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Nach doppeltem Handgelenkbruch braucht Wendy Holdener einen Skischuhschliesser

Nach doppeltem Handgelenkbruch braucht Wendy Holdener einen Skischuhschliesser

Die 28-jährige Slalomspezialistin gibt am Wochenende in Levi nur eineinhalb Monate, nachdem sie beide Handgelenke brach, ihr Comeback. Ein Wunder? Nein. Aber es braucht Improvisationstalent.

Martin Probst

Noch ist Wendy Holdener auf Hilfe angewiesen.

Als Wendy Holdener vor einer Woche das Sprechzimmer ihres Arztes betrat, war sie bereit, zu verhandeln. Sie wollte einen Deal machen, wie sie selbst sagt. Besonders gross war ihre Zu­versicht allerdings nicht, dass sie die Erlaubnis erhält, wieder ­Slalom zu trainieren.

Schliesslich taten ihr die Handgelenke manchmal noch weh. Trotzdem wollte sie fragen und versprechen, dass sie vorsichtig sei, falls sie zwischen die Slalomstangen zurückkehren dürfe.

Zuerst dachte Holdener, sie hätte Glück gehabt

Fünfeinhalb Wochen zuvor wollte die 28-Jährige auf einen Schwedenkasten springen. So wie sie das oft tut im Training. Holdener fühlte sich gut, so gut und perfekt im Fahrplan für die neue Saison, dass sie ein Element mehr nahm als üblich.

Holdener sprang also ab und einige Zentimeter zu wenig hoch. Rückwärts fiel sie nach unten und stoppte den Sturz mit beiden Händen. Zuerst dachte sie noch, sie hätte Glück gehabt. Doch als dann die Schmerzen stündlich stärker wurden, wusste sie, dass sie sich geirrt hatte.

«Autsch», schrieb Wendy Holdener auf Instagram.

Eine Untersuchung im Spital bestätigte das Unheil. Holdener hatte sich Brüche an beiden Handgelenken zugezogen. Ein MRI zeigte Frakturen an den Kahnbeinknochen. «Und fortan sagte mir mein Arzt bei jedem Treffen, dass ich vor allem eines nicht darf: Meine Handgelenke bewegen», sagt sie.

Nach einer Minute war alles klar – und eine Woche blieb

In den Wochen nach dem Unfall hat sich Holdener strikt an die Anweisungen gehalten, hat zwar im Kraft- und Fitnessbereich trainiert, aber nur mit Schienen.

«Für vieles brauchte ich Hilfe, aber diese bekam ich», sagt sie. Trotzdem spürte sie manchmal Schmerzen. Und hatte darum Zweifel, als sie zusammen mit einem Physiotherapeuten von Swiss-Ski auf ihren Arzt wartete.

«Doch dann kam er mit den MRI-Bildern rein, und keine ­Minute später hatte ich die Erlaubnis.» Holdener muss zwar weite aufpassen, da die Knochen noch aushärten. Aber die Brüche sind verheilt.

Training nur mit Schienen.

Sofort begann die Planung. Nur eine Woche blieb Holdener bis zu den zwei Weltcup-Slaloms an diesem Wochenende in Levi. «Ich war glücklich, hatte aber auch Angst, ob es klappt, ob ich wirklich ohne Schmerzen fahren kann», sagt sie.

Zuerst trainierte die Schwyzerin mit sogenannten Kinderstangen, die weniger hart sind. Als dies funktionierte, fuhr sie erste Torkombinationen mit dem Material der Profis. Bereits am Dienstag flog sie nach Finnland. Am Mittwoch fuhr sie erstmals einen ganzen Lauf. AmSamstag steht sie am Start des Weltcup-Rennens. Eigentlich unglaublich. Sie sagt:

«Wenn ich die Gelenke ganz gerade halten kann und die Schläge von vorne kommen, dann habe ich keine Schmerzen.»

Noch funktioniert aber längst nicht alles reibungslos. Häufig ist Improvisationstalent gefragt. So hat ihr Servicemann die Griffe der Skistöcke verkleinert, damit sie Holdener besser halten kann.

Auch die Trainingsjacken und Handschuhe mussten angepasst werden, damit sie die Schienen darunter tragen kann. «Und für manche Dinge brauche ich noch immer Hilfe. Ich schaffe es zum Beispiel nicht, die Schnallen der Skischuhe selbst zu schliessen», sagt Holdener.

Der fehlende Sieg rückt vorerst in den Hintergrund

Entsprechend tief sind die Erwartungen. «Ich bin vor allem froh, am Start zu sein», sagt sie und hofft, dass ihr die unverhofft frühe Rückkehr Lockerheit gibt.

27 Mal stand Holdener im Weltcup schon auf dem Podest eines Slaloms. Zudem gewann sie sowohl WM- wie Olympiasilber in dieser Disziplin. Nur gewonnen hat Holdener einen Slalom auf höchster Stufe noch nie. Solche Statistiken sind derzeit aber weit weg. Das kann befreiend sein. «Ich habe erst ein paar Mal mit dem Schweizer Team trainiert, ich kann echt nicht sagen, wo ich stehe», sagt sie.

Darum lässt Holdener auch offen, ob sie nach Levi in die USA reisen wird, wo in Killington am 27. und 28. November ein Riesenslalom und ein Slalom geplant sind. «Ich stand erst einmal auf Riesenslalomski. Wir werden entscheiden müssen, ob es Sinn macht», sagt sie.

Wendy Holdener muss weiterhin Schienen tragen. Ein Spezialhandschuh sorgt für den nötigen Platz.

Denkbar ist, dass sie den Fokus auf St. Moritz legt. Zumal sie die Speedrennen von Anfang Dezember in Lake Louise auch ohne die Verletzung ausgelassen hätte. In St. Moritz finden am 11. und 12. Dezember zwei Super-G statt. Somit blieben ihr fast drei Trainingswochen, die sie auch im technischen Bereich nutzen könnte.

Holdener und Levi – das passt seit vielen Jahren

Vorerst gilt ihre Konzentration aber den Rennen in Levi. In Finnland war Holdener in den vergangenen fünf Saisons nie schlechter als Fünfte, stand dreimal auf dem Podest und belegte im vergangenen Winter zweimal Rang vier. Der Hang liegt ihr. So viel ist klar. Das kann ein Vorteil sein. Vor einer Woche im Sprechzimmer wäre Holdener bereit gewesen, einen Deal einzugehen, um überhaupt zu starten. Für Wetten auf eine Topklassierung ist es aber noch zu früh.