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Jeder Dritte hat Stress auf der Arbeit: Warum ein neuer Ratgeber sich gerade an Lehrpersonen richtet – und dabei lustig ist

Jeder Dritte hat Stress auf der Arbeit: Warum ein neuer Ratgeber sich gerade an Lehrpersonen richtet – und dabei lustig ist

Vor kurzem hat der Veltheimer Arzt Claude Sidler sein Buch «Was Herr und Frau Lehrer auf die Palme bringt» veröffentlicht. Dieses thematisiert Ursachen und Lösungen der Volkskrankheit.

Maja Reznicek

Vor zwei Jahren startete der Arzt Claude Sidler (rechts) zusammen mit Cartoonist Stephan Bornick sein Buchprojekt. 

Jedes Jahr nimmt er ein wenig zu. Der Zeitdruck, die soziale Belastung durch Vorgesetzte, die qualitative Herausforderung – kurz: der Stress. Drei von zehn erwerbstätigen Personen in der Schweiz erleben gemäss dem Job-Stress-Index 2020 mehr Arbeitsbelastung, als sie mit Ressourcen – wie etwa Wertschätzung oder Unterstützung durch andere – bewältigen können. Insbesondere Frauen bringen laut Claude Sidler Beruf, Familie und die Pflege der Angehörigen oft nur noch «um den Preis der Erschöpfung unter einen Hut».

Der Arbeitsmediziner aus Veltheim ergänzt:

«Wird dieser Vorgang des Ausbrennens nicht gestoppt, endet er früher oder später in einem körperlich-psychischen Zusammenbruch.»

Der arbeitsbezogene Stress hat auch betriebswirtschaftliche Folgen. Die nationalen Arbeitgebenden, so schreibt die Gesundheitsförderung Schweiz, kostet er rund 7,6 Milliarden Franken pro Jahr. Nicht alle Branchen sind aber gleich betroffen. Als klassischen Dienstleistungsberuf «mit vielen Burn-out-Risiken» bezeichnet Sidler den Lehrberuf.

Die Pandemie habe die Situation – wie in vielen anderen Berufen – nochmals verschärft. «Neue Technologien wurden während des Lockdowns eingeführt, oft in horrendem Tempo. Der Aufwand für den Unterricht ist gestiegen. Die Schüler wie auch die Lehrpersonen litten unter den sozialen Einschränkungen, den Masken, dem Bewegungsmangel», nennt der 51-Jährige beispielhaft. Es sei sehr viel Flexibilität verlangt gewesen, gleichzeitig zeigte sich der Austausch zwischen den Lehrpersonen als erschwert.

Etwa 80 Prozent der Aussagen treffen für alle Berufe zu

Warum Claude Sidler mit «Was Herr und Frau Lehrer auf die Palme bringt» ein spezielles Arbeitsbuch zu Stress und Burn-out im Lehrberuf auf den Markt bringt, hat aber einen anderen Grund: Vor sechs Jahren leitete der Arzt im Auftrag des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz eine Studie zur Belastung von Lehrpersonen aus Sicht der Arbeitsmedizin und -psychologie. «Zusammen mit Arbeitspsychologen beobachtete ich drei Tage lang Lehrpersonen, die auf unterschiedlichen Stufen unterrichteten», heisst es im Vorwort des Werks.

Das Buch erschien im Oktober und wird nun im November getauft. 

Die Resultate der Studie präsentierte Sidler während mehrerer Jahre bei verschiedenen Anlässen. Er sagt:

«Ich erhielt jeweils ein gutes Feedback für den Inhalt und dessen Vermittlung – vor allem auch für die treffenden Cartoons.»

Er könne nämlich «langweilige Referate» nicht ausstehen. Deshalb bastelte der Arzt an seinen Folien und durchforstete das Internet nach passenden Cartoons. Aus der wiederholten Präsentation der Studienergebnisse, vielen Workshops und Diskussionen mit Lehrpersonen sei der Wunsch aufgekommen, das Thema in Buchform zu verpacken.

Vor zwei Jahren startete Sidler das Projekt. Dies in enger Zusammenarbeit mit dem befreundeten Cartoonist Stephan Bornick, der die Illustrationen übernahm. Sidler erzählt: «‹Borni› war sofort Feuer und Flamme. Wir legten von Tag eins an gemeinsam los.»

Die Cartoons im Buch sollen den Themen Stress und Burn-out die Schwere nehmen. 

Das Resultat ist ein dreiteiliges Werk auf 136 Seiten. Der erste Teil ist theoretischer Natur, veranschaulicht, wie Stress und Burn-out entstehen. Dann befasst sich Sidler explizit mit Stressursachen und dem Wesen des Lehrberufs. Er ergänzt jedoch: «80 Prozent der Aussagen im Buch treffen für sämtliche Berufe zu.» Im finalen Teil werden ausgewählte Therapieformen thematisiert wie Mentaltraining oder «simple körperliche Bewegung».

Letztere bezeichnet der Autor gar als «eierlegende Wollmilchsau»: «Sport ist eben kein Mord, denn die Bewegung wirkt antidepressiv und bekämpft fast alle relevanten Risikofaktoren.»

Alltagstauglichkeit statt wissenschaftliche Fakten steht im Fokus

Als ersten wichtigen Schritt auf dem Weg zur Besserung nennt Claude Sidler, der auch in der Gruppenpraxis Ärzteteam 51 in Brugg tätig ist, aber den eigenen Stress erst einmal zu erkennen: «Was stresst mich aus welchen Gründen?» Kein Wunder, ist das neue Buch mit Selbsttest und Reflexionen für die Leserschaft gespickt. «Es geht mir darum, dass jede Leserin und jeder Leser sich in den Beispielen erkennt, darüber lachen kann und sich seiner/ihrer Baustellen bewusst wird», erklärt Sidler.

Gleichzeitig habe er ein «leichtes, schönes, lustiges Buch» schaffen wollen, das reich illustriert sei:

«Cartoons von ‹Borni› verführen zum Schmunzeln, nehmen dem Thema seine Schwere.»

Jede Seite soll neben dem Text, der zum Nachdenken anrege, auch attraktiv fürs Auge sein.

Der Ratgeber enthält sogenannte Selbstchecks, mit denen etwa die Stressanfälligkeit herausgefunden werden kann. 

Insgesamt liege der Fokus des Werks nicht auf wissenschaftlichen Fakten, sondern auf der Alltagstauglichkeit. Auf den letzten Seiten des Buchs kann man etwa seine persönliche Checkliste mit erkannten Baustellen und Massnahmen zur Verbesserung erstellen. Zur Prävention listet der Arbeitsmediziner zudem «bewährte Tipps und Tricks auf, die sich leicht umsetzen lassen».

Als wichtigsten Tipp gegen Stress erklärt Sidler: «‹Nein› und ‹Stopp› sagen, sich also in Abgrenzung zu üben.» Und dass man von den stressreduzierenden Verhaltensänderungen nicht nur weiss, sondern sie auch umsetzt.