Darum soll an Aargauer Kantonsstrassen spätnachts das Licht ausgehen

Im Aargau gibt es für die 1150 Kilometer Kantonsstrassen kein verbindliches Beleuchtungsreglement. Innerorts liegt es bei den Gemeinden, ob auch an den Kantonsstrassen Kandelaber für Licht sorgen, ausserhalb entscheidet der Kanton je nach Situation. In der Nähe von Autobahnanschlüssen, an verkehrsreichen Kreuzungen oder beispielsweise dort, wo Radwege die Strasse queren, wird beleuchtet. Rund 160 solche Knotenpunkte sind dies laut dem Departement Bau, Verkehr und Umwelt.

Geht es nach der grünliberalen Grossrätin Ruth Jo. Scheier, soll sich das ändern. Per Motion im Grossen Rat fordert sie, dass für Kantonsstrassen ein Beleuchtungsreglement erstellt wird. Die Nachtabschaltung der Strassenbeleuchtung sei auf Kantonsstrassen für das ganze Strassennetz ab 24 Uhr, spätestens ab 1 Uhr bis 5 Uhr vorzusehen, fordert sie. Dass unnötige Lichtemissionen zu vermeiden seien, habe schliesslich auch der Regierungsrat erkannt, als er Frühling auf einen Vorstoss, ebenfalls von der GLP, betreffend Lichtverschmutzung antwortete, Emissionen müssten vermieden werden, «soweit dies technisch und betrieblich möglich und wirtschaftlich tragbar sei».

«Lichtemissionen schaden der Natur und bringen für die allermeisten überhaupt keinen Mehrwert. Man könnte sagen, sind unsinnig», sagt Ruth Jo. Scheier. Ihrer Ansicht nach gebe es keinen Grund, eine Abschaltung nicht in einem Reglement festzuhalten und damit einheitlich zu regeln. Im Aargau sind Strassenlampen innerorts im Eigentum der Gemeinde, welche auch darüber entscheidet, ob die Strassenabschnitte beleuchtet sind oder nicht. Eine Pflicht zur Beleuchtung gibt es nicht. Verschiedene Aargauer Gemeinden, unter anderem Baden, schalten alle Strassenlaternen während einigen Nachtstunden bereits aus. Auch jene der Kantonsstrassen. «In Baden gab es auf diesen Schritt praktisch keine negativen Rückmeldungen. Die Leute haben, im Gegenteil, positiv reagiert», sagt Scheier. Dass man in der Nacht die Sterne wieder sehe, werde etwa bemerkt. Oder dass man nachts wieder schlafen kann, ohne dass Strassenlampen ins Schlafzimmer scheinen. «Unser Hauptargument für die Abschaltung liegt aber klar bei der Natur. Dass zuviel künstliches Licht draussen schadet, ist bekannt», so die Grossrätin.

Der Faktor Sicherheit
Für Verkehrspsychologe Uwe Ebert von der Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) stellt sich bei der Abschaltung von Kandelabern die Frage nach der Sicherheit. «Grundsätzlich ist es so: Wo es mehr Licht gibt, gibt es auch mehr Sicherheit», sagt er. Der Mensch brauche eine gewisse Menge an Licht, um sich zu orientieren. «Es ist leichtfertig zu denken, dass die natürliche Beleuchtung ausreicht.» Gefährlich sei mangelndes Licht vor allem für Velofahrer und die Fussgänger, so Ebert. Dabei gehe es sowohl ums Sehen, wie auch ums Gesehenwerden. Dass schon heute ausserorts die wenigsten Strassen beleuchtet sind, sei kein Argument dafür, auch überall in den Gemeinden und an speziellen Stellen die Lichter auszuknipsen, findet der Verkehrspsychologe. Fussgänger seien spätnachts eher wenig ausserhalb von Siedlungen unterwegs. Auch die für Fussgänger sowieso gefährlichen Stellen, sprich Fussgängerstreifen, befinden sich mehrheitlich innerorts. Entgegen den Erfahrungen von Scheier in Baden findet der Verkehrspsychologe: «Es ist innerorts nicht machbar.»

