
Bissattacken von Kleinhunden nehmen zu – und landen häufig vor Gericht
Listenhunde sind besser erzogen
Zum Vergleich: Rassetypen mit erhöhtem Gefährdungspotenzial, sogenannte Listenhunde, betrafen 2016 nur fünf Prozent der Meldungen. Die Kantonstierärztin führt das darauf zurück, dass Halter von kleinen Hunden oft weniger Zeit in die Erziehung investieren, weil die Tiere in der Handhabe einfacher sind. Hingegen sind Halter von Listenhunden im Aargau verpflichtet, eine Halteberechtigung einzuholen, sie müssen einen Erziehungskurs besuchen und eine Prüfung absolvieren.
«Sollte dies der Fall sein, liegt das wohl eher daran, dass auch die Gesamtzahl der kleinen Hunderassen zugenommen hat», sagt Peter Sandmeier. Prinzipiell seien kleine Hunderassen aber seltener für ernsthafte Verletzungen verantwortlich. «Ihr Gebiss ist weniger gefährlich», sagt der Tierarzt.
Nur noch mit Maulkorb
Der Veterinärdienst nimmt die Meldungen entgegen und prüft sie. Aktiv wird er nicht in jedem Fall, wie Kantonstierärztin Erika Wunderlin sagt. Bei vielen Fällen handele es sich um Bagatellfälle, wie etwa harmlose Raufereien unter Hunden, bei denen Verwaltungsmassnahmen nicht erforderlich sind. Aus den 571 Meldungen letztes Jahr resultierten 95 Strafanzeigen, 175 Verwarnungen und 18 Anordnungen von Auflagen. Bei einer Verwarnung werden die Hundehalter schriftlich auf ihre Pflicht zur Verhinderung von Vorfällen hingewiesen.
Gleichzeitig werden in der Verwarnung bereits Massnahmen angedroht für den Fall, dass es zu einem erneuten Vorfall kommt. Bei gröberen Vorfällen oder im Wiederholungsfall ordnet der Veterinärdienst Auflagen an. «In der Regel sind das Leinen- oder Maulkorbpflicht», sagt Erika Wunderlin. Es komme zudem vor, dass Hundehalter ihren Garten ausbruchsicher machen oder einen Erziehungskurs besuchen müssen.
Doppelt so viele Strafanzeigen
Manchmal landen Herrchen oder Frauchen auch vor Gericht. Ankläger sind etwa Jogger, Velofahrer oder Spaziergänger, die von Bello oder Bella, die eigentlich nur spielen wollten, gebissen wurden. Die Schweizer Untersuchungsbehörden führten letztes Jahr 327 Strafverfahren gegen Halter, denen eine mangelhafte Aufsicht über ihre Hunde vorgeworfen wurde. Das berichtete die «NZZ am Sonntag». Es sind so viele wie noch nie.
Auch im Kanton Aargau hat die Anzahl Strafverfahren zugenommen, wie die Statistik der Zürcher Stiftung für das Tier im Recht zeigt. Die Aargauer Gerichte behandelten letztes Jahr 39 Fälle, welche die mangelhafte Beaufsichtigung von Hunden zum Gegenstand hatten. Das sind fast doppelt so viele wie 2014. Damals wurden 21 Hundehalter wegen der ungenügenden Beaufsichtigung ihrer Hunde gebüsst. Ob sich die Strafverfolgungsbehörden auch vermehrt mit aggressiven Terriern und Chihuahuas beschäftigen, kann Nora Flückiger, rechtswissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Stiftung für das Tier im Recht, nicht sagen.
«Diese Informationen sind in den anonymisierten Daten, die wir vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen erhalten und in unsere Datenbank aufnehmen, nicht enthalten.» Es sei aber denkbar, dass Halter von kleinen Hunden weniger Gewicht auf die Erziehung legen. Ausserdem würden kleine Hunde regelmässig nicht ernst genommen, sodass für sie der Biss möglicherweise der letzte Ausweg sei, um sich Gehör zu verschaffen.
Die steigende Anzahl Fälle führt Nora Flückiger nicht unbedingt auf eine tatsächliche Zunahme der Vorfälle zurück: «Wir gehen eher davon aus, dass die Bevölkerung für das Thema sensibilisiert ist, wodurch es öfter zu Meldungen und anschliessend zu Strafverfahren kommt.» Verurteilt wurden 2016 praktisch alle wegen mangelnder Beaufsichtigung verzeigten Hündeler im Aargau. Es gab nur eine Einstellungsverfügung. Fälle mangelhafter Beaufsichtigung von Hunden stellen Übertretungen dar und werden mit einer Busse bestraft – kommt ein anderes Tier zu Schaden, kann jedoch auch eine Tierquälerei vorliegen, die mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe geahndet wird.
Einschläfern als letzter Ausweg
Doch was geschieht mit den Hunden? Bedeutet ein Biss für sie den sicheren Tod? «Das Einschläfern ist die letztmögliche Alternative», sagt Kantonstierärztin Erika Wunderlin. «Wenn am Ende unzählige Zwangsmassnahmen nötig sind, um zu verhindern, dass noch einmal etwas passiert, ist es irgendwann nicht mehr tiergerecht.» Das würden die meisten Halter einsehen. Nur sehr selten, etwa ein- bis dreimal im Jahr, ordne der Veterinärdienst an, einen Hund einzuschläfern, wenn die Besitzer nicht einsehen, dass ihr Hund gefährlich ist.
Auch in Peter Sandmeiers Praxis wurden schon Hunde eingeschläfert, die einen Menschen gebissen haben. «Das heisst nicht, dass einfach jeder Hund eingeschläfert wird, weil der Besitzer damit überfordert ist», sagt er. Aber wenn Hunde wirklich gefährlich seien, müssten sie eingeschläfert werden. «Man kann es sich als Tierarzt nicht leisten, einen Hund, der nach einer Verhaltensabklärung vom Spezialisten als gefährlich eingeschätzt worden ist, nicht einzuschläfern, wenn er bald darauf eine Person ernsthaft verletzen könnte.» (Noemi Lea Landolt/AZ)