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«Ich habe den Polizisten vertraut»: Nach dem Knall auf der Autobahn folgt das böse Erwachen vor Gericht

«Ich habe keine Chance gehabt zu bremsen», sagt Marin (Name geändert) vor dem Bezirksgericht Baden. Man sieht es dem 37-jährigen Serben an: Er ist überzeugt, dass ihm vor Gericht Gerechtigkeit widerfahren wird. Deshalb hat er Beschwerde eingereicht gegen einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft.

Im Januar 2020 war Marin in einen Auffahrunfall auf der Autobahn bei Neuenhof verwickelt. Wegen mangelnder Aufmerksamkeit habe er als Lenker eines Peugeots, so die Staatsanwaltschaft, zu spät bemerkt, dass die Fahrzeuge vor ihm abbremsten. Und wegen ungenügenden Abstands sei er – trotz Vollbremsung – in einen Audi gekracht.

Gemäss Strafbefehl sollte Marin wegen einer Verletzung des Strassenverkehrsgesetzes zu einer Busse von 300 Franken verurteilt werden. Dazu kamen eine Strafbefehlsgebühr von 400 und Polizeikosten von 310 Franken. Summa summarum 1010 Franken.

Ein unauffälliger Chauffeur

Wegen Marins Beschwerde kam es zur Verhandlung vor dem Bezirksgericht Baden. Der Chauffeur/Monteur ist alles andere als ein Grossverdiener. Zudem muss er seiner Frau – er lebt von ihr und den beiden kleinen Kindern getrennt – Alimente zahlen. Im kleinen Gerichtssaal macht Marin in Jeans, blauem Pullover und mit kurz geschorenen dunklen Haaren einen unauffälligen Eindruck. Ob er Schulden hat, fragt die Richterin zu Beginn. «Bitzeli», antwortet er. Danach sind die Dienste des Übersetzers gefragt.

An jenem Nachmittag sei er nach Feierabend auf dem Heimweg gewesen, so Marin. Es habe viel Verkehr gehabt, und es habe geregnet. «Man hat nicht schnell fahren können», sagt er zu Einzelrichterin Angela Eckert. Er sei 50 bis 60 km/h und auf der ersten Überholspur gefahren. Er habe 50 bis 60 Meter Abstand zum nächsten Auto vor sich gehabt. Wie kam es zum Unfall? «Auf einmal ist ein Audi von rechts vor mir auf die Spur gefahren und hat voll gebremst», sagt er und zeigt seine Handflächen.

Nach dem Unfall rief der Audi-Lenker die Polizei an. Die Beamten hätten vor allem mit dem anderen und seiner Frau gesprochen, die sich plötzlich am Rücken gehalten und von Schmerzen gesprochen habe. Die Polizei habe mit ihm, so Marin, nicht nur wenig gesprochen: «Ich kann nicht gut Deutsch sprechen. Ich habe den Polizisten nicht erklären können, was passiert ist.» Das Unfallformular unterschrieb er trotzdem. Warum? «Ich habe den Beamten vertraut.»

Verteidiger kritisiert Polizisten

Der Polizeirapport sei unvollständig, kritisiert sein Verteidiger im Plädoyer und führt aus: «Auch wenn er darin die Schuld anerkannt hat, kann man nicht so einfach darauf abstellen.» Die Polizisten hätten den Fall gründlicher abklären müssen. Es sei auch kein Dolmetscher zugezogen worden. «Der Polizist hätte merken müssen, das mein Klient ihn nicht versteht.» Auch der ungenügende Abstand und die mangelnde Aufmerksamkeit seien nicht erstellt. Wie der Unfall sich tatsächlich ereignet habe, bleibe unklar. Er forderte einen Freispruch.

Marin nutzt die Gelegenheit für ein letztes Wort:

«Ich bin nicht schuldig, und ich fühle mich nicht schuldig.»

Richterin Eckert verurteilt Marin trotzdem im Sinne der Anklage. «Als Autofahrer müssen Sie bei Verhältnissen wie an jenem Abend erhöht aufmerksam sein, auch wenn jemand von rechts reindrückt. Mangels Abstand haben Sie nicht mehr bremsen können.»

Marin schaut die Richterin ungläubig an. Man sieht es ihm an: Gerechtigkeit hat er sich anders vorgestellt.