Der Druck auf Prostituierte steigt: SP fordert ein Ende des Sexarbeitverbots im Aargau

Seit letztem Oktober hat der Bundesrat die Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus erneut schrittweise ausgeweitet. Im Bereich Sexarbeit verzichtete er aber auf eine weitere Verschärfung. Laut Bund gehören die Erotikbetriebe zu den öffentlich zugänglichen Dienstleistungen. Geht es nach ihm, dürfen Bordelle offen sein und Prostituierte ihre Dienstleistungen anbieten. Sechs Kantone, darunter der Aargau, sind aber strenger und verbieten als Coronaschutzmassnahme Angebote im Erotikgewerbe. Seit dem 20. Dezember ist die Sexarbeit im Kanton Aargau illegal.

Viele Prostituierte treibt das in eine finanzielle Notlage: Zwar könnten etwa selbstständige Sexarbeitende Erwerbsersatzentschädigung beantragen. Doch das ist für die Betroffenen mit hohen Hürden verbunden: Viele sprechen nur schlecht Deutsch oder haben Angst vor Stigmatisierung. Weil für sexuelle Dienstleistungen zudem nur selten Quittungen ausgestellt werden, ist es schwierig, die Umsatzeinbrüche nachzuweisen. Die Beratungsstelle Sexuelle Gesundheit Aargau (Seges) hatte seit dem Lockdown im Frühling so viele Hilfeanfragen von Sexarbeitenden, dass sie diese teilweise an andere Kantone abschieben musste.

«Die Dienstleistung dauert oft nicht länger als 15 Minuten»

Für den 22. März hat der Bundesrat weitgehende Lockerungen in Aussicht gestellt: Kultur- und Sportveranstaltungen sollen wieder stattfinden und Fitnesscenter für begrenzte Besucher öffnen dürfen. Für SP-Grossrätin und Geschäftsführerin der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) in Zürich, Lelia Hunziker, ist klar, dass der Kanton Aargau ab dann auch die Sexarbeit wieder erlauben muss. «Schlussendlich geht es um eine Dienstleistung, die geschützt stattfinden kann und oft nicht länger als 15 Minuten dauert.» Morgen Dienstag fordert sie mit einer Interpellation Antworten vom Kanton. So will sie etwa wissen, auf welche Fakten sich das Verbot der Sexarbeit stützt.

Zudem erkundigt sich Lelia Hunziker nach verdeckten Ermittlungen, die von Polizisten durchgeführt wurden, nachdem Sexarbeitende trotz Verbots Dienstleistungen im Internet angeboten hatten. So stand eine 55-jährige Frau im Februar in Baden vor Gericht, weil sie einem verdeckten Ermittler eine erotische Massage angeboten hatte. Der Verdacht von Hunziker: Die Polizei mache gezielt Jagd auf Randgruppen.

Die Zahl der Geschlechtskrankheiten steigt

Weil Sexarbeitende trotz Verbots auf Geld angewiesen seien, würden einige illegal weiterarbeiten, sagt Hunziker. Das hat für die Betroffenen riskante Folgen: Sie sind weniger gut vor Gewalt geschützt und können sich schlechter gegen die Forderungen der Freier wehren. Das zeigt auch ein Bericht von Procore, der Schweizerischen Beratungsstelle für Sexarbeitende, der am Montag erschienen ist. Demnach verzeichneten Kantone, die ein Sexarbeitverbot eingeführt haben, vermehrt Gewalt und Aggressionen gegen und unter Sexarbeitenden. Eine erschreckende Zahl kommt von einer Fachstelle in Zürich, die Anfang Februar ein Testing auf sexuell übertragbare Krankheiten (STIs) durchgeführt hat. Dabei stellte sich heraus, dass die STIs bei den Getesteten von im Schnitt 20 auf 57 Prozent gestiegen sind. Hunziker erklärt das so:

«Wenn die finanzielle Notlage der Prostituierten gross ist, steigt der Druck, sexuelle Dienstleistungen ohne Schutz anzubieten.»

Der Bericht betont, es würden keinen Daten vorliegen, dass die Sexarbeit ein Treiber der Pandemie ist. So weist etwa der Kanton Zürich, in dem Sexarbeit verboten ist, mit 65,4 einen höheren 7-Tage-Inzidenz-Wert auf als Bern mit 61,9, in dem die Sexarbeit seit Mitte Dezember wieder erlaubt ist. Lelia Hunziker ermahnt, dass die Illegalität sogar einen negativen Effekt auf die Infektionszahlen haben kann:

«Findet die Arbeit illegal statt, ist die Gefahr grösser, dass Schutzkonzepte nicht eingehalten werden.»

Wichtig ist für Hunziker auch, dass die Aufhebung des Verbots in den Kantonen koordiniert stattfindet: «Dieser Flickenteppich macht absolut keinen Sinn.» Wie der Bericht von Procore zeigt, weichen Prostituierte schon jetzt in Kantone aus, in denen es kein Verbot gibt. Dies verschärft wiederum den Druck auf die Prostituierten: «Durch das Überangebot steigt der Preisdruck und die Sexarbeitenden können leichter ausgebeutet werden.»

Breite Allianz fordert Handeln gegen «Loverboy-Masche»

Ebenfalls im Grossen Rat eingereicht wurde eine Motion zur Prävention der sogenannten «Loverboy-Masche». Eine breite Allianz von Grossrätinnen und Grossräten von links bis rechts fordert bessere Aufklärung an Schulen zur Thematik. Die Fälle von Loverboys häuften sich in den letzten Jahren in der Schweiz und auch im Aargau gab es sie. Die perfide Masche funktioniert so: Die sogenannten Loverboys gaukeln jungen Mädchen Liebe vor und machen sie emotional abhängig. Später verleiten oder zwingen sie die Betroffenen zur Prostitution, oft mit der Begründung, das Geld für die gemeinsame Zukunft verwenden zu wollen. Die Motion fordert eine bessere Aufklärung an den Schulen und das Bereitstellen von altersgerechtem Informationsmaterial zum Thema.