Das Herz von Mammut bleibt in Seon: Wie vor über 150 Jahren alles mit Seilen begann – ein Einblick in die Firmenzentrale

Es ist der Tag des Verkaufs von Mammut an die britische Investmentfirma Telemos Capital, die Sonne wärmt Bäume und Wiesen rund um das Industriequartier Birren. Eine kleine Wirtschaftswelt für sich, nur wenige hundert Meter vom Dorf Seon im Seetal zwischen Aarau und dem Hallwilersee. Umgeben von ländlicher Idylle finden sich hier Garagen, Kleingewerbe, eine Maschinenfabrik, ein Bio-Verteiler und Mammut. Eine Firma mit Weltruf, ein Logo das man von den USA bis Japan kennt, ein Unternehmen, das je nach Schätzung eben für 200 bis 350 Millionen Franken verkauft wurde.

 
Mammut-Hauptsitz in Seon liegt umgeben von ländlicher Idylle in einem kleinen Industriequartier ausserhalb des Dorfes.

Mammut-Hauptsitz in Seon liegt umgeben von ländlicher Idylle in einem kleinen Industriequartier ausserhalb des Dorfes.

Chris Iseli

Von der Hektik im Blätterwald, den zahlreichen digitalen Berichten, dem Getratsche in den Strassen, davon spürt man hier und heute nichts. Das Rauschen vorbeifahrender Autos, das Gezwitscher einzelner Spatzen – und sonst Ruhe. Als wäre nichts. Oder besser: Als wäre alles wie immer. Soweit sich Mammut als Unternehmen über den ganzen Globus verteilt hat, das Herz war, ist und soll im Seetal liegen.

Das wenigstens versprechen die Investoren. Kein Abbau, eher ein Ausbau blüht Seon (Hauptsitz seit 1992). Angefangen hat alles vor fast 160 Jahren in Dintikon. Knapp fünf Kilometer Luftlinie trennen Mammut heute von seinen Wurzeln, viel Wald und das Dorf Ammriswil liegen dazwischen.

Es begann 1862 mit Seilen für …? Richtig, die Landwirtschaft

Die Seilerei, wo 1862 in Dintikon, fünf Kilometer Luftlinie von Seon, alles angefangen hat.

Die Seilerei, wo 1862 in Dintikon, fünf Kilometer Luftlinie von Seon, alles angefangen hat.

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Gegründet wurde das Unternehmen 1862 von einem jungen Seilmacher namens Kaspar Tanner. Doch mit Alpinismus und Outdoorsport hatte das Familienunternehmen anfangs wenig am Hut. Man produzierte Schnüre und statische Seile für die Landwirtschaft, das Gewerbe und später die Industrie. Bis 1924 blieb das Unternehmen in Familienbesitz, 1943 entstand der weltbekannte Mammut-Brand und aus der Seilwarenfabrik AG Lenzburg wurde Mammut Seile.

Kaspar Tanner gründete Mammut 1862. Sein Sohn Oscar übernahm das Geschäft 1897 und reichte die Seilzwirneinrichtung als Schweizer Patent Nr. 59645 ein. Innovation gehört zur DNA von Mammut.

Kaspar Tanner gründete Mammut 1862. Sein Sohn Oscar übernahm das Geschäft 1897 und reichte die Seilzwirneinrichtung als Schweizer Patent Nr. 59645 ein. Innovation gehört zur DNA von Mammut.

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Stärke und Kraft, dafür steht das Urtier. Mit neuem Selbstvertrauen macht sich auch das Traditionsunternehmen auf, neue Welten zu erobern: die Berge. In den 50er-Jahren bringt Mammut das erste Seil aus Nylongarn auf den Markt. Und 1958 folgt das erste Seil mit einer Kernmantel-Struktur. Erst seit den 70er-Jahren gibt es von Mammut auch Kleider. Man ist Wegbereiter für den heutigen Outdoor Hype und gehört heute zu den Premiumanbietern der Branche.

Heute gibt es von Mammut praktisch alles, was dem Menschen das Leben in extremen Bedingungen erleichtert. Und noch viel mehr. Mammut gehört zu den führenden Outdoormarken dieser Welt, verfügt mit Schlafsäcken, Schuhen, Kleidern, Rucksäcken, Seilen und zahlreichen weiteren Produkten quasi über ein Vollsortiment.

Mit Seilen hat alles angefangen bei Mammut. Heute werden sie nicht mehr in der Schweiz produziert, aber geforscht, entwickelt und getestet wird hier.

Mit Seilen hat alles angefangen bei Mammut. Heute werden sie nicht mehr in der Schweiz produziert, aber geforscht, entwickelt und getestet wird hier.

