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Musikerin Seraina Telli: «Alles, was in meinem Kopf ist, drücke ich in meinen Songs aus»

In eine musikalische Schublade stecken lässt sich Seraina Telli nicht. Ihren Stil nennt sie Progressive Rock. «Damit die Leute wissen, dass sie nicht wissen, was sie erwartet», sagt die Sängerin und Songwriterin mit einem herzhaften Lachen.

Dead Venus heisst ihre Band, bei der verschiedene Einflüsse zusammenkommen, solche aus dem Pop- und Rockbereich genauso wie aus dem Jazz- und – aktuell vermehrt – dem Metalbereich. Das Trio besteht neben Seraina Telli – die auch Gitarre und Keyboard spielt – aus dem Bassisten André Gärtner und dem Schlagzeuger Mike Malloth.

Kürzlich ist die neue Single «Plaything Doll» erschienen, in zwei Teilen, weil der ganze Song rund achteinhalb Minuten lang ist. Der erste, «The Evil», ist auf der Streamingplattform Spotify erhältlich, der zweite, «The Awakening», ist auf Youtube zu sehen – und vor allem zu hören. Dieser komme überraschenderweise sehr gut an, obwohl er eher «strange» sei, freut sich Seraina Telli.

Das wuchtige, virtuose Bass- und Schlagzeugspiel wechselt sich ab mit ruhigen, langsamen Klavierpassagen. Über allem thront ihre kräftige, markante Stimme. Textlich handelt das Stück von Unterdrückung und dem Weg zurück zum Glück. Gerade in der Musikszene, so die Erfahrungen und Beobachtungen der Musikerin, müssten Künstler vielfach für ihre Unabhängigkeit, Kreativität und Anerkennung kämpfen.

Schon früh war klar, dass sie Sängerin werden will

Auch optisch lässt sich Seraina Telli nicht in eine Schublade stecken. Die 30-Jährige fällt auf mit ihren grünen Haaren, den knallroten Lippen, den vielen Piercings und Tätowierungen sowie dem schweren Silberschmuck. Laut ist aber nur ihr Outfit. Die 30-jährige ist eine überlegte, aufmerksame Gesprächspartnerin. Unkompliziert und aufgestellt steht sie bei einer Tasse Tee mit ansteckender Begeisterung Red und Antwort.

Aufgewachsen ist sie in Untersiggenthal und Villigen, lebte später im Brugger Ortsteil Lauffohr, hat schon früh gewusst, dass sie Sängerin werden will. Sie nahm Gesangsstunden, brachte sich das Gitarre- und Klavierspielen bei, besuchte später die Jazz und Rock Schulen im deutschen Freiburg, befasste sich dort intensiv mit der Jazz-Harmonielehre. «Ich wollte immer Musik machen, das war mein höchstes Ziel», stellt sie fest und fügt an:

«Darauf habe ich voll gesetzt. Einen Plan B gab es nicht.»

Spuren hinterlassen hat sie in der Brugger Heavy-Metal-Band Burning Witches, einer reinen Frauen-Formation. Mittlerweile wohnt sie zwar in Luzern, ist aber regelmässig in ihrer alten Heimat unterwegs, wo sie Schülerinnen und Schüler in Gesang und Songwriting unterrichtet. Eine Tätigkeit, fügt sie an, bei der auch sie selber immer wieder viel dazulerne, weil sie einen anderen Blickwinkel einnehmen müsse.

In der Band herrscht ein fast familiäres Klima

Vor gut acht Jahren hat sie das Projekt Dead Venus gegründet, seit 2015 sind ihre beiden Mitmusiker dabei. Diese seien sehr wichtig, «da wir sehr rhythmisch unterwegs sind». In der Band herrsche, sagt Seraina Telli, ein fast schon familiäres Klima. «Es muss auf persönlicher Ebene stimmen, ein Vertrauen vorhanden sein.»

