Heitersbergtunnel um bis 40 Prozent erhöhen.» Das Angebot zwischen Aarau und Zürich soll weiter verdichtet werden. Das bedeutet
– auf der Strecke Lenzburg – Aarau – Basel einen 30-Minuten-Takt,
– auf der Strecke Brugg – Baden – Zürich einen 15-Minuten-Takt.
– der Bahnhof Lenzburg soll – das ist schon bekannt – ausgebaut werden.
Auch sind zugunsten des Güterbahnverkehrs Ausbauten auf dem Nationalbahn-Trassee geplant, inklusive Entflechtung von SBB und WSB in Oberentfelden
2025 deutliche Verbesserung
Änderungen gibt es im nationalen Verkehr für den Aargau aber schon bis ins Jahr 2025. Es bieten sich nach der Eröffnung des Eppenbergtunnels vor Aarau nämlich zusätzliche Möglichkeiten. Dann sollen in den Tages-Spitzenzeiten IC-Zusatzzüge Bern – Zürich in beide Richtungen in Aarau halten. Zudem wird die Jurasüdfuss-Linie von Genf nach St. Gallen mit Halt in Aarau wieder als Direktverbindung geführt. Weiter ist auf dem Interregio Luzern – Sursee – Zofingen – Bern ein 30-Minuten-Takt geplant. Und es gibt zusätzliche Interregio-Halte im Fricktal (Möhlin und Stein-Säckingen).
2035 massive Verschlechterung
Doch einiges davon wird mit dem Ausbauschritt Step 2030/35 schon wieder verloren gehen. Die Systematisierung hat nämlich für das Untere Aaretal, für Zofingen, für das Freiamt und selbst für Baden ganz massive negative Konsequenzen.
Baden hätte laut Hans Ruedi Rihs, Leiter öffentlicher Verkehr im Baudepartement, künftig mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Direktverbindungen mehr nach Bern. Verbindungen nach Westen werden langsamer. Das Freiamt verlöre seine errungene Direktverbindung nach Zürich wieder. Zofingen verlöre seine Direktverbindung nach Aarau und Brugg, die ja ab 2019 noch kommt, schon wieder. Künftig muss man wieder in Olten umsteigen. Und der ICN auf der Jurasüdfusslinie würde in Aarau künftig durchfahren.
Passagiere aus Baden nach Bern müssten künftig wechselnd in Aarau oder in Olten umsteigen, ergänzt Verkehrsspezialist Oliver Frei vom Baudepartement. Und er betont: «Der Kanton Aargau kann solchen Verschlechterungen gegenüber heute und gegenüber den für 2025 geplanten, notwendigen Verbesserungen keinesfalls zustimmen.» Diese müssten minimal durch substanzielle Verbesserungen auf den betroffenen Linien kompensieren.»
Das fordert der Aargau
Die Verschlechterungen lehnt nicht nur Frei ab, auch der Aargau als Ganzes werde sie nicht akzeptieren. Das macht Simone Rangosch unzweideutig klar. Die Spezialisten des Baudepartements fordern als Ausgleich zu den wegfallenden Direktverbindungen Taktverdichtungen, minimal
– einen Viertelstundentakt auf der Linie Olten – Aarau – Baden mit optimalen Anschlüssen nach Westen,
– einen 15-Minuten-Takt Aarau – Lenzburg – Zürich und einen Halt in Aarau für den Intercity Genf – Zürich – St. Gallen,
– einen 15-Minuten-Takt für die Linie Wohlen – Lenzburg mit Anschluss nach Zürich,
– die Direktverbindung Aarau – Zofingen soll unbedingt verteidigt werden.
Rangosch: «Ohne diese Ausbauten auf den Viertelstundentakt als Ausgleich der Verschlechterungen müsste der Aargau die Systematisierung in der vorliegenden Form ablehnen.»
Lenzburg: zwei Unterführungen
Der Kanton will aber noch mehr. Der Bahnhof Lenzburg brauche künftig unbedingt zwei Unterführungen, sagt Hans Ruedi Rihs. Eine Unterführung – auch wenn sie vergrössert wird – werde das schnell steigende Passagieraufkommen nicht mehr schlucken können.
Weiter dürften die vom Aargau geforderten neuen Haltestellen Oftringen Zentrum, Wettingen Tägerhard und Hunzenschwil Schoren von «Bern» nicht zurückgestellt, sondern müssten raschmöglichst realisiert werden. Rangosch erläutert: «Dort sind lauter Entwicklungsschwerpunkte. Diese Haltestellen brauchen wir.»
Schliesslich fordern die Verkehrsspezialisten des Kantons, auf der Nationalbahnstrecke im Westaargau diverse Bahnübergänge durch niveaufreie Kreuzungen zu ersetzen, wenn dort gemäss Bund künftig mehr regionaler und nationaler Güterbahnverkehr zirkulieren soll. Rihs sagt: «Entlang dieser Strecke gibt es im Privatverkehr heute schon zu viele Verspätungen, weil die Schranken so oft unten sind. Noch mehr Schliessungszeit geht nicht.»
Bei den Niveauübergängen ebenso wie im Bahnhof Lenzburg und bei der Entflechtung von SBB und WSB in Oberentfelden sei es wichtig, «bei der Ausführung nicht aus Spargründen Abstriche zu machen», so Oliver Frei. «Sonst müsste man später für teures Geld nachrüsten. Im Ergebnis würde es dann teurer. Also besser gleich richtig machen!»
Aargau fordert mehr Mittel
Für die verbesserte Betriebsstabilität wollen die SBB 0,4 Milliarden Franken investieren. Das reiche aber bei weitem nicht, sagt Simone Rangosch: «Wir fordern, den Kredit um 0,5 Milliarden Franken zu erhöhen. Nur so können die nötigen zusätzlichen Massnahmen für die Betriebsstabilität und ein qualitativ gleichwertiges Angebot in den Ausbauschritt 2030/35 aufgenommen werden.»
Damit müsste der finanzielle Rahmen für den gesamten Ausbauschritt auf 12 Milliarden Franken aufgestockt werden. Rihs: «Das sind lediglich etwa 10 Prozent der Gesamtsumme. Das muss drinliegen, damit das bis aufs Äusserste ausgelastete Netz wirklich stabil bleibt.» Die Mehrkosten allein für die oben geforderten Viertelstundentakte schätzt Oliver Frei auf rund 200 Millionen Franken.
Damit ist der Infrastruktur-Engpass im Aargau aber nicht behoben, so Rihs: «Die Systematisierung ersetzt nämlich die Direktverbindungen nicht.» Deshalb fordert Rangosch vom Bund, zusätzlich aufzuzeigen, «wann die Neubaustrecke Rupperswil – Zürich Altstetten kommt, und wie sie angesichts der grossen Investitionskosten und begrenzten Mittel im Bahninfrastrukturfonds finanziert wird». (Mathias Küng/AZ)