
Betrugsfälle: Viele Aargauer missbrauchen die Covid-Kredite
Im März 2020 musste es schnell gehen. Praktisch von heute auf morgen wurden zig Firmen geschlossen. Damit diese ihre laufenden Kosten decken konnten, hatte der Bundesrat ein Hilfspaket aus dem Boden gestampft. Betriebe, die eingeschränkt waren, konnten zinslose Kredite beantragen. Die Bürgschaft dafür übernahm der Bund. Weil es schnell gehen musste, wurden die Gesuche nie wirklich geprüft, sondern einfach massenhaft bewilligt. Bis Ende Juli konnten Firmen solche Kredite beantragen.
Das rief auch Betrüger auf den Plan. Obwohl die Gesuche zuerst einfach bewilligt wurden, sind sie nachträglich dann doch noch angeschaut worden. Mittlerweile laufen bei der Aargauer Staatsanwaltschaft 80 Verfahren gegen mutmassliche Covid-Kredit-Betrüger. Das sind so viele, dass die bestehenden Ressourcen der Staatsanwaltschaft nicht ausreichen. Das Ziel müsse sein, diese Fälle in absehbarer Zeit zu erledigen, schreibt Oberstaatsanwalt Daniel von Däniken. Das sei im Moment unmöglich.
Darum möchten die Staatsanwaltschaft und die Kantonspolizei befristet neue Stellen schaffen, um die Covid-Betrugsfälle abarbeiten zu können. Eine entsprechende Vorlage wird aktuell vom Departement Volkswirtschaft und Inneres ausgearbeitet. Darüber entscheiden wird dann der Grosse Rat. Da die Vorlage noch in Bearbeitung ist, könne man noch keine Angaben machen, um wie viele Stellen es konkret bei der Staatsanwaltschaft und der Kantonspolizei gehen soll.
Nicht bei allen Verfahren ist am Ende auch etwas dran
Die 80 Verfahren widerspiegeln noch nicht einmal die tatsächliche Anzahl der mutmasslichen Betrüger: Ein Verfahren kann auch mehrere Kredite und Firmen beinhalten. Von den 80Verfahren sind bisher 7 abgeschlossen. In 4Fällen erhärteten sich die Vorwürfe nicht, es folgten Einstellungsverfügungen. Bei einem Verfahren wurde der Strafbefehl angefochten, dort wird es zu einer Gerichtsverhandlung kommen. Allerdings wurden diejenigen Vorwürfe wegen Covid-Kredit-Betrugs fallen gelassen, an der Verhandlung wird es um andere Delikte gehen.
Ein Wirte-Paar machtefalsche Angaben
In zwei Verfahren liegen rechtskräftige Strafbefehle vor. Der eine betrifft ein Aargauer Wirte-Ehepaar, das wegen Betrug und Urkundenfälschung verurteilt wurde. Sie haben einen höheren Kredit beantragt und bekommen, als sie eigentlich Anspruch gehabt hätten. Die Kredite betrugen zehn Prozent des Jahresumsatzes. Für die beiden mit einem Jahresumsatz von rund einer Million Franken hätte das einen Kredit von 100000 Franken ergeben.
Das interessierte die beiden aber offenbar nicht. Stattdessen berechneten sie, wie viel Geld sie in etwa benötigen würden. Weil sie nicht wussten, wann sie wieder öffnen dürfen, weil keine Hochzeiten und Geburtstagsfeste durchgeführt wurden und weil die Sommermonate die umsatzstärksten für ihr Geschäft sind, kamen sie auf rund 210000 Franken, die sie brauchen würden.
Und so gaben sie Ende März 2020 ihrer Bank an, einen Jahresumsatz von 2,1 Millionen Franken zu generieren. Wie die beiden vermutet hatten, wurde gar nie überprüft, ob das stimmt, und sie erhielten ihre 210000 Franken. Damit deckten sie dann nicht nur laufende Kosten, sondern sie bezahlten auch Altlasten, offene Rechnungen in der Höhe von rund 90000 Franken, die bereits Ende Januar fällig gewesen wären. Die beiden kamen mit einer bedingten Geldstrafe von 3000 Franken sowie einer Busse von 600 Franken davon.
Ein Bauunternehmer kaufte mit dem Kredit Autos
Der zweite Strafbefehl betrifft eine kleine Baufirma. Auch deren Inhaber wurde wegen Betrug und Urkundenfälschung verurteilt. Er beantragte einen Kredit von 50000 Franken – der ihm auch gewährt wurde. Allerdings: Die Baubranche hatte gar keine erheblichen Einbussen wegen der Coronapandemie. Auch der Firmeninhaber nicht. Trotzdem gab er genau das im Gesuch an. Ausserdem benutzte er dann das Geld nicht für laufende Kosten – einzig dafür darf es eingesetzt werden –, sondern er kaufte damit mehrere Autos für die Firma. Auch er habe vorausgesehen, dass die Gesuche nicht wirklich geprüft werden würden, steht im Strafbefehl. Und er habe gar nie die Absicht gehabt, das Geld vereinbarungsgemäss einzusetzen.
Weiter wurde der Mann wegen Geldwäscherei verurteilt – er hatte den Kredit abgehoben und die Autos bar bezahlt. Und er hatte noch Ausländer ohne Arbeitsbewilligung beschäftigt. Für all das wurde er mit einer bedingten Geldstrafe von 8000 Franken und einer Busse von 1600 Franken bestraft.
Gerade der erste Fall sei kein Einzelfall, schreibt Oberstaatsanwalt Daniel von Däniken. In vielen der 80 Verfahren habe sich das Muster herauskristallisiert, dass Unternehmen zu hohe Umsatzzahlen angeben, um höhere Kredite zu bekommen. Im Laufe der Untersuchungen stelle sich dann heraus, dass die angegebenen Umsatzzahlen gar nicht stimmen können.
Es könnte am Ende um zehn Millionen Franken gehen
Wie hoch der Deliktsbetrag insgesamt sein könnte, dazu will die Staatsanwaltschaft keine Schätzungen machen. Polizeikommandant Michael Leupold sagte Anfang Jahr, man gehe davon aus, dass sich der gesamte Deliktsbetrag auf über zehn Millionen Franken belaufen dürfte.
Das sind nur die Fälle, in denen es um Covid-Kredit-Betrugsfälle geht. Seither wurden noch eine Reihe weiterer Hilfsmassnahmen aufgegleist: Härtefallgelder, Kurzarbeitsentschädigungen, Fixkostenbeiträge. Auch dort rechnet die Staatsanwaltschaft damit, dass es zu Delikten kommen wird. Mit etwa 100 weiteren Verfahren rechnet Oberstaatsanwalt Philipp Umbricht, wie er sagte. Aktuell ist wegen Missbrauchs dieser Finanzhilfen noch kein einziges Verfahren bei der Staatsanwaltschaft am Laufen.