Bei zu viel Glühwein kommt Team 4 – unterwegs mit Nez Rouge Aargau

Vorbereitungen für die erste Fahrt (Bild: Fabio Baranzini)
Vorbereitungen für die erste Fahrt (Bild: Fabio Baranzini)

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Zweierteams stehen in den strengsten Nächten im Einsatz. Diese sind jeweils an den Wochenenden vor Weihnachten sowie in der letzten Woche des Jahres. Die Einsätze dauern jeweils von 22 bis 1.30 Uhr (freitags und samstags bis 3.30 Uhr).

Weitere Infos finden Sie auf www.nezrougeaargau.ch.

Freitagabend, 21.24 Uhr. Der Regen fällt in schweren Tropfen durch den schwarzen Abendhimmel, eine weihnachtlich beleuchtete Tanne beugt sich im Wind. Dutzende Männer und Frauen kämpfen sich durch das Unwetter über den Platz vor der Berufsschule Lenzburg. Sie tragen Leuchtwesten oder rote Jacken, auf denen das Logo von «Nez Rouge» aufgenäht ist. Unter ihnen sind auch Christoph Knöpfli und Bernhard Kipfer, bereit, ihre Schicht als Fahrer anzutreten. Sie bringen diejenigen sicher nach Hause, die selber zu viel getrunken haben, um ihr Auto sicher zu lenken.

Einsatzleiterin Nicole Tagmann erklärt den Fahrern zu Beginn nochmals das neue Auftragssystem. Diese kommen neu nicht mehr via Telefon, sondern direkt via SMS zu den Freiwilligen. Mit einem Klick können diese die Aufträge dann bestätigen. In der Einsatzzentrale wissen die Verantwortlichen zu jeder Zeit, wer frei ist und so einen Auftrag entgegennehmen kann – auch dies geschieht mit wenigen Mausklicks am Computer.

Zu viel Glühwein

22.17 Uhr: Knöpflis Smartphone vibriert. Team 4 hat seinen ersten Auftrag erhalten. Die beiden Männer ziehen ihre Leuchtweste an und machen sich auf den Weg zum Parkhaus. Im Auto angekommen, tippen sie die Adresse ins Navigationsgerät ein und rufen die Kundin an, um sie wissen zu lassen, wann sie ankommen werden. Die Fahrt wird eine Weile dauern – die Frau hat aus Besenbüren angerufen. Knöpfli schreibt sich den Kilometerstand des Autos auf und fährt los.

Er ist schon seit acht Jahren als Freiwilliger bei Nez Rouge. «Ich arbeite im Aussendienst», erzählt er. «Und ich bin jeden Abend froh, wenn ich sicher zu Hause ankomme», fügt er an. Aus diesem Grund habe er angefangen, als Fahrer mitzuwirken. Ihm ist es wichtig, dass auch diejenigen sicher nach Hause kommen, die am Weihnachtsessen ein Glas Wein zu viel getrunken haben. «Das ist mein Sozialbeitrag an die Gesellschaft», findet Knöpfli.
22.54 Uhr: Knöpfli und Kipfer kommen in Besenbüren an. Eine junge Frau war in Bremgarten am Weihnachtsmarkt und hat Glühwein getrunken – sie hat sich entschieden, Nez Rouge zu rufen, statt selber hinters Steuer zu sitzen. Kipfer setzt sich in ihren VW und macht sich mit ihr auf dem Beifahrersitz auf den Weg nach Sins, wo sie zu Hause ist.

Auch Kipfer will mit seinem Einsatz einen Beitrag an die Gesellschaft leisten. «Es ist ein Privileg, in einem Land wie der Schweiz zu leben, da will ich etwas zurückgeben», erklärt er. Er ist seit zehn Jahren dabei und macht jedes Jahr mit, wenn der Beruf es zulässt. Kipfer ist Interim-Manager – wenn in einer Firma etwas schiefläuft oder ein Manager fehlt, springt er ein und übernimmt für eine Weile. Diese Eigenschaft zeigt er auch als Fahrer: Wenn zu Beginn der Fahrt eine unangenehme Stille aufkommt, übernimmt er. Fragt nach dem Weihnachtsmarkt, dem Geschäftsessen, der Party. Die junge Frau taut auf, berichtet von ihrem Abend, bis sie zu Hause ankommt.

«Es ist immer spannend, neue Leute kennen zu lernen», findet Kipfer. Trotzdem ist er immer vorsichtig, wenn er im Einsatz ist: «Ich habe mal ein Auto stehen lassen müssen, weil es noch die Sommerpneus montiert hatte und das Licht kaputt war», erzählt Kipfer. Auch, wenn der Kunde gleich noch eine ganze Gruppe von Freunden mitnehmen und an verschiedenen Orten abladen möchte, muss Kipfer manchmal Nein sagen. «Wir sind kein Taxiunternehmen und wollen diese auch nicht konkurrenzieren.»

Mitternachtspause

23.17 Uhr: Warten auf den nächsten Auftrag. Kipfer schreibt die Fahrt in sein Protokoll: Abholort, Abgabeort, Anzahl Personen, Trinkgeld. Letzteres ist regelmässig Thema für die Fahrer. Oft würden sie gefragt, wie viel Trinkgeld man geben soll. «Wir fragen dann zurück: Was ist es Ihnen wert, dass Sie und Ihr Auto sicher zu Hause sind?», erklären die Männer. Es komme jedoch auch vor, dass Kunden gar kein Trinkgeld geben. Schon zehn Minuten später vibriert erneut Knöpflis Smartphone. Er akzeptiert den Auftrag. Quer durch den Kanton geht es nach Wohlenschwil, um einen jungen Mann vom Geschäftsessen abzuholen und ihn nach Windisch zu bringen.

Kurz nach Mitternacht machen Knöpfli und Kipfer eine Pause und fahren zurück in die Einsatzzentrale. 90 Kilometer haben die beiden Männer bereits zurückgelegt, und das nach erst zwei Fahrten. «Das ist schon ziemlich viel», sagt Knöpfli und beisst in einen Berliner vom Verpflegungsstand. Die Nacht wird noch lange dauern: Bis 3.30 Uhr sind sie eingeteilt. «Es ist auch schön, dass wir ab und zu eine kurze Pause einlegen und einen Kaffee trinken können», sagt Kipfer. Und schon vibriert Knöpflis Smartphone wieder. Er blickt auf das Display, drückt «bestätigen» und nimmt den letzten Bissen seines Berliners. «Wir müssen los», sagt er zu Kipfer, und die Männer treten durch die Schiebetür in die kalte, regnerische Nacht.