Solche Sicherheitsbedenken seien stark in den Köpfen verankert, aber unbegründet, findet Motionärin Scheier. «Die Erfahrungen zeigen, dass es nicht mehr Unfälle gibt.» Fussgänger, die zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens unterwegs seien, müssten sich vielleicht etwas anpassen. «Wenn ich weiss, dass es regnet, nehme ich einen Schirm mit. Wenn ich weiss, dass es dunkel ist, könnte ich ja auch eine Taschenlampe mitnehmen. Oder die Handy-Taschenlampe benützen, die heute fast jeder hat», regt Scheier an. Zudem bringe ein beleuchteter Fussgängerstreifen kaum mehr Sicherheit, wenn es rundherum dunkel sei. «Es ist eine Güterabwägung. Die Strassenbeleuchtungen sind ein grosser Eingriff in die Natur. Ist es das wert oder nicht?»

Intelligentes Licht statt Dunkelheit
Die Organisation Dark Sky Switzerland kämpft gegen Lichtverschmutzung. Von der Idee, die Abschaltung der Strassenbeleuchtung der Aargauer Kantonsstrassen per Reglement durchzusetzen, hält deren Vorstandsmitglied Roland Bodenmann dennoch wenig. Er glaubt, dass das Anliegen nicht durchsetzbar sei, neuralgische Orte würden nach Strassenbeleuchtung verlangen. Er schlägt vor, stattdessen auf «intelligente Beleuchtung» zu setzen. Damit geben die Kandelaber mittels Bewegungsmelder erst Licht ab, wenn sich Verkehr nähert. «Die Motion wird dem nicht gerecht, was heute technisch möglich ist», sagt Bodenmann. Für eine möglichst umweltverträgliche Beleuchtung spiele zudem auch die Art des Lichts eine Rolle — während der gesamten Beleuchtungsdauer. Die spektrale Zusammensetzung sei wichtig, Licht mit wenig Blauanteil störe nachtaktive Tiere am wenigsten.

Aargau prüft neue Leuchten
Im Aargau gibt es innerorts bereits vereinzelt intelligente Beleuchtung. Bei den vom Kanton beleuchteten Abschnitten sei diese Technologie ein Thema, aber noch nicht im Einsatz. «Das Verhältnis von Nutzen und Kosten stimmt für uns noch nicht», sagt Tobias Blaser, Sektionsleiter Elektrotechnik bei der kantonalen Abteilung Tiefbau. Mit der Digitalisierung verbessere sich die Technik, gerade bei sehr verkehrsreichen Knotenpunkten sei der Nutzen intelligenter Beleuchtung aber noch klein, da die Leuchten dort nicht oft ausgeschaltet würden. Derzeit halte es der Kanton so, dass in den späten Nachtstunden, wenn das Verkehrsaufkommen tief ist, die bestehende Beleuchtung reduziert werde . Die Einsparungen, die eine intelligente Beleuchtung bringen würde, seien also noch zu klein, als dass es sich lohnen würde, sie jetzt einzusetzen.

Anders hält es der Kanton Bern. Seit drei Jahren werden dort systematisch alle Lichtkörper mit LED-Leuchten ersetzt, die intelligent gesteuert werden. «Wir sind der Meinung, dass die völlige Nachtabschaltung wegen der Verkehrs- und sozialen Sicherheit auf Kantonsstrassen nicht machbar ist», sagt Stefan Studer, Berner Kantonsingenieur und Vorsteher des Tiefbauamts. Der Kanton spare mit dieser Massnahme viel Strom, weil die Leuchten während eines grossen Teils der Nacht mit einer schwachen Orientierungsbeleuchtung betrieben werden. Nur im Bedarfsfall wird das Licht kurzzeitig hochgedimmt. Gegenüber der normalen LED-Beleuchtung belaufe sich die Ersparnis auf zirka 30 Prozent, sagt Studer, gegenüber konventioneller Beleuchtung auf 80 bis 90 Prozent. Zudem sei die Lebensdauer dieser Leuchten viel länger als jene von normalen LED-Leuchten oder bisherigen Lampen. «Diese Lösung ist für uns ideal».

Sollten sich mit den neuen Lichtmitteln irgendwann bessere Möglichkeiten ergeben, die Strassen so sinnvoll zu beleuchten, dass es keine unnötigen Lichtemissionen mehr gibt, stehe sie dem sicher nicht entgegen, sagt Ruth Jo. Scheier. Bis diese Leuchtmittel im Kanton flächendeckend eingeführt würden, sei es aber technisch einfacher und auch günstiger eine einheitliche Abschaltung einzuführen. Es gehe nicht in erster Linie ums Stromsparen, sondern um die unnötigen Emissionen.