
Das bedeutet die Aufhebung der Notlage im Aargau: Was die Regierung nicht mehr darf – und was weiterhin gilt
Die drei Stufen
Auf kantonaler Ebene existieren gemäss Bevölkerungsschutz- und Zivilschutzgesetz drei Eskalationsstufen: Die normale Lage, Grossereignis und Notlage. Die Kategorie Grossereignis ist für Katastrophenfälle wie zum Beispiel massive Überschwemmungen vorgesehen. Der Regierungsrat kehrt mit der durchgeführten Aufhebung der Notlage somit direkt zurück zur normalen Lage.
Was sich ab Ende Juni ändert:
1. Schnelle Finanzspritzen sind Vergangenheit
Durch die Notlage hatte der Regierungsrat die Möglichkeit, «die finanziellen Mittel für dringende Massnahmen zur Hilfeleistung bereitzustellen». Wie im Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetz vorgesehen, durfte die Regierung während der Coronakrise Budgetmittel und Verpflichtungskredite vorzeitig freigeben. Ein Beispiel dafür war das 150-Millionen-Franken-Hilfspaket für Unternehmen, über das der Grosse Rat nur nachträglich befinden darf. Schnelle Finanzspritzen gibt es nun nicht mehr.
2. Keine neuen Sonderverordnungen
Ab Freitag, 19. Juni, kann der Regierungsrat keine neuen Sonderverordnungen mehr erlassen. Dieses Instrument nutzte er beispielsweise, um den Spitälern die Durchführung von geplanten Operationen zu verbieten. Diese Einschränkung hatte er schon Ende April aufgehoben.
3. Videoüberwachung: Polizei wird eingeschränkt
© Keystone
Die Polizei geniesst seit Anfang April mehr Videoüberwachungs-Möglichkeiten, um zu kontrollieren, ob sich die Bevölkerung an die Corona-Regeln hält. Sie darf in Echtzeit auf Überwachungsanlagen öffentlich zugänglicher Räume zugreifen und neue Kameras installieren. Sie machte davon laut Aargauer Regierung allerdings nicht Gebrauch. Diese zusätzlichen Vollmachten fallen nun weg.
4. Einschränkungen für Spitäler
Listenspitäler müssen sich bald wieder an die Leistungsaufträge halten, die ihnen der Kanton erteilt hat. Unter dem Notrecht wurden die Spitäler von den Schranken der Spitalliste befreit. So konnten alle unbedingt nötigen Eingriffe vorgenommen werden, sofern diese dem medizinischen Kompetenzbereich entsprachen – selbst wenn sie nicht zum eigentlichen Spitalauftrag gehörten. Gleichzeitig durfte das Departement Gesundheit und Soziales den Spitälern auch Leistungsaufträge erteilen.
5. Wartefrist für Prämienverbilligung
© Martin Ruetschi
Wer einen Antrag auf Neuberechnung der Prämienverbilligung stellt, muss mit einer Wartefrist von sechs Monaten rechnen. Während der Coronakrise wurde diese Frist aufgehoben. Nun ist wieder Warten angesagt. Zudem werden ab Freitag wieder Einträge in der Liste der säumigen Versicherten vorgenommen. Solche Einträge wurden wurden während der Coronakrise nicht vorgenommen.
Was sich nicht ändert:
1. Längere Fristen bei der Steuererklärung
Die Frist zur Einreichung der Steuererklärung 2019 wird für die unselbständig erwerbenden Personen bis zum 30. Juni 2020, für die selbstständig erwerbenden Personen sowie Landwirte bis zum 30. September verlängert. Noch immer muss kein Gesuch um Fristerstreckung eingereicht werden.
Ebenfalls ohne Gesuch wird die Frist zur Einreichung der Steuererklärung 2019 für alle juristischen Personen bis zum 30. September verlängert. Gleichzeitig gilt für alle Steuerforderungen ein Mahn- und Betreibungsstopp bis zum 30. Juni. Vorgesehen ist eine Verlängerung bis 31. Dezember. Auch die Frist zur Einreichung von zusätzlichen Unterlagen soll bis Ende Jahr verlängert werden. Bei verspäteter Zahlung der Kantons- und Gemeindesteuer enfällt der ansonsten übliche Verzugszins.
2. Öffentliche Auflage von Akten und Akteneinsicht
Bis Ende 2020 können zuständige Behörde verlangen, dass öffentlich aufzulegende Akten wie beispielsweise Bauchgesuche sowohl in Papierform als auch elektronisch einzureichen sind. Während der Geltungsdauer dieser Verordnung kann zudem bestimmt werden, dass digital in die Akten Einsicht genommen werden muss und eine Einsichtnahme vor Ort nur in begründeten Einzelfällen möglich ist.
3. Urnenabstimmung statt Gemeindeversammlung
Zur Verfügung gestellt
Lässt ein dringendes Geschäft, über das im Normalfall die Gemeindeversammlung oder der Einwohnerrat zu entscheiden hat, keinen Aufschub zu, kommt es weiterhin direkt zur Urnenabstimmung. Die Geltungsdauer dieser Bestimung soll bis Ende Jahr verlängert werden. Allerdings muss der Gemeinderat genau darlegen, warum die Sache keinen Aufschub duldet. Gemeindeversammlungen können somit nicht einfach ohne Begründung durch Urnenabstimmungen ersetzt werden.
4. Hilfsmassnahmen für die Wirtschaft
Mit der Sonderverordnung zur Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie will der Kanton Unternehmen schützen. Bis September 2020 wird er gegenüber der jeweiligen Geschäftsbank des zu unterstützenden Unternehmens eine Kreditausfallgarantie gewähren. Die Dauer dieser Garantie beträgt fünf Jahre.
Was sich auf nationaler Ebene ändert:
Auf nationaler Ebene folgt die «besondere» Lage auf die zuvor ausgerufene «aussergewöhnliche» Lage. Während diese Änderung für Privatpersonen kaum zu spüren sein wird, sorgt diese Abstufung doch in vielen Bereichen für Veränderungen:
- Neu haben die Kantone wieder mehr Mitspracherecht. Trotzdem kann der Bundesrat in den Kompetenzbereich der Kantone eingreifen. So darf er gewisse Massnahmen selber anordnen. Trotzdem muss zuerst eine Anhörung der Kantone stattfinden.
Ärztinnen und Ärzte können weiterhin zum Leisten von Diensten aufgefordert werden. (Archivbild) © KEYSTONE/TI-PRESS/ALESSANDRO CRINARI
- Weiterhin kann der Bundesrat Massnahmen wie flächendeckende Quarantäne für Kontaktpersonen einer infizierten Person anordnen. Er kann auch Einschränkungen, die grössere Personengruppen betreffen, vornehmen. So ist es ihm beispielsweise möglich, Schulen zu schliessen oder Vorgaben und Einschränkungen für öffentliche Veranstaltung zu erlassen.
- Auch im gesundheitlichen Bereich hat der Bundesrat weiterhin eine grosse Entscheidungsfreiheit. In den letzten Monaten konnte Gesundheitspersonal dazu verpflichtet werden, Dienst zu leisten und zur Bekämpfung des Coronavirus beizutragen. Auch in der besonderen Lage gilt dies weiterhin. Zusätzlich hat der Bundesrat die Möglichkeit, Impfungen für gefährdete oder exponierte Personen obligatorisch zu erklären.