Weshalb es im Aargau weniger Intensivbetten gibt als in den ersten Corona-Wellen
Die Auslastung des Gesundheitswesens und damit der Kapazitäten auf den Intensivstationen der Aargauer Spitäler sei die wichtigste Kennzahl bei der Beurteilung der Lage bzw. Anordnung allfälliger neuer Massnahmen in der Coronapandemie. Das schreibt die SVP-Fraktion des Grossen Rates in einer Interpellation. Sie stellte der Regierung zahlreiche Fragen. So will sie etwa wissen, warum «seit Beginn der Pandemie gemäss den regelmässig publizierten Daten des Kantons Aargau die Anzahl der Intensivpflegestation (IPS)-Betten fast halbiert wurden», oder was man unternehme, um Pflegepersonal zu finden.
In ihrer jetzt vorliegenden Antwort geht die Regierung sehr detailliert auf die Fragestellungen ein. Zu Beginn der Pandemie habe es im Aargau 54 zertifizierte Intensivbetten (IPS) gegeben, schreibt sie: 28 im KSA, 10 im KSB, 10 in der Hirslanden-Klinik und 6 im Spital Muri.
In erster Welle mit Personal aus dem OP bis 47 Patienten betreut
Als der Bundesrat im März 2020 anordnete, nicht dringliche Behandlungen und Operationen zu verschieben, habe man die IPS-Kapazität mit zusätzlichen Ad-hoc-Betten auf maximal 77 Betten ausgebaut. Das zusätzliche Personal kam aus den Operationssälen, ein Teil auch aus den normalen Bettenstationen. Doch die Verstärkung habe keine Ausbildung in Intensivmedizin gehabt. Im Maximum habe man gleichzeitig 47 Personen intensiv betreuen müssen, wovon 29 mit Covid-19. Der IPS-Betrieb habe damals aber nicht dem in der Schweiz gewohnten Standard entsprochen.
Ab 6. Mai 2020, als die Welle abgeflacht war, betrieben die Spitäler dann wieder nur noch die zertifizierten IPS, allerdings wegen einer Reduktion beim KSA nur noch 52.
Oktober 2020: IPS-Kapazität wird wieder hochgefahren
Ab 27. Oktober 2020 fuhr man die Kapazität zur Bewältigung der zweiten Welle wieder hoch. Vom 23. November 2020 bis 4. Januar 2021 wurden laut Regierungsantwort 62 IPS-Betten betrieben. Erneut sei dies aber nur möglich gewesen, weil man Personalressourcen durch eine Reduktion der elektiven Eingriffe habe freispielen können. In Akutspitälern mit IPS seien per 1. Januar 2021 die elektiven Eingriffe um 95 bis 100 Prozent reduziert worden. Dazu heisst es weiter:
«Mehr IPS-Betten hätten nicht betrieben werden können, weil während der zweiten Welle auch ein guter Teil des Gesundheitspersonals an Covid-19 erkrankte.»
Aufstockung erfolgte aus der Not heraus mit nicht zertifiziertem Personal
Tendenziell hätten die Spitäler die IPS-Kapazitäten nicht reduziert, so das Fazit der Regierung, «sondern sie wurden für eine jeweils begrenzte Zeit mit nicht zertifizierten Betten erweitert. Die Richtlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin sind dabei für die Ad-hoc-Betten nicht eingehalten worden».
Ab 25. Januar 2021 wurden dann nur noch 50 IPS-Betten betrieben, da das KSA wegen Personalengpässen (von 129,2 Soll-Pflegestellen auf der IPS waren 8,5 vakant) nur noch 24 zertifizierte Betten betreiben konnte.
