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Gelegenheit macht Covid-Betrüger – «Verwerflich», findet das der Gerichtspräsident

Er braucht vor dem Bezirksgericht Aarau einen Übersetzer, aber als es um Covid-Kredite ging, hat Mergim (Name geändert), 33, sofort verstanden. Kaum hatte der Bundesrat unbürokratische Hilfe für Firmen in Notlage im Frühjahr 2020 in Kraft gesetzt, stand er am 23. März bei der Neuen Aargauer Bank (NAB) auf der Matte. Mit ausgefülltem Antragsformular samt Unterschrift. Und er erhielt prompt einen Covid-Kredit von 130’000 Franken.

In zwanzig Minuten zu so viel Geld kommen, das schreit nach Wiederholung, wird er sich gedacht haben. Und er suchte fünf Tage später die Aargauer Kantonalbank (AKB) heim. Übermut? Auf jeden Fall ergaunerte er sich da 300’000 Franken. Dreist? «Verwerflich», wird Gerichtspräsident Andreas Schöb später sagen.

Ohne Buchhaltung – aber mit blühender Fantasie

Mergims Firma war im Bauwesen tätig. Schalungen, Renovationen, Treppen, Abbrucharbeiten. Mergim bleibt im Unbestimmten. Bei der NAB hatte er einen Umsatzerlös von 1,3 Millionen, bei der AKB 3,3 Millionen geltend gemacht. Beträge, die jeder Grundlage entbehren. Buchhaltung? Fehlanzeige. Mal habe ein 80-jähriger Landsmann sie geführt, mal eine Broker-Firma, mal ein Rumäne. Unterlagen habe er in einem Auto, das er in den Kosovo verkauft habe, versehentlich liegenlassen.

Mergim wird mehrfacher gewerbsmässiger Betrug vorgeworfen. Davon will sein Verteidiger nichts wissen. Er moniert eine Opfermitverantwortung: Die Bank hätte das Geld nicht so leicht herausrücken dürfen. Er fordert in seinem Plädoyer gar noch eine Genugtuung für die vorzeitig angetretene Haft.

Gelder, bar bezogen, bleiben verschwunden

Staatsanwalt Karl Knopf sieht das ganz anders. Zum Betrug komme noch mehrfache Urkundenfälschung: falsche Angaben auf den Kreditgesuchen. Und in den Betrugsfällen hält er aufgrund der hohen Beträge eine Gewerbsmässigkeit für gegeben. Mit 430’000 Fragen lässt sich eine Zeit lang leben.

Dazu kommt Geldwäscherei, denn das Schicksal der Kreditgelder ist nicht geklärt. Sie bleiben verschwunden, was Mergim dem Staatsanwalt bei einer Vernehmung genüsslich unter die Nase gerieben habe. Er hat die Gelder jeweils ziemlich rasch in bar bezogen. Um Schulden der Firma zu tilgen, habe er 80’000 Franken eingesetzt. Die restlichen 50’000 Franken vom ersten Kredit? Schweigen. Seine Firma habe er einem Rumänen verkauft, dessen Namen er nicht kenne. Und ihm gleich noch 200’000 Franken vom zweiten Kredit gegeben.

Gemäss Anklageschrift soll er einen Teil der Gelder für seinen privaten Lebensunterhalt und zur Tilgung von Spielschulden eingesetzt haben. Im Juni 2020 wurde über Mergims Firma der Konkurs eröffnet. Dies nach Betreibungen, deren erste im Juli 2019 einging. Folgerichtig ist er auch der Unterlassung der Buchführung und der Misswirtschaft angeklagt.

Illegal in der Schweiz – Bereicherung kurz vor Ausweisung

Die Vorgeschichte hat es in sich: Von 2007 bis 2012 hielt Mergim sich illegal in der Schweiz auf, schlug sich nach eigenen Aussagen mit Schwarzarbeit durch, lebte bei einer Schweizer Familie im Kanton Glarus. Seit 2018 wusste er, dass er die Schweiz verlassen muss, erstritt Fristerstreckungen, die letzte bis Ende März 2020.

Zehn Verurteilungen, zumeist wegen zu schnellen Fahrens, zieren sein «Palmarès». Das schlimmste Vergehen: Heroinhandel (680 Gramm). Er wurde 2018 verurteilt zu einer teilbedingten Gefängnisstrafe. Nun droht der Widerruf der 26 Monate, die bei einer Probezeit von drei Jahren bedingt ausgesprochen worden war.

5,5 Jahre Gefängnis – sieben Jahre Landesverweisung

Das Gericht hält den mehrfachen Betrug für erwiesen, nicht aber die Gewerbsmässigkeit. Andreas Schöb:

«Sie haben, besonders verwerflich, uns alle, die Steuern bezahlen, betrogen.»

Mergim ist auch schuldig der Geldwäscherei, der Unterlassung der Buchführung und der Misswirtschaft. Statt fünf Jahre, Antrag der Staatsanwaltschaft, muss er 5,5 Jahre ins Gefängnis: 26 Monate, die vom Heroinhandel her fällig werden, 40 Monate für die aktuellen Delikte.

Die Landesverweisung von sieben Jahren (Antrag Staatsanwaltschaft 15 Jahre), gültig für den gesamten Schengenraum, hält das Gericht für angemessen. Härtefall? Das Gericht sieht keinen: mangelhafte Integration, keine positive Prognose, Gefährdung der Sicherheit. Mergim hat hier zwei Kinder, die bei der Exfrau hier in der Schweiz leben, und im Kosovo leben seine Eltern.

Dazu kommen hohe Kosten auf ihn zu: Rückzahlung der 430’000 Franken, Verfahrenskosten. Auch die Kosten für die amtliche Verteidigung (70 Stunden) kann der Staat zurückfordern, wenn es Mergims wirtschaftliche Verhältnisse zulassen.

Das Urteil und dessen Begründung will Mergim nicht übersetzt haben; vermutlich hat er, bevor er in Fussfesseln wieder ins Zentralgefängnis Lenzburg zurückgeführt wurde, genau verstanden. Das Urteil kann ans Obergericht weitergezogen werden.