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«Es passiert immer wieder»: Jugendliche thematisieren sexuelle Übergriffe im Ausgang

«Immer wieder. Ob auf sozialen Medien, im Ausgang, abends, wenn man joggen geht oder sogar auch im Alltag im Bus.» Das ist nur eine der Antworten, die Lukas Greuter auf die Frage «Wurdest du jemals sexuell belästigt?» erhielt. 747 junge Erwachsene der Kantonsschule Baden und Wettingen nahmen an der Umfrage teil. Mindestens jede und jeder Zweite der Jugendlichen erlebte bereits Belästigungen. Fast 20 Prozent der Befragten mussten eine solche Erfahrung mehrmals machen.

Greuter ist einer von neun Jugendlichen, die das Projekt «Wirsprechenan» gemeinsam starteten. Man habe sich bemüht, ein Thema zu finden, das «uns alle beschäftigt und interessiert», erklärt Piera Busetto. Die Teilnehmerin führt aus:

«Schnell wurde klar, dass sexuelle Belästigung eine Thematik ist, die wir fast alle tagtäglich erleben und uns beschäftigt.»

Fokus der Auseinandersetzung liegt laut Projektbeschrieb auf Übergriffen im Ausgang. Die Gruppe fordert: «Wir wollen Begehren, ohne Bedrängen.»

Initiiert wurde die Aktion von Schauspielerin Simona Hofmann, die 2014 das Kindertheater Lampenfieber in Baden gründete. Hofmann erhielt Geld aus dem Swisslos-Fonds, um mit Jugendlichen eine öffentliche Ausstellung zu gestalten. Vor ungefähr einem Jahr brachte sie die Gruppe aus acht Schülerinnen der Kantonsschule Wettingen und einem Schüler der Kantonsschule Baden zusammen.

Für die Lesung sind noch Freiwillige gesucht

Über Monate hinweg entwickelten die neun eine multimediale Ausstellung, in denen sie ihren Gefühlen, Meinungen und Wünschen zum Thema Ausdruck gaben. Der damalige Rundgang im öffentlichen Raum der Stadt Baden sollte laut Busetto «gleichzeitig ein Aufschrei und eine Sensibilisierung» sein.

Die junge Frau erklärt:

«Uns war es wichtig, die Problematik, über die heute leider immer noch oft geschwiegen wird, obwohl so viele Menschen davon betroffen sind, anzusprechen und die Stille zu brechen.»

Kein Wunder, ist das Projekt auch nach dem Anlass im Sommer nicht verstummt: «Als der Rundgang zu Ende war, war für uns klar, dass es weitergehen muss.» Die positive Resonanz habe die Jugendlichen in diesem Vorhaben bestärkt, so Busetto.

Eine weiterentwickelte Form des Projekts gibt es darum, am kommenden Wochenende in Brugg zu sehen. Am Samstagnachmittag, 4. Dezember, zeigt das Kulturhaus Odeon den Kurzfilm «Alles easy» der Regisseurin und feministischen Aktivistin Luisa Ricar. Diese lotet laut Beschrieb die Grenzen zwischen Sexualität und Übergriff aus.

Einleitend zum Film liest die Projektgruppe eigene Texte. Gerne wolle man aber auch Externen eine Plattform bieten: «Wir haben einen Aufruf gestartet, ob jemand ausserhalb unserer Gruppe ein Erlebnis teilen oder einen Text lesen würde.» Interessierte könnten über www.wirsprechenan.com Kontakt aufnehmen.

Im Anschluss an die Filmvorführung findet eine Podiumsdiskussion zu den Themen «Safe Space» und «Consent Culture» statt. Zwei Mitglieder von «Wirsprechenan» führen dabei das Gespräch zu Fragen wie «Wie können wir alle den Ausgang mehr zu einem Ort machen, bei dem sich alle Beteiligten wohlfühlen?»

20-minütige Live-Performance macht «Berührung sichtbar»

Aktuell stehen noch nicht alle Podiumsgäste fest. Piera Busetto sagt: «Bis jetzt haben wir eine definitive Zusage von Anaïs Steiner, Organisatorin des Luststreifen Film Festivals in Basel.» Zudem sei man in Kontakt mit drei weiteren Personen, etwa einem Securitas. Der Event am Samstag ist kostenlos, eine Kollekte wird erhoben. Die Stadt Brugg hat laut Busetto die Aktion mit einem finanziellen Beitrag unterstützt und das «Odeon» stellt den Raum kostenlos zur Verfügung.

Neben diesem Anlass zeigt «Wirsprechenan» zusätzlich am Freitag, 3. Dezember, und Samstag, 4. Dezember, eine Live-Performance. In der etwa 20-minütigen Vorführung auf dem Neumarkt Brugg werden «Berührungen sichtbar und nicht kaschierbar». Im Projektbeschrieb heisst es weiter:

«Zwischenmenschliche Spannungsfelder und Ohnmacht werden thematisiert.»

So viel sei verraten: Farbe spielt bei der Vorführung eine tragende Rolle. Die Performance sei zwar dieselbe wie in Baden, erklärt Piera Busetto, aber je nachdem wie das Publikum beim interaktiven Teil reagiere, gebe es Verschiedenheiten.

Brugg soll nicht die letzte Station von «Wirsprechenan» sein. Die meisten der Gruppe haben gemäss Busetto im Sommer die Kanti abgeschlossen. Da aber alle nun im Zwischenjahr seien oder das halbjährliche Propädeutikum machen, fassen die neun im Frühling/Sommer 2022 wieder ein grösseres Projekt ins Auge. Busetto sagt: «Vermutlich in einer anderen Stadt mit neuen Ideen, Inputs, aber dem gleichen Aufschrei.»