Baustoff Holz wird immer beliebter: Aargauer Holzbauer jagen Höhenrekorde

Fachkräftemangel: Noch immer zu wenig Zimmermänner

Die Halle ist riesig, um die 10000 Quadratmeter. Ganz hinten steht ein Lastwagen samt Anhänger, es hätte auch problemlos Platz für zehn weitere. Wir sind in Stein, im Fricktal. Zur linken fliesst der Rhein, im Norden liegt die Grenze zu Deutschland, nur wenige Meter südlich rauschen Autos über die A3. Bis vor wenigen Jahren gehörte das Gebäude der Jakem AG, einem Stahlbauer. Seither prangt in blauen Lettern der Name Erne an der Fassade. Holz statt Stahl. Es ist sinnbildlich für den Wandel, der sich gerade in der Baubranche vollzieht.

Holzbau ist im Trend. Fast jedes zehnte neue Gebäude in der Schweiz besteht aus einer Holzkonstruktion, bei den Einfamilienhäusern ist es gar jeder fünfte Neubau. Die Möglichkeiten scheinen grenzenlos – von Schulen über Brücken und Labore bis zu Parkhäusern lässt sich aus dem biologischen Rohstoff fast alles realisieren. Immer öfter baut man in die Höhe: In der Stadt Zug ist ein 80 Meter hohes Holzhochhaus mit 200 Wohnungen in Planung. Es wird das höchste Hochhaus aus Holz im Land sein.

Für das Projekt in der Innerschweiz bewarb sich auch die Erne AG Holzbau. Den Zuschlag bekam letztlich Implenia. Damit verpasst Erne zwar den neuen Höhenrekord, hadern müssen die Aargauer deswegen aber nicht. Das Unternehmen zählt zu den zehn grössten Holzbaufirmen der Schweiz, grosse Aufträge kommen regelmässig. Zudem setzten die Fricktaler bereits eine ­Marke: Das erste Holz-Hochhaus der Schweiz – das 36 Meter hohe «Suurstoffi 22» in Risch-Rotkreuz ZG – haben sie gebaut. Mit dem Hochhaus «Arbo» (60 Meter) gleich daneben legte Erne nach.

Patrick Suter sitzt im Besprechungszimmer und rührt mit dem Löffel im Kaffee. Seit letztem Oktober ist er Geschäftsführer von Erne Holzbau, davor war er hier in Stein jahrelang Standortleiter. Der 46-Jährige ist Bauingenieur, gelernter Zimmermann, er lebt in einem Haus aus Holz. Wenig überraschend sagt er: «Holz ist ein idealer Werkstoff.» Wenn man ökologischer bauen wolle, führe kein Weg daran vorbei. «Wir haben es hier in unseren Wäldern, es wächst nach, bindet CO2 und ist wiederverwertbar», listet Suter die Vorzüge auf. Besonders in der Baubranche, die gemäss Schätzungen rund einen Drittel der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verursacht, ist das nicht zu unterschätzen. Der Druck, nachhaltiger herzustellen, ist gross.

Mit dem Roboter baut man zehnmal schneller

Holz wird als Baustoff also beliebter, weil er umweltverträglicher als Beton ist. Das allein erklärt aber nicht, weshalb die Bauten derart in die Höhe schiessen, weshalb sie immer aufwendiger werden. Viel hat auch mit den Brandschutzvorschriften der Feuerversicherungen zu tun. Diese wurden vor einigen Jahren gelockert. Heute kommt es weniger darauf an, aus was ein Haus gebaut ist, sondern wie es konstruiert worden ist. «Früher durften wir mit Holz nur maximal sechs Geschosse hoch bauen», sagt Suter. Inzwischen liegt die Maximalhöhe bei 100 Metern.

 
Seit letztem Oktober der Chef in Stein: Geschäftsführer Patrick Suter.

Seit letztem Oktober der Chef in Stein: Geschäftsführer Patrick Suter.

© Bilder: Sandra Ardizzone

Mit den neuen Brandschutzvorschriften trägt man auch der technologischen Entwicklung Rechnung. Die Materialforschung ist weit fortgeschritten, es ist bekannt, dass sich Holz als stabiler Baustoff leicht verarbeiten lässt. Immer häufiger kommen indus­trielle Roboter zum Einsatz, die Produktion wird schneller.

