
Der Aargau steht vor der dritten Welle: Das Kantonsspital Baden befürchtet mehr schwere Fälle wegen Virusmutationen
Seit dieser Woche sind private Treffen mit bis zu zehn Personen wieder erlaubt. Es ist die einzige Lockerung, die der Bundesrat am Freitag beschlossen hat. Viele hätten sich mehr gewünscht. Schliesslich ist das Leben seit über einem Jahr eingeschränkt. Aber mehr ist im Moment leider nicht möglich.
Das sagte auch der Aargauer Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati an einer Skype-Medienkonferenz am Montag:
«Die epidemiologische Entwicklung ist ungünstig.»
Bis die Durchimpfung der Bevölkerung genügend hoch sei, sei bei Lockerungen Vorsicht geboten, sagte der SVP-Regierungsrat.
Es gehe auch darum, das bisher Erreichte nicht voreilig aufs Spiel zu setzen. Wenn man nach Ostern wieder ans Öffnen denke, könne dies nur in kleinen Schritten und vor allem risikobasiert geschehen.
Öffnungen sobald es die Lage zulässt
Der Regierungsrat werde sich beim Bundesrat dennoch dafür einsetzen, dass die noch geschlossenen Bereiche geöffnet würden, sobald es die epidemiologische Entwicklung zulasse. Aktuell ist die Lage dafür aber laut Gallati zu fragil.
Die täglichen Neuansteckungen steigen im Aargau schneller als im Schweizer Durchschnitt. Das war Anfang Februar noch anders; damals lag der 7-Tages-Durchschnitt der Inzidenz noch unter dem Schweizer Schnitt, wie die Grafik des Bundesamtes für Gesundheit zeigt.
Virusmutationen sind für hohe Fallzahlen verantwortlich
Seit Freitag sind im Aargau 345 Personen positiv auf Covid-19 getestet worden. Das sind 80 mehr als vor einer Woche, als der Kanton am Montag 265 neue Fälle gemeldet hatte.
Für den Anstieg sind vor allem die ansteckenderen Virusmutationen verantwortlich. Inzwischen sind laut Kantonsärztin Yvonne Hummel 70 bis 80 Prozent der neuen Fälle auf eine der Virusvarianten zurückzuführen.
Zahl der Covid-19-Patienten auf Intensivstation hat sich verdoppelt
Dass die Fallzahlen steigen, spüren auch die Spitäler. Während die Belegung der allgemeinen Abteilung auf tiefem Niveau stabil ist, ist die Auslastung der Intensivstationen wegen Covid-19-Patientinnen und -Patienten deutlich gestiegen.
Am Freitag wurden 18 Personen auf der Intensiv- oder Überwachungsstation behandelt. Am Freitag vor einer Woche waren es halb so viele.
Andrée Friedl, Leitende Ärztin für Infektiologie und Spitalhygiene am Kantonsspital Baden (KSB), sagt:
«Wir gehen davon aus, dass wir am Beginn einer dritten Welle stehen.»
Die Spitalmitarbeitenden hätten Respekt vor der dritten Welle. Einerseits, weil die neuen Virusvarianten ansteckender sind. Das führt nicht nur dazu, dass sich mehr Menschen anstecken, sondern auch dazu, dass insgesamt mehr Personen im Spital landen.
Zudem gibt es Hinweise dafür, dass das mutierte Virus aggressiver ist. «Wir befürchten mehr schwere Verläufe wegen der neuen Virusvarianten», sagte Andrée Friedl.
Am Kantonsspital Baden wird die Situation täglich beurteilt. «Wir werden den Betrieb für Covid-19-Patienten wieder hochfahren, wenn es notwendig ist, und selbstverständlich auch alle Nicht-Covid-19-Patienten weiterhin behandeln», sagte Friedl.
Kantonsspital Baden musste bereits Patienten in andere Spitäler verlegen
Im Moment haben die Aargauer Spitäler noch keine zusätzlichen Intensivbetten in Betrieb genommen. Das KSB musste aber bereits Patienten in andere Spitäler verlegen. Aktuell sei das noch problemlos möglich, sagte die Infektiologin,
Auf dem Höhepunkt der zweiten Welle war das anders: Da mussten die Spitäler teilweise mehrere Stunden nach einem freien Bett suchen.
Der Personalbestand auf den Intensivstationen der Aargauer Spitäler ist für eine Bettenauslastung von 80 Prozent berechnet. Aktuell liegt die Auslastung der Intensivstationen allerdings bei über 80 Prozent.
Angesichts der gut gefüllten Intensivstationen begrüsst es Kantonsärztin Yvonne Hummel sehr, dass der Bundesrat am Freitag keine weitergehende Lockerung beschlossen hat. Jetzt gehe es darum, die Lage genau zu beobachten. Hummel sagt:
«Sollte es zu massiv mehr Ansteckungen kommen, wird man diskutieren müssen, welche Auswirkungen der Anstieg auf die Massnahmen hätte.»
Ende 2020 hatte der Aargauer Regierungsrat lange gewartet, bis er schliesslich am 18. Dezember die Notbremse gezogen und – noch vor dem Bundesrat – beschlossen hatte, die Läden im Aargau zu schliessen.
Er wisse es nicht, ob er auch bei einer möglichen dritten Welle wieder so lange warten werde, sagte Jean-Pierre Gallati. Aktuell denkt er nicht daran, die Massnahmen im Aargau zu verschärfen, obwohl die Kantone diese Möglichkeit hätten. Gallati sagt:
«Im Moment gibt es auch noch die Möglichkeit, dass die dritte Welle nicht so steil verläuft oder dass möglicherweise die höheren Temperaturen einen günstigen Einfluss haben.»
Er werde den Zeitpunkt für strengere Massnahmen nicht selber festlegen, sagte Gallati weiter. «Die Frage ist, wann die Aargauer Spitäler mir sagen, dass sie die Situation nicht mehr beherrschen.» Dann würde eine Überlastung des Gesundheitswesens drohen – und das zu verhindern, ist nach wie vor das oberste Ziel von Bund und Kantonen.
Gallati und Hummel empfehlen Schnelltest vor dem Osterfest
Im Hinblick auf das bevorstehende lange Osterwochenende erinnerte Gesundheitsdirektor Gallati an die Empfehlung, sich vor einem Treffen mit Freunden oder Familie testen zu lassen.
Dazu gehe man am besten am Tag vor dem Treffen in eine Apotheke oder ein Testzentrum und mache einen Schnelltest, sagte Kantonsärztin Yvonne Hummel. Ein solcher Test liefert innerhalb von 15 Minuten das Resultat. Der Bund übernimmt die Kosten für den Test auch für Personen ohne Symptome. Selbsttests für zu Hause sind in der Schweiz noch nicht zugelassen.