Big Brother in Little Fricktal

Jede dritte Gemeinde im Fricktal überwacht einen oder mehrere öffentliche Räume mit Videokameras. Dies zeigt eine Anfrage der AZ bei der kantonalen Beauftragten für Öffentlichkeit und Datenschutz, Gunhilt Kersten. Ihre Stelle muss sämtliche Gesuche bewilligen. Insgesamt sind in den zehn Fricktaler Gemeinden, die eine Genehmigung haben, rund 60 Kameras im Einsatz. Am meisten Kameras betreiben Laufenburg (17) und Stein (18).

Eingesetzt werden die Kameras primär bei Schulen, Gemeindehäusern, Dorfplätzen, Fussgängerunterführungen sowie zur Überwachung von Velokellern und Entsorgungsstellen. In Laufenburg und Rheinfelden sind zudem die Schranken bei Parkplätzen videoüberwacht.

Eine andere Strategie verfolgt Möhlin: Hier ist eine mobile Kamera im Einsatz. Sie werde vor allem an den Wochenenden in den Schulanlagen Steinli, Fuchsrain und Obermatt eingesetzt, sagt Gemeindeschreiber Marius Fricker. Neben sechs festmontierten setzt auch Rheinfelden auf eine mobile Kamera. Mit dieser würden sporadisch zusätzliche Anlagen, vor allem Wertstoffsammelstellen, überwacht, sagt Stadtschreiber Roger Erdin.

Wer das «Reglement Videoüberwachung öffentliche Gebäude und Anlagen» der Gemeinde Frick durchblättert, schluckt leer. 31 Standorte sind hier aufgelistet. In Betrieb sind derzeit allerdings nur vier Kameras an drei Standorten. Ist also in nächster Zeit mit einem «Big Brother ist watching you»-Hype in Little Frick zu rechnen? Gemeindeschreiber Michael Widmer winkt ab. «Das Reglement ist durch die kantonale Datenschutzbeauftragte zu genehmigen. Das ist mit umfangreichem Verwaltungsaufwand verbunden», so Widmer. Deshalb seien alle sensiblen Standorte, wo ein Kameraeinsatz erforderlich sein könnte, im Reglement aufgenommen. «Dies ermöglicht es, bei auftretenden Schwierigkeiten rasch reagieren zu können.» Tatsächlich würden jedoch nur jene Orte überwacht, wo es zu wiederholten Vorfällen gekommen sei (Velokeller) oder wo erhöhte Risiken bestehen (Polizeigebäude).

In Betrieb sind die Kameras meist rund um die Uhr – wenn es Sinn macht. In Gansingen, wo der Kindergartenspielplatz überwacht wird, erfolgt der Einsatz dagegen «zu unregelmässigen Zeiten während der ordentlichen Unterrichtszeiten», sagt Gemeindeschreiberin Rahel Amstutz. Hier hilft die Kamera bei der Beaufsichtigung der Kinder.

Meist sollen die Kameras indes helfen, (Velo-)Diebstähle zu verhindern oder Vandalenakten vorzubeugen. «Die abschreckende Wirkung ist klar gegeben», bilanziert Sascha Roth, Gemeindeschreiber von Stein. An Orten, die von Kameras abgedeckt würden, passiere weniger. In Frick war der Velokeller im Schulareal Ebnet vor dem Einsatz der Kamera ein Hotspot. «Seither hat sich die Situation beruhigt», so Widmer. In Gipf-Oberfrick gab es vor der Installation der Kameras beim Schulareal immer wieder Schäden und Verunreinigungen. «Seit der Installation der Kameras gibt es kaum mehr Schäden», sagt Gemeindeschreiber Urs Treier.

Täter dank Kamera überführt

Den präventiven Charakter betont auch Manuel Corpataux, Gemeindeschreiber in Kaisten. In Rheinfelden ist es durch die Aufzeichnungen zudem gelungen, die Urheber von Sachbeschädigungen und Verunreinigungen zu ermitteln. «Im Schulhaus Engerfeld konnten vor rund zwei Jahren ausserdem Velodiebstähle im grösseren Umfang aufgeklärt werden», so Erdin. Rolf Dunkel, Gemeindeschreiber in Magden, attestiert den vier Kameras, welche die Gemeinde rund um den Dorfplatz im Einsatz hat, ebenfalls eine abschreckende Wirkung.

