
Der Aargau und die Energiewende: Bei der Solarenergie Flop, beim Heizen Top


Beim Ausbau der Solarenergie muss der Kanton Aargau in den nächsten Jahren zulegen, will es seine Klimaziele erreichen.
Netto Null bis 2050 – so lautet das nationale Klimaziel. Der Aargauer Regierungsrat unterstützt dieses. Doch um es zu erreichen, muss der Aargau Gas geben mit den Klimamassnahmen. Dies zeigt der erste Energie-Fünfjahresbericht des Kantons, der im März herauskam. Besonders im Bereich der erneuerbaren Energien muss in den nächsten Jahren zugelegt werden. Und auch die Gebäude spielen bei der Energiewende eine grosse Rolle, denn: Mehr als die Hälfte der Treibhausgasemissionen gehen auf den Wärmebedarf der Gebäude zurück.
Doch wo steht der Aargau eigentlich im schweizweiten Vergleich punkto Energiewende?
Zum ersten Mal liegen für jede Gemeinde in der Schweiz Daten zum Solaranlagenausbau, zum Stand des umweltfreundlichen Heizens und zum Ausbau der Elektromobilität vor. Das Softwareunternehmen Geoimpact hat zusammen mit dem WWF Bundesdaten ausgewertet und den Energiereporter entwickelt. Damit kann man auf der Website von Energie Schweiz, die das Projekt unterstützt, den Fortschritt seiner Gemeinde ablesen und vergleichen. Die AZ hat die Daten der 210 Gemeinden im Aargau zusammengestellt und ausgewertet.
Punkto Solarenergie sind die Aargauer Gemeinden unterdurchschnittlich
Laut dem Energiereporter wird in der Schweiz 4,3 Prozent des möglichen Solarpotenzials genutzt. 100 Prozent bildet dabei die Fläche auf Schweizer Hausdächern, auf denen eine Solaranlage technisch und wirtschaftlich realisierbar wäre. Fassadenflächen werden nicht berücksichtigt. Im Vergleich zum schweizweiten Ausbau schneidet der Aargau unterdurchschnittlich ab: 151 der 210 Gemeinden, also knapp 72 Prozent, liegen unter dem Schweizer Stand.
Besser sieht es beim erneuerbaren Heizen aus: Knapp drei Viertel der Aargauer Gemeinden liegen da über dem Ausbaustand der Schweiz. 31 Prozent der Heizungen in der Schweiz werden aktuell mit erneuerbaren Energien betrieben. Der Energiereporter stützt sich dabei auf die im eidgenössischen Gebäude- und Wohnungsregister (GWR) registrierten Heizsysteme.
Einfluss der Gemeinden und Kantone ist begrenzt
Städtische Kantone, wie etwa Genf oder Basel-Stadt, seien bezüglich installierter Solaranlagen schon weiter fortgeschritten, sagt Adrian Fahrni, Leiter der Abteilung Energie des Kantons Aargau. Dies, weil sie über einen eigenen städtischen Energielieferanten verfügen, der den politisch gewollten Ausbau von Solaranlagen forcieren kann.
Die Auswertungen des Energiereporters schätzt Fahrni in Bezug auf die Solaranlagen als verlässlich ein. Bei den Heizungen müsse man vorsichtig sein:
«Beim Gebäude- und Wohnungsregister besteht in Bezug auf das Heizsystem keine Meldepflicht.»
Es kann also sein, dass Heizsysteme in einer Gemeinde auf erneuerbar umgestellt, diese aber noch nicht eingetragen wurden.
Nach Ablehnung des Energiegesetzes durch die Aargauer Stimmbevölkerung seien die Handlungsspielräume des Kantons und der Gemeinden denn auch begrenzt, sagt Fahrni weiter. «Die Revision hätte für neue Heizungen klimatische Standards festgelegt.» Aktuell versuche der Kanton mit dem Förderprogramm für erneuerbare Heizsysteme, das noch bis 2024 läuft, einen positiven Einfluss zu nehmen.
Bei den Solaranlagen sei der Einfluss des Kantons vernachlässigbar: «Da haben vor allem die Förderfaktoren des Bundes und die lokalen Elektrizitätswerke Einfluss.» Ein Vorstoss der SP beauftragt den Kanton, einen Massnahmenplan auszuarbeiten, der aufzeigt, wie das Solarpotenzial im Kanton Aargau genutzt werden kann. Die Antwort ist noch hängig.
Ländliche kleine Gemeinden schneiden besser ab
Vergleicht man die Gemeinden im Kanton untereinander, fällt vor allem eines auf: Besonders beim erneuerbaren Heizen, aber auch beim Ausbau der Solaranlagen auf den Dächern schneiden kleine ländliche Gemeinden besser ab.
«Grössere Städte sind häufig noch an ein Erdgasnetz angeschlossen», sagt Fahrni, auch wenn viele Städte, wie etwa Aarau, angefangen hätten, Wärmenetze neu zu erstellen oder bestehende auszubauen. Auf dem Land hingegen, wo es mehr Einfamilienhäuser gibt, hätten viele Besitzer die Erdölheizung durch ein erneuerbares System ersetzt. Denn das zahlt sich mittlerweile auch wirtschaftlich aus. Auf dem Land habe es zudem grössere Baureserven, und bei Neubauten setzen viele auf ein erneuerbares Wärmesystem. Hinzu kommen statistische Effekte:
«Errichtet eine grosse Firma in einem kleinen Dorf eine Solaranlage auf ihrem Dach, hat das einen viel grösseren Einfluss als in einer grossen Stadt.»
Grosse Unterschiede zwischen den Gemeinden
Die Spitzenreiter bezüglich Solaranlagen sind denn auch ländliche Gemeinden. Mit Abstand am besten schneiden Mellikon (20,6%) und Wittnau (17,7%) ab. In Mellikon sind also schon über 20 Prozent der Dachflächen, auf denen eine Solaranlage möglich ist, mit Solarpanels ausgestattet. Die Unterschiede zwischen den Gemeinden sind deutlich: So nutzt etwa Kaiserstuhl im Bezirk Zurzach nur gerade 0,2 Prozent seines Solaranlagen-Potenzials. Also über hundert Mal weniger als der Spitzenreiter Mellikon. Sowohl Mellikon als auch Kaiserstuhl sind kleine ländliche Gemeinden. Hier könnte die Erklärung von Adrian Fahrni greifen, dass es in Gemeinden mit einer ausgeprägten Altstadt schwieriger ist, Solaranlagen zu installieren.
Beim Heizen liegt Würenlingen mit 84,9 Prozent an erneuerbaren Heizsystemen auf dem ersten Platz. Das heisst, in der Gemeinde im Bezirk Rheinfelden sind schon knapp 85 Prozent der registrierten Heizsysteme erneuerbar. Somit kommt sie sogar nah ran an die beste Gemeinde in der Schweiz. Diese ist mit 89,5 Prozent Furna im Kanton Graubünden.

