
Der Biber breitet sich im Aargau aus – nicht alle sind begeistert
Alle fünf Jahre erhebt der Kanton zusammen mit freiwilligen Helferinnen und Helfern den Biberbestand im Aargau. Diesen Winter fanden Christian Tesini, im Umweltdepartement unter anderem zuständig für den Biber, und seine Helfer heraus, dass der Bestand der Nager deutlich wächst. 2008 schätzte man ihn noch auf 272 Biber, 2013 waren es 276. Jetzt sind es mit 345 fast 70 Tiere mehr. Die meisten der 113 (plus 36) bekannten Biberreviere sind an Rhein, Aare, Reuss und Limmat sowie deren Seitengewässern. An der Wyna wohnen gleich drei Einzel-/Paare und drei Familien.
Nehmen auch die Konflikte zu? Aktuell beurteilt Tesini die Situation «im Vergleich zu anderen Kantonen wie Zürich oder Thurgau als nicht wahnsinnig konfliktträchtig». Unlösbare Probleme sieht er nicht. Grosse Konflikte ergeben sich aufgrund von Dammbauten. Wie etwa an der Alten Jone in Oberlunkhofen. Frassschäden an Mais oder Zuckerrüben verursacht der Biber sehr wenig. Dafür muss der Kanton jährlich 2000 bis 3000 Franken Entschädigung zahlen.
Ein Feld oder Bäume könne man mit einem einfachen Elektrozaun vor dem Biber schützen, sagt Tesini. Weniger Konflikte sieht er bei tieferen Bächen, weil ein Biber dort ohne Damm seinen Bau unter Wasser errichten kann. Inzwischen besiedelt er vermehrt kleinere Bäche, gründet dort eine Familie: «Da nehmen die Konflikte zu», sagt Tesini. Dennoch sieht er im Reusstal noch Ausbreitungspotenzial, mag aber keine Schätzung geben, wie viele Biber hier noch Platz haben könnten.
Noch nie ein Abschussbegehren
Bisher wurde im Aargau noch nie ein Biber abgeschossen, beim Bund auch noch nie ein Begehren dafür gestellt. Und eine Umsiedlung? Tesini schüttelt erneut den Kopf: «Auch das machen wir nicht. Es nützt nichts. Wenn die Population wächst, wäre es eine Frage der Zeit, bis sich am selben Ort wieder ein Biber niederlässt. Und wohin sollten wir ihn auch umsiedeln?» Tesini favorisiert technische Lösungen. Wenn ein Weg an einem Bach entlang immer wieder unterhöhlt wird, könnte man den Weg verlegen. Oder am Bachbord Gitternetze einbauen: «Dann ist der Konflikt gelöst.» Wichtig ist ihm ein Miteinander, nicht ein Gegeneinander von Naturschützern und Betroffenen.
Damm neunmal abgebrochen
Auch Ralf Bucher, Geschäftsführer des Bauernverbandes Aargau und CVP- Grossrat, beurteilt die Frassschäden durch Biber als klein: «Die Bauern melden solche Schäden meist nicht mal.» Problematisch werde es hingegen, wenn die Biber mit Dämmen einen Rückstau verursachen, Drainagen nicht mehr funktionieren, Land vernässt oder unterhöhlt wird. Auch den Bauern gehe es um ein konstruktives Miteinander, sagt Bucher, und er betont: «Der Biber darf hier leben.» Doch machten «kantonale Umweltverbände immer wieder Einsprachen, wenn ein Damm abgerissen werden muss».
Wenn Land vernässt wird, pressiere es aber. Die Akzeptanz der Biber leide bei den Bauern, wenn nötige Massnahmen zu lange verzögert werden. Und wenn man vor Gericht recht bekomme, müsse der betroffene Bauer den Schaden selbst bezahlen. An der Alten Jone habe ein Bauer den Damm, den er von Gerichts wegen abreissen durfte, inzwischen neunmal entfernen und noch Ausgleichsmassnahmen finanzieren müssen: «Das kann bis 10’000 oder gar bis 20’000 Franken kosten. Man müsste deshalb immer fragen, ob solche Massnahmen wirklich nötig sind, und ob es nicht auch günstiger geht.»
Sinnvoll findet Bucher Massnahmen wie die Absenkung der Sohle oder die Erweiterung eines Bachbetts, besonders, wenn der Bach ohnehin renaturiert wird. Der Kanton kläre dies derzeit ab. Angesichts steigender Bestände müsse man sich um den Biber keine Sorgen machen, wohl aber die Akzeptanz gewährleisten, so Bucher.
Betsche: Anders bewirtschaften
Grosse Freude herrscht indes bei Pro-Natura-Aargau Präsident Matthias Betsche: «Dass wir deutlich mehr Biber haben, ist eine tolle Nachricht für den Wasserkanton. Der Biber belebt Gewässer, er gehört hierher, er tut der Natur gut.» Gewiss gebe es Konflikte, wenn der Biber Lebensraum in Anspruch nehme, den Landwirte bewirtschaften. Den Vorwurf von Ralf Bucher weist er aber zurück: «Naturschutzverbände geben dem Biber eine Stimme. Das ist unabdingbar. Er kann sich nicht selbst wehren. Nur so kommt es zu einer korrekten Interessenabwägung.»
Für geschädigte Bauern hat Betsche Verständnis. Zu bedenken gibt er aber, dass der Biber sich etwa im Reusstal besonders wohl fühlt. Es sei langfristig besser, wenn Bauern in ehemaligen Sumpflandschaften und in Gewässerräumen die Bewirtschaftung umstellten, sodass ein Miteinander möglich ist. Im Fall des Damms an der Alten Jone habe man vorgeschlagen, auf vernässtem Boden zum Beispiel auf Reisanbau umzustellen: «Das wäre langfristig für beide Seiten besser, als immer wieder den Damm abzubrechen.» Ralf Bucher hält dagegen, Reisanbau habe nichts mit Bibern zu tun. Er bedinge vielmehr «grosse Eingriffe, der Wasserstand muss mit Pumpen reguliert werden. Der Biber allein schafft das nicht».