Patrick Suter leitet uns durch die Büroräume. Leitsätze wie «Wir teilen Wissen» oder «Gemeinsam ans Ziel» hängen eingerahmt an der Wand. Als wir in der Fertigungshalle ankommen, steht er vor uns: Der «Woodflex 56», der siebenachsige Roboter, mit dem Erne in bestem Marketing-Sprech «eine neue Ära des Bauens» ankündigte. 2015 weihte Erne die Anlage ein, laut Firmenangaben ist es die grösste ihrer Art in Europa.

Mensch und Maschine teilen sich die Arbeit auf. Ingenieure erstellen die Pläne, Programmierer lesen die Daten ein, dann schneidet der Roboter die Teile zu und positioniert sie im Raum. Gerade reiht der Greifarm Holzböden aneinander. Verschraubt werden die Balken und Bretter noch immer von Hand. «Was rein handwerklich 100 Stunden dauern würde, können wir mit Hilfe des Roboters in zwölf Stunden erledigen», erklärt Suter. Es beflügelt den Produktionsablauf. Exakter, besser, rund um die Uhr.

Schaut man sich die einzelnen Stücke an, fällt auf, dass jedes mit einer eigenen Nummer beklebt ist. AW 114 beispielsweise – Aussenwand, 1. Stock, Element 14. Der Modus Operandi hier in der Werkhalle: Vorfertigung. Ein Gebäude wird in seine Einzelteile zerlegt, die man auf der Baustelle nur noch nach Bauplan zusammensetzen muss. «Ich vergleiche es mit Lego», sagt Suter. Ganze Häuser können so in der Industrie in Stein fertig konstruiert, auf die Lastwagen gehievt und zu den Bauarbeitern vor Ort gefahren werden.

Nicht alle sind digital so stark unterwegs wie Erne

Für ihren Portalroboter gewann Erne Holzbau vor drei Jahren in Wien den Innovationspreis. Die Lust, etwas zu wagen, gehöre zur Firmen-DNA, sagt ­Suter, seit 25 Jahren im Betrieb. «Wir haben keine Angst vor Neuem.» Erne ist gleichzeitig Abbild und Treiber einer Branche, die sich auf Hightech trimmt. «Building Information Modelling», kurz BIM, heisst der Begriff, der in Architekturbüros und Holzbetrieben immer stärker Einzug findet. Es ist die neue Art, wie gearbeitet wird: Bau­pläne werden dreidimensional erfasst, Prozesse verknüpfter und effizienter. «Ohne 3D-Modell geht nichts mehr», sagt Suter stellvertretend.

 

Folgenlos bleibt das nicht. Die Digitalisierung verunsichere viele, heisst es in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins «Hochparterre». Laufen kleinere Zimmereien Gefahr, von der digitalen Entwicklung abgehängt zu ­werden? Felix Bühlmann, Vorstandspräsident des Branchenverbands Holzbau Schweiz, Sektion Aargau, sagt: «Das BIM wird die grosse Herausforderung in den nächsten Jahren sein. Da kann nur mithalten, wer investiert und gut ausgebildetes Personal beschäftigt.» Die grossen Firmen setzen derweil auf Weiterbildung. Denn mit dem traditionellen Jobprofil hat der Beruf des Zimmermanns nur noch wenig gemein: Die technischen Anforderungen werden höher, die Aufgaben komplexer. «Wir brauchen Spezialisten, damit wir unsere Anlagen entwickeln und verbessern können», sagt Patrick Suter. Die Branche wachse, dem könne man sich nicht einfach verschliessen.

Und weil man bei Erne eben die entsprechenden Mittel hat, wachst man kräftig mit. Mit der ehemaligen Jakem-­Halle wurde das Industrieareal in Stein erweitert, die Firma verfügt über weitere Entwicklungsreserven in Form von Land. Je grösser die Flächen für die Produktion sind, desto umfangreicher werden die Projekte. Derzeit realisiert Erne als Totalunternehmerin den Park Innovaare beim Paul-Scherrer-Institut in Villigen. Über 35000 Quadratmeter Labore, Werkstätten und Büros – hochmodern, hochflexibel, «Silicon-Valley-­like». So lauten die Ansprüche der Bauherren. Erne fühlt sich bereit, ihnen gerecht zu werden. Logisch. «Holz gehört die Zukunft», sagt Patrick Suter.