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Wegweisender Prozess: Bekommen bald 100 Mieter ihr Geld zurück?

Ein Geschäftsmann klagte am Mittwoch vor dem Bezirksgericht Rheinfelden in einem Zivilprozess gegen seinen Vermieter. Seine Wohnung sei dem angepriesenen Minergie-Standard nicht gerecht geworden, sagte er und forderte Geld zurück. Der Prozess ist von besonderer Brisanz, weil eine Verurteilung eine Klageflut auslösen könnte.

Der Hintergrund: Eine grössere Firma baute 2007 einen Gebäudekomplex im Fricktal. Für diesen beantragte man die Minergie-Zertifizierung. Dieser Antrag wurde 2010 vorerst gutgeheissen. 2014 wurde dem Gebäudekomplex das Minergie-Label jedoch rückwirkend wieder entzogen. Eine umfassende Prüfung hatte ergeben, dass das Lüftungssystem nicht den Anforderungen entsprach. Im Gutachten wurde weiter festgestellt, dass das Haus anders gebaut wurde, als angeplant.

So war das Haus ursprünglich 60 Zentimeter höher geplant. Wegen einer Einsprache wurde das Haus dann allerdings verkleinert, woran der Ausbau der Lüftungsanlage wohl gelitten habe. Der Labelentzug hinderte den Vermieter aber nicht daran, sein Haus weiterhin mit dem Minergie-Label anzupreisen.

Entschädigung von 20’000 Franken angeboten

Zum Start des Prozesses brachte der Anwalt des Klägers, also des Mieters, ein Angebot ein: Er forderte eine Entschädigungssumme von 20’000 Franken für seinen Mandanten.

Nach kurzer Beratungszeit lehnte der Anwalt der Gegenpartei das Angebot ab. Und dies mit Begründungen: Erstens sei der Minergie-Standard zu Unrecht entzogen worden. Zweitens: «Der betroffene Gebäudekomplex ist das Zuhause von 100 weiteren Mietern. Wenn wir das Angebot annehmen, können andere Mieter nachziehen und ebenfalls Entschädigungen fordern», sagte der Anwalt.

Labelentzug in Frage gestellt

Die Beklagten hatten zwei Zeugen geladen. Einer davon, der ebenfalls schon Gutachten für Minergie zum betreffenden Gebäude-Komplex erstellt hatte, sagte, dass er absolut nicht verstehe, warum das Minergie-Label entzogen worden sei.

Bei den Plädoyers sagte der Anwalt des Klägers, dass das Lüftungssystem als dauerhafter mittlerer Mangel anzuerkennen sei. Weiter sei es ganz einfach: Seinem Mandanten sei etwas versprochen worden, was nicht gehalten wurde. Das zeige das Gutachten zum Entzug des Minergie-Labels. Bundesgerichtsentscheide bei ähnlichen Fällen würden zeigen, so der Anwalt weiter, dass eine Entschädigung bei mittleren Mängel am Mietobjekt gerechtfertigt seien.

Bei seinen Ausführungen zur Höhe der Entschädigung kam der Anwalt auf einen Anteil von 8 Prozent des Mietzinses und machte dazu mehrere Vergleiche mit ähnlichen Fällen. Zudem zog er eine Studie heran.

Die Verteidigung der Beklagten widersprach

Die Verteidigung sah das anders. Sie bezweifelte das Gutachten aus dem Jahr 2014 und erhob schwere Vorwürfe gegen den Gutachter: So habe dieser seine privaten Meinungen in das Gutachten einfliessen lassen. Begründet hat die Verteidigung diesen Vorwurf aber kaum. Weiter sei das Gebäude sonst sehr ökologisch gebaut, führte der Verteidiger aus und zog Prozentzahlen heran.

Dazu habe der Gebäudekomplex nun ein provisorisches Minergie-Label. Dieses gilt allerdings nur bis Februar 2022 und wird nur verändert, wenn noch Anpassungen gemacht werden.

Ein Urteil gab das Bezirksgericht Rheinfelden am Mittwoch nicht bekannt; es wird den Parteien schriftlich zugestellt – sofern der Antrag zu einem Obergutachten abgelehnt wird.