
Das Personal fehlt: Aargauer Spitäler müssen vierte Welle mit weniger Intensivbetten bewältigen
Seit Beginn der Pandemie melden die Aargauer Spitäler dem Gesundheitsdepartement einmal täglich, wie viele Patientinnen und Patienten mit und ohne Covid-19 auf ihren Intensivstationen behandelt werden. Ausserdem weisen sie die aktuellen Restkapazitäten an Betten auf ihren Intensivstationen aus.
Wie voll die Intensivstationen sind, ist ein wichtiger Faktor, wenn es darum geht, Massnahmen zu lockern oder zu verschärfen. Es ist nämlich oberstes Ziel von Bund und Kantonen, eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern.
Zwei Drittel der Patienten liegt wegen Covid-19 auf der IPS
Am Montag lagen im Kanton Aargau 36 Patientinnen und Patienten auf einer Intensivstation (IPS). 24 von ihnen wegen einer Covid-19-Erkrankung. Die Spitäler meldeten dem Kanton am Montag zwei freie Intensivbetten. Zählt man die belegten und freien Betten zusammen, ergibt das eine Kapazität von insgesamt 38 Intensivbetten.
Auffallend ist: Vor einem Jahr wiesen die Spitäler in der letzten Augustwoche Kapazitäten zwischen 51 und 57 Intensivbetten aus. Die Kapazität lag damals nur an wenigen Tagen unter 50 Betten. Ganz zu Beginn der Pandemie gab es gar Tage mit Kapazitäten bis zu 83 Betten.
Vergangene Woche hingegen hat der Kanton für die Spitäler jeweils nur noch Kapazitäten zwischen 42 und 50 Intensivbetten ausgewiesen. Das sind bis zu zehn Betten weniger als vor einem Jahr. Dass die ausgewiesene Bettenkapazität unter 40 fällt, gab es seit Beginn der Pandemie nie.
Zugleich steigt die Zahl der Covid-Patientinnen und Covid-Patienten, die eine intensivmedizinische Behandlung brauchen, rasant an. Am Montag vor zwei Wochen wurden erst acht Covid-Patienten auf einer IPS behandelt. Am Montag vor einer Woche waren es 19; diesen Montag 24. Zudem warten bis zu 200 an Covid-19 erkrankte Personen im Ausland darauf, dass sie in die Schweiz repatriiert werden können.
Hoher Betreuungsaufwand wirkt sich auf Kapazitäten aus
Dass die Kapazität in der ersten Welle teilweise bei über 80 Betten lag, hat laut Barbara Hürlimann, der Leiterin der kantonalen Abteilung Gesundheit, mehrere Gründe. Einerseits habe es damals eine «ausserordentlich hohe Einsatzbereitschaft zugunsten der Spitäler» gegeben. Es seien beispielsweise Freiwillige eingesprungen oder Mitarbeitende hätten ihr Pensum aufgestockt.

Barbara Hürlimann, Leiterin Abteilung Gesundheit des Kanton Aargau.
Andererseits hatten die Spitäler damals noch wenig Erfahrung mit der Behandlung von Covid-Patienten. Hürlimann sagt:
«Erst in der zweiten Welle ist dann ersichtlich geworden, wie gross der Betreuungsaufwand für Covid-19-Patienten auf der Intensivstation ist.»
Pro Patient brauche es vier bis sechs Pflegerinnen. «Dadurch mussten auch die Kapazitätsangaben angepasst werden», erklärt sie.
In der zweiten Welle wurde von 50 auf 60 Betten aufgestockt
Während der zweiten Welle sind im Aargau zu den 50 zertifizierten Intensivbetten noch zehn weitere, nicht zertifizierte, dazugekommen. Auch jetzt in der vierten Welle werden im Aargau wieder Betten aufgestockt.
Das Kantonsspital Aarau (KSA) hat letzte Woche angefangen, nicht-dringende Operationen zu verschieben. Dadurch kann das Anästhesie-Personal anstatt im Operationssaal auf der Intensivstation eingesetzt werden. Die Bettenzahl dort konnte so von 20 auf 22 Betten erhöht werden.
Hirslanden könnte noch aufstocken
Die Hirslanden Klinik Aarau betreibt zehn Intensivbetten. Kurzfristig könnte man auf zwölf Betten aufstocken, sagt Mediensprecher Philipp Lenz auf Anfrage der AZ. Dies hätte allerdings Konsequenzen: «Wir müssten beispielsweise noch mehr Operationen verschieben.» Und für die «ohnehin schon stark engagierten Mitarbeitenden würde eine Aufstockung noch mehr Zusatzaufwand, ungewohnte Abläufe und mehr Stress bedeuten», so Lenz.
Das Kantonsspital Baden (KSB) betreibt zehn Intensivbetten. Im letzten Herbst hat das KSB auf 14 Betten aufgestockt. Das Spital Muri verfügte in der zweiten Welle im letzten Jahr über sechs Intensivbetten.
60 Intensivbetten zu betreiben, ist nicht mehr realistisch
Dass die Kapazitäten auf den Intensivstationen der Aargauer Spitäler jetzt erneut von 50 auf 60 Betten aufgestockt werden, ist unrealistisch. Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati hielt bereits letzte Woche im Grossen Rat fest:
«Es ist so, dass wir die Kapazitäten wahrscheinlich nicht mehr von 50 auf 60 Intensivpflegebetten steigern können.»
Das liegt nicht etwa an fehlenden Betten oder Beatmungsgeräten. Um 60 Betten zu betreiben, stehe schlicht das Personal «nicht mehr zur Verfügung», führte Gallati aus.
Motivation des Personals leidet wegen Ungeimpften
Das bestätigt auch Hürlimann. Die Auswirkungen der andauernden Belastung des Personals der Intensivstationen durch die Pandemie zeigten sich aktuell deutlich.
«Die Intensivstationen verzeichneten personelle Abgänge und die Belastungsgrenze des verbleibenden Gesundheitspersonal ist nach drei intensiven Wellen nicht mehr die gleiche.»
Auch kurz- und langfristige krankheitsbedingte Ausfälle nähmen zu. Zudem leide die Motivation des Gesundheitspersonals darunter, dass sich ein Teil der Bevölkerung nicht schütze. Diese Faktoren limitieren die zurzeit verfügbaren Intensivplätze. Laut Hürlimann liegt die maximale Anzahl Betten aktuell bei 49.