Beim Namen liess sie sich inspirieren vom Bild «Die Geburt der Venus» von Sandro Botticelli. Sie habe sich Gedanken gemacht, wie Frauen in der Gesellschaft dargestellt werden, welche Idealvorstellungen vorherrschen, wie Schönheit definiert wird. Auf dem Bild aus dem 15. Jahrhundert sei eine Frau zu sehen mit Kurven, die eine Wärme ausstrahle, mit sich im Reinen und der Umgebung in Frieden sei. «Einfach sehr schön.»

Schon als sie begonnen habe, eigene Songs zu schreiben, habe sie festgestellt, dass diese genremässig schwierig einzuordnen seien, erinnert sich Seraina Telli. «Ich habe viel ausprobiert, konnte mich nicht festlegen, habe immer mehr reingepackt.» Zuerst sei sie verunsichert gewesen, weil sie sich nicht entscheiden konnte, nicht gewusst habe, in welche Richtung es gehen soll. Aber:

«Irgendwann merkte ich, dass es eigentlich meine Stärke ist, Verschiedenes zu kombinieren.»

Mit ihren Texten wolle sie die Leute auch einmal aufrütteln, für gewisse Themen sensibilisieren. «Vieles muss einfach raus.»

Kaum erschien das erste Album, kam der Lockdown

Ende 2019 erschien das erste Album «Birds of Paradise». Der Zeitpunkt war nicht der beste: Kaum auf dem Markt, kam der Lockdown, die geplante Tournee musste gestrichen werden. «Alles war dicht», blickt Seraina Telli zurück. Unterkriegen liess sie sich nicht, sondern nutzte zusammen mit ihren Bandkollegen die Zeit, um neue Songs zu schreiben, intensiv zu proben und das zweite Album «Flowers & Pain» einzuspielen.

Die Studioarbeit sei zwar anstrengend gewesen. Aber sie möge es, bei der Produktion dabei zu sein, sich stetig zu verbessern, sagt Seraina Telli. Das Resultat sei so herausgekommen, wie sie es sich vorgestellt habe. «Ich bin sehr zufrieden.» Sie habe von Anfang einen klaren Plan und eine klare Vorstellung gehabt. Darauf, dass sie dieses Ziel erreicht habe, sei sie durchaus auch stolz. «Die Leute dürfen sich überraschen lassen. Alle, die offen für Neues sind, sollen reinhören.»

Erscheinen wird «Flowers & Pain» im kommenden Februar. Um die Wartezeit zu überbrücken «und damit die Leute einen ersten Eindruck erhalten», werden vorgängig vier Singles veröffentlicht. «Plaything Doll» ist die dritte. Zusätzlich erscheinen für die Fans auch EP’s mit Spezialtracks. «Als Band mussten wir uns neue Anreize setzen während der Coronapandemie. Untätig herumzusitzen, wäre schlecht gewesen.»

Im kommenden Jahr ist dann – endlich – eine aus­gedehnte Europatour geplant mit rund 30 Konzerten, von Deutschland über Holland bis England, von Frankreich bis Portugal, von Tschechien bis Polen. «Eine gute Show zu spielen vor 500 oder 1000 Leuten, bringt immer noch am meisten», weiss die Musikerin.

Vielleicht sogar einmal mit der Lieblingsband

Wo soll die Reise mit Dead Venus hinführen? Ziel sei es, sich in der Szene zu etablieren, möglichst noch mehr Leute zu erreichen, weitere Alben zu produzieren, zu touren – auch als Headliner, antwortet Seraina Telli. Vielleicht könne sie sogar einmal ein Projekt verwirklichen mit Opeth aus Schweden, eine ihrer Lieblingsbands. Das alles müsse aber nicht gleich morgen sein.

«Unsere Musik ist zeitlos, hat kein Ablaufdatum.»

Noch sei sie lange nicht dort, wo alles perfekt sei, räumt sie ein.

Ideen, wird beim kurzweiligen, gut einstündigen Gespräch klar, hat Seraina Telli viele. Aktuell baut sie zudem ein Soloprojekt auf – «mit einfacheren Songs», wie sie anmerkt. Ihr Herzensprojekt aber bleibe Dead Venus. In ihrem Leben drehe sich alles um Musik, sagt sie abschliessend. «Alles, was in meinem Kopf ist, drücke ich in meinen Songs aus.»