«Auch bei der Ermittlung einer Täterschaft können sie dienlich sein», so Dunkel – vorausgesetzt, man erkenne die Personen auf dem Video. Dass dies nicht immer einfach ist, weiss Marius Fricker. «Eine absolut sichere Identifizierung von Personen ist nachts, wo die meisten Vorfälle passieren, sehr schwierig und braucht auch etwas Glück.»

In Laufenburg konnte dank der Videokamera ein Täter überführt werden, der die Schrankenanlage bei der Stadthalle absichtlich beschädigt hatte. «Auch andere Behörden waren bereits froh, auf die Auswertungen der Aufzeichnungen zurückgreifen zu können», sagt Stadtschreiber Marco Waser.

Die Kameras werden dabei bisweilen selber Opfer von Attacken. In Laufenburg wurde schon einmal eine Kamera demoliert und in Möhlin eine mobile Kamera entwendet. Auch in Rheinfelden gab es schon Beschädigungen an den Kameras. Womit die Täter wohl nicht gerechnet haben: «Sie konnten aufgrund der bereits erfolgten Aufzeichnung eruiert werden.» In Stein wurden Kameras schon verklebt oder ihre Stromversorgung gekappt. Einmal gab es zudem «eine Attacke mit roher Gewalt», sagt Roth – die Kamera hat allerdings obsiegt.

Den Einsatz von weiteren Kameras prüfen derzeit 3 der 10 Gemeinden. «Beim Bahnhof kommt es immer wieder zu Velodiebstählen. Deshalb wird im Zuge der Bahnhofplanung geprüft, die Velo-Parkierungsanlagen zu überwachen», sagt Erdin. Auch in Kaisten soll künftig der öffentliche Velokeller beim Gemeindehaus überwacht werden und in Frick ist geplant, auf dem Bahnhofareal Kameras anzubringen.

Sensibler Bereich

Mit der Überwachung von öffentlichen Räumen bewegen sich die Gemeinden in einem sensiblen Bereich. Dessen sind sie sich bewusst. Zwei Grundwerte, die öffentliche Sicherheit und die Persönlichkeitsrechte, stehen sich gegenüber. «Dem Schutz der Persönlichkeitsrechte muss zwingend Rechnung getragen werden», sagt Waser. «Die Überwachung des öffentlichen Raums ist jedoch für jedermann dienlich, da dadurch das ‹Sicherheitsgefühl› – auch wenn dies stark subjektiv empfunden wird – erhöht werden kann.»

Roth betont zudem, dass die Daten nur auf Antrag der Polizei oder der Staatsanwaltschaft ausgewertet würden. Es müsse also etwas passiert sein. Passanten hätten deshalb nichts zu befürchten. Zudem müsse mit Informationstafeln oder Piktogrammen auf die Kameras aufmerksam gemacht werden.

Klartext redet Roth bezüglich den Leuten, welche die Gesetze übertreten. «Kriminelle haben aus meiner Sicht ihre Persönlichkeitsrechte diesbezüglich verwirkt. Der Schutz eines potenziellen Opfers kommt bei mir ganz deutlich vor dem Täterschutz.»

So wenige wie möglich, so viele wie nötig – nach diesem Grundsatz planen die Gemeinden die Kameraeinsätze. «Die Gemeinde Frick setzt Kameras sehr zurückhaltend ein», sagt Widmer und auch für Treier ist klar: «Wir lehnen eine breite Überwachung des öffentlichen Raums ab.» Die Kameras seien zudem so eingestellt, dass auch öffentliche Bereiche und Wege im Einzugsgebiet nicht gefilmt werden, sondern nur gezielt ein eingeschränkter Bereich. «Die Bevölkerung soll sich grundsätzlich im öffentlichen Raum unbehelligt von Kameraaufnahmen aufhalten können.»

Die Gemeinden scheinen diese Gratwanderung gut zu meistern; negative Rückmeldungen gab es in keiner der zehn Gemeinden. Wenn es Rückmeldungen gebe, dann seien diese positiver Natur, so Corpataux. «Man ist froh, wenn die Gemeinde dazu beiträgt, dass zu den öffentlichen Gebäuden und Anlagen Sorge getragen wird.»