
Bis Ende Juni alle Impfwilligen im Aargau vor Corona schützen – wie realistisch ist das?
«Bis Ende Juni ist die Schweiz geimpft!» Das hat Nora Kronig, Impfchefin des Bundes und Vizedirektorin des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), letzte Woche im «Blick» versprochen.
Ist das realistisch?
Blicken wir auf den Aargau: Ende 2019 lebten 685’424 Menschen im Kanton. Für unter 16-Jährige, Schwangere und Personen mit einer schweren bestätigten Allergie auf einen Bestandteil des Impfstoffes ist die Impfung aktuell nicht vorgesehen.
Ohne diese Personengruppen ergibt sich im Aargau ein Richtwert von knapp 600’000 Personen, die als Impfkandidaten in Frage kommen. Dafür bräuchte es – weil jede dieser Personen zweimal geimpft werden muss – 1,2 Millionen Impfdosen. So viel Impfstoff wird im Aargau aber kaum gespritzt werden, weil sich nicht alle Einwohnerinnen und Einwohner impfen lassen werden. Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati sagte anlässlich des Impfstartes letzte Woche: «Wenn sich 60 Prozent der Gesamtbevölkerung impfen lassen, wäre es schon ein riesiger Erfolg.»
Aargau braucht Impfstoff für 360’000 Personen
60 Prozent würde bedeuten, dass sich 360’000 Aargauerinnen und Aargauer impfen lassen wollen – und dementsprechend 720’000 Impfdosen benötigt würden. In den nächsten 25 Wochen – gerechnet ab heute – müssten also 720’000 Impftermine vergeben werden, damit bis Ende Juni alle 360’000 impfwilligen Personen im Aargau gegen Covid-19 geimpft sind. Nehmen wir an, es wird nur werktags geimpft. Dann müssten im Kanton jeden Tag 5700 Impfungen verabreicht werden, um das Ziel zu erreichen.
Im Moment ist das nicht möglich, weil der Impfstoff noch nicht in so grossen Mengen verfügbar ist. Der Bund hat dem Aargau bisher nur 17’000 Impfdosen liefern können. Für den Impffahrplan bedeutet das: Je weniger Impfstoff am Anfang zur Verfügung steht, desto mehr muss zu einem späteren Zeitpunkt geimpft werden, um das Ziel einer Durchimpfung bis Ende Juni zu erreichen.
Hoffen, dass der Impfstoff von Moderna bald kommt
Eine wichtige Rolle spielt auch die Zulassung weiterer Impfstoffe. Vom aktuell zugelassenen Impfstoff von Pfizer/Biontech bekommt die Schweiz nur drei Millionen Dosen – das reicht für 1,5 Millionen Menschen. Am meisten, nämlich 7,5 Millionen Impfdosen, hat der Bund vom Vakzin der Firma Moderna bestellt. Um eine Durchimpfung bis Ende Juni zu erreichen, braucht es die Zulassung des Moderna-Impfstoffs.
Laut der «Sonntagszeitung» soll die Moderna-Impfung schon diese Woche von Swissmedic zugelassen werden. BAG-Vizedirektorin Kronig sagt in der «Sonntagszeitung», diese Woche sollten schweizweit neu 430’000 Impfstoff-Dosen zur Verfügung stehen. Der Aargau erwartet noch im Januar weitere Lieferungen. Genaue Zahlen kann das Gesundheitsdepartement aber keine nennen, bevor die Lieferungen nicht bestätigt sind. Der Aargauer Impfchef Andreas Obrecht geht davon aus, dass sich ab Frühling auch gesunde Personen impfen lassen können. Auch das BAG rechnet mit grossen Lieferungen ab dem zweiten Quartal 2021.
Gehen wir also davon aus, dass der Impfstoff ab April nicht mehr rationiert ist – und auch Impfstoffe weiterer Hersteller zugelassen sind, die einfacher zu handhaben und zu lagern sind als jener von Biontech/Pfizer. Dann stellt sich die Frage, wie viele Personen im Aargau bis April bereits geimpft sind. Das ist die grosse Unbekannte.
Hausärzte könnten 2000 Personen pro Tag impfen
Nehmen wir an, dass bis Ende März zehn bis zwanzig Prozent der impfwilligen Bevölkerung im Kanton geimpft ist – also 100’000 Impfdosen an 50’000 Personen verabreicht wurden. Dann würden noch 310’000 impfwillige Aargauerinnen und Aargauer verbleiben. Will man diese Menschen bis Ende Juni alle zweimal gegen Corona impfen, müssten pro Werktag ungefähr 9500 Impftermine zur Verfügung stehen.
Unrealistisch ist dies nicht. Vor allem dann nicht, wenn Hausärztinnen und Apotheker mithelfen. Jürg Lareida, Präsident des Aargauischen Ärzteverbandes, geht davon aus, dass mindestens 200 Hausärztinnen und Hausärzte bereit sind, Covid-Impfungen anzubieten. Würde jeder Arzt nur schon zehn Patientinnen pro Tag impfen, könnten 2000 Personen pro Tag geimpft werden. Rund ein Fünftel der täglich 9500 Impfungen könnten also in den Arztpraxen stattfinden.
Schaffen die Impfzentren 100 Impfungen pro Stunde?
Die restlichen 7500 Personen müssten in den Impfzentren der Kantons- und Regionalspitäler geimpft werden. Wenn an allen zehn Akutspitälern im Kanton Impfungen möglich wären, müssten dort im Schnitt jeden Tag 750 Impftermine angeboten werden – das sind gegen 100 pro Stunde bei einem Acht-Stunden-Betrieb. Das klingt nach viel, könnte aber zumindest an den grösseren Spitälern möglich sein. Christoph Fux, Chef-Infektiologe am Kantonsspital Aarau (KSA), rechnet damit, dass im Impfzentrum des Spitals bis zu 5000 Personen pro Woche geimpft werden können. Wird auch am Samstag und Sonntag geimpft, wären sogar noch mehr Impfungen möglich.
Kantonsärzte-Präsident ist bei Impftempo optimistisch
Laut NZZ geht das BAG davon aus, dass die Schweiz 75’000 Impfungen pro Tag stemmen kann, sobald genügend Impfstoff da ist. «Mehrere 10’000 Impfungen pro Tag erscheinen bei genügend vorhandenem Impfstoff und guter Impfbeteiligung durchaus realistisch», sagte Rudolf Hauri, der Präsident der Kantonsärzte gegenüber der NZZ.
Die AZ-Berechnungen zeigen also, dass im Aargau mit den angedachten Strukturen ungefähr 7500 Personen pro Tag geimpft werden könnten. Und sie zeigt, dass das Ziel, bis Ende Juni alle impfwilligen Personen zu impfen, erreichbar scheint. Immer vorausgesetzt, dass schon bald mehr Impfstoff verfügbar ist. Das bleibt die grosse Unbekannte – und darauf haben die Kantone keinen Einfluss.