Kündigungen aus Erschöpfung, Enttäuschung und Wut: In dritter Welle keine zusätzlichen Ad-hoc-Betten mehr
In der dritten Welle schliesslich «konnten die Spitäler keine zusätzlichen Ad-hoc-Betten mehr bereitstellen», schreibt die Regierung. Grund waren die vielen Personalabgänge, wie es weiter heisst, «infolge Erschöpfung, Enttäuschung und Wut über den Verlauf der Pandemie beziehungsweise den gesellschaftlichen Weg, dieser zu begegnen, und damit verbunden die sinkende Bereitschaft der Mitarbeitenden, das Pensum erneut aufzustocken oder sich auf die Intensivpflegestation umteilen zu lassen». In der Folge habe das KSA nochmals reduzieren müssen, und betreibe seither nur noch 20 IPS-Betten.
Aargauer IPS im Kantonsvergleich eher unterdurchschnittlich
Die SVP will in ihrem Vorstoss auch wissen, was unternommen wurde, um dem Abbau entgegenzuwirken. Dazu lautet die Antwort, es handle sich hier «nicht um einen eigentlichen und gewollten Abbau, sondern um einen kurzfristigen Aufbau, der nach jeder Welle wieder abgebaut wurde». Limitierend seien nicht die Betten und Medizinaltechnik, sondern das kompetente Personal, heisst es weiter.
Im interkantonalen Vergleich seien die Aargauer IPS-Kapazitäten aber schon vor Covid-19 «eher unterdurchschnittlich» gewesen. So hatte der Aargau am 30. März 2020 auf 100’000 Einwohner 7,49 IPS-Betten, Bern 9,97, Genf 6,32, Luzern 12,97, St. Gallen 10,5, Solothurn 6,49, Zürich 12,17, Basel-Stadt 27,45.
Verstärkte Rekrutierungsbemühungen der Spitäler
DGS-Vorsteher Jean-Pierre Gallati habe sich bei den Spitälern wiederholt persönlich dafür eingesetzt, die zertifizierte IPS-Betten trotz Personalengpässen weiter zu betreiben, heisst es weiter, und habe mit den Spitalleitungen auch die Möglichkeiten einer Aufstockung erörtert. Die Spitäler hätten denn auch die Rekrutierungen im In- und Ausland verstärkt sowie in Aus- und Weiterbildung investiert. Mit folgendem Ergebnis: «Die Massnahmen vermochten die Abgänge auszugleichen, aber keine Reserven anzulegen.»
Fachärztin-Ausbildung für Intensivmedizin dauert mindestens fünf Jahre
Man versucht, mehr Leute auszubilden. Doch die Ausbildung zur IPS-Pflegefachkraft dauert mindestens zwei Jahre nach Erreichen des Diploms als Pflegefachkraft. Gerade mitten in der Epidemie habe man aber wenig Spielraum für zusätzliche Ausbildungsaktivitäten gehabt, heisst es weiter. Eine Facharzt-Ausbildung für Intensivmedizin dauere nach abgeschlossenem Medizinstudium mindestens fünf Jahre.
Natürlich will die SVP (und nicht nur sie) auch wissen, ob die Regierung gewillt sei, alles daran zu setzen, die Anzahl IPS-Betten über den Winter auszubauen. Dazu heisst es als Antwort, das Fachpersonal sei schon lange stark beansprucht und könne nicht mehr zu Sondereinsätzen aufgeboten werden. Die Situation auf den IPS sei «nach wie vor angespannt». Falls die Hospitalisationen anstiegen, seien dann in erster Linie die Patienten die Hauptgeschädigten – «auch und vor allem die Nicht-Covid-19-Patienten, die eine dringliche Behandlung benötigen, die dann unter Umständen verschoben werden muss».
Man könnte die IPS um 50 Prozent aufstocken, aber wo ist das Personal dafür?
Jetzt gelte es, die IPS-Kapazitäten zu halten und die medizinische Versorgung auf der IPS in gewohnter Qualität aufrechtzuerhalten, und weiter:
«Auch wenn man die IPS um 50 Prozent ausbauen würde, könnte das dazu erforderliche Personal nicht gleichermassen aufgestockt werden.»
Zur Frage, ob es stimme, dass man Patienten ohne erfassten Impfstatus dem BAG als ungeimpft melde, antwortet die Regierung: «Nein, dann melde man ‹Impfstatus unbekannt›.»