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Geblieben ist der Anspruch auf Technologieführerschaft. Durch eigene Entwicklungen wie das Barryvox, ein Lawinenverschütteten-Suchgerät, das 1969 auf Anfrage der Armee entwickelt wurde, oder durch Zukäufe. Was insbesondere unter CEO Rolf Schmid geschieht (1996–2016). Schlafsackhersteller Ajungilak und Schuhproduzent Raichle werden genauso aufgekauft wie Lawinenrucksack-Hersteller Snowpulse.

An diesem Frühlingstag Ende April in Seon wird aber auch klar, wie viel sich in den letzten Jahren verändert hat. Die Seilproduktion, einst Kern und Herz der Firma, wurde 2015 an die österreichische Firma Teufelberger verkauft. Seit 2016 produzieren die Österreicher sämtliche Mammut-Seile. Mit Hilfe von Forschung und Entwicklung sowie Design und Qualitätsvorgaben aus der Schweiz.

Ein Blick in die Mammut-Produktion aus dem Jahr 1960.

Ein Blick in die Mammut-Produktion aus dem Jahr 1960.

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Die Produktion von Industrieseilen läuft immer noch, aber nicht mehr unter Mammut. Noch 2010 setzte das Outdoorunternehmen 30 Prozent seiner Seile im Industriesegment ab. Dieses Business hat man ganz aufgegeben. Der Fokus ist klar: Berge, Gletscher, Eiswände. Oder wie es am Firmensitz auf einem Plakat steht: «Purpose: To ­Create a World Moved by Mountains». Alles dreht sich um die Welt der Berge, das Erleben und Erhalten dieser.

Was ist noch in Seon? Das Herz, aber eben auch der Kopf

Eine Welt, die zugleich auch immer digitaler wird. Übrigens mit ein Grund für den Wechsel an der Firmenspitze 2016, den Wechsel zu Oliver Pabst. «E-Commerce existierte quasi nicht, als ich anfing», sagt er. Sein Ziel mit Mammut? Er will ein Ökosystem schaffen. Ein Netzwerk von Mitarbeitenden, Lieferanten und Kunden, die eines vereint: ihre Liebe zur Natur, ihr Bedürfnis sich diesen Kräften auszuliefern, manche bis in die hintersten Winkel dieses Planeten. Sie sind die Aushängeschilder von Mammut, Alpinisten wie Dani Arnold, Stefan Siegrist oder Caro North. Pioniere allesamt.

 

Produziert wird in der Schweiz nicht mehr vieles. Das Barryvox, ja. Der Rest wird in rund 30 Ländern dieser Welt hergestellt – von Portugal über die Türkei bis nach Vietnam und China. Doch egal, wo produziert wird, es gelten immer Schweizer Qualitätsstandards. Und so sagt Pabst:

«Das Herz, die Seele von Mammut, die liegt immer noch in Seon. Daran wird sich auch unter den neuen Investoren nichts ändern.»

Was in Seon gemacht wird, ist die Kopfarbeit. Das weltweite Marketing, das Social-Media-Team, die IT, die Personalabteilung sowie Forschung und Entwicklung befinden sich hier. Da kommt es immer wieder vor, dass einer an der Kletterwand neben den Bürotischen hängt und ein neues Tool ausprobiert. «Diese Leidenschaft für unsere Produkte wird von allen gelebt, aber besonders von dieser Abteilung», sagt Pressesprecher Jonas Wittwer im Vorbeigehen.

 

Unweit der Entwicklungsabteilung findet sich eine Art Mahnmal. «Mammut – We Care» steht an der Wand. Darunter sich langsam füllende Säulen, symbolisiert durch an die Wand gehängte Karabiner. Sie zeigen an, zu wie viel Prozent man die gesetzten Nachhaltigkeitsziele erreicht hat. Bis 2023 sollen umweltschädliche Stoffe aus den Lieferketten komplett verbannt sein. Lückenlos faire Arbeitsbedingungen sind ebenso Ziel wie die Sicherstellung von Produktion und Herkunft tierischer Materialien aus verantwortungsvollen Quellen.

Seit Ende 2020 hat Mammut neben dem bekannten Outlet in Seon auch einen Flagshipstore.

Seit Ende 2020 hat Mammut neben dem bekannten Outlet in Seon auch einen Flagshipstore.

Seit Ende 2020 gibt es in Seon neben dem bekannten Outlet auch den Flagship-Store. Während unseres Besuchs verliert sich höchstens eine Handvoll Leute darin. Vermutlich auch coronabedingt. Aber, das ist auch nicht entscheidend. Denn das grosse Entwicklungsgebiet sehen Pabst und die neuen Besitzer im Onlinebereich. Und da hat man im ersten Quartal doppelt so viel verkauft wie im Vorjahr. Und der Gipfel soll noch lange nicht erreicht sein.