Wer mit Holz heizt, tut viel fürs Klima.
Aarau liegt laut Gemeindereporter im hinteren Drittel
Erstaunlich schlecht schneidet das energieambitionierte Aarau ab. Auch wenn man Aarau mit Gemeinden einer ähnlichen Kategorie bezüglich Grösse und Standort vergleicht, liegt die Stadt bei der Fotovoltaik mit 2,3 Prozent im unteren Drittel. Beim erneuerbaren Heizen (13%) sogar auf dem viertletzten Platz.
Der Stadt Aarau würden gemeindespezifischere Daten vorliegen, sagt Charlotte Haupt, Projektleiterin Energie und Umwelt Aarau. So gibt es etwa Daten aus der Feuerungskontrolle oder dem Energieversorger, die nur teilweise in den Bundesdaten integriert sind: «Damit schneidet die Stadt Aarau besser ab.»
Mit den gemeindeeigenen Daten hat Aarau einen erneuerbaren Heizanteil von knapp 27 Prozent und nutzt bereits fünf Prozent des möglichen Solarpotenzials. Also deutlich besser als im Energiereporter ausgewiesen.
Alexander Thommen, Pressesprecher bei Geoimpact, gibt Charlotte Haupt recht. Weil aber die Datenquelle beim Energiereporter für alle Gemeinden die Gleiche ist, sei ein Vergleich zulässig. Die bessere Datenversorgung aus den Gemeinden sei denn auch ein Ziel des Energiereporters: «Nur so kann man ein adäquates Bild der Situation in den Gemeinen schaffen.» Dies trage einen Schritt in eine umweltfreundlichere Zukunft bei.
Elektromobilität genau im Schweizer Mittel
Die Aargauer besitzen 5030 Elektroautos. Das sind knapp 1,2 Prozent aller registrierten Fahrzeuge im Kanton. Die Daten aus dem April stammen vom Bundesamt für Strassen (Astra). 1,2 Prozent – das heisst, dass jedes achtzigste Aargauer Auto elektrisch betrieben wird. Damit liegt der Aargau exakt im Schweizer Durchschnitt. Laut dem Energiereporter von Energie Schweiz fahren 1,2 Prozent aller in der Schweiz registrierten Autos elektrisch. Als Elektroautos gelten alle Fahrzeuge mit einem elektrischen Antrieb, einem elektrischen Antrieb mit Range-Extender oder einem elektrischen Antrieb durch Wasserstoff.

In Bettwil gibt es die meisten Autos ohne Benzin.
Die höchste Dichte an elektrischen Fahrzeugen hat die Gemeinde Bettwil in Muri: 27 der insgesamt 528 Autos fahren ohne Benzin. Das ist fast jedes zwanzigste Auto. Schweizweit hat die Gemeinde Saas-Fee im Kanton Wallis mit 9,8 Prozent die meisten Elektroautos. Die Gemeinde Mellikon in Zurzach liegt mit 2,9 Prozent unter den Top 5 des Kantons Aargau. Die Gemeinde belegte auch beim Ausbau der Fotovoltaikanlagen Platz eins.
Vergleicht man die grösseren Städte, liegen Baden, Bergdietikon und Untersiggenthal mit 1,7 Prozent auf den vordersten Plätzen, dicht gefolgt von Aarau mit 1,6 Prozent. In der Kantonshauptstadt sind 199 der 12’199 Autos elektrisch unterwegs, also etwa jedes Sechzigste. Die Autofahrer in Spreitenbach oder Killwangen sind im Vergleich dazu weniger umweltfreundlich unterwegs. Nur etwa jedes zweihundertste Auto ist dort CO2-neutral. Als einzige Gemeinde im Kanton hat Leimbach im Bezirk Kulm gar keinen Elektroautobesitzer.