
Der Kindergartenstart findet für viele zu früh statt
Stichtag für den Eintritt in den Kindergarten auf den Beginn des kommenden Schuljahrs ist der 31. Juli desjenigen Jahrs, an dem das Kind sein viertes Altersjahr vollendet hat. Dieser Stichtag wurde mit einer Volksschul-Reform vom 30. April auf den 31. Juli verschoben. Falls ein Kind dann noch nicht reif ist für den Kindergarten, kann die Schulpflege auf Gesuch der Eltern den späteren Eintritt gestatten. SVP-Grossrätin Maya Meier stört sich jetzt am Stichtag 31. Juli. Sie beobachtet nämlich, «dass praktisch alle Eltern, die ich kenne und die wie ich ein Kind haben, das im Juni/Juli geboren ist, eine Verschiebung um ein Jahr beantragen, weil ihr Kind noch nicht so weit ist. Das habe ich auch gemacht.»
Die Quote habe auch in anderen Kantonen mit Stichtag 31. Juli markant zugenommen. Gewiss würden diese Anträge problemlos gutgeheissen, räumt Meier ein, «aber es ist doch ein administrativer Leerlauf, wenn so viele Eltern ein Gesuch stellen und Schulpflege und Schulleitung sich damit befassen müssen. Das erschwert auch die Planung der Pensen und Ressourcen für das kommende Schuljahr.»
«Geht auch ohne Heilpädagogik»
Offenbar werde zudem Eltern zurückgestellter Kindern aktiv empfohlen, ein für die Eltern kostenloses heilpädagogisches Angebot in Anspruch zu nehmen. Meier: «Das ärgert mich, das ist doch nicht nötig und kostet viel Geld. In diesem Alter entwickelt sich ein Kind sehr schnell. Manchmal macht es halt erst einige Monate später ‹den Knopf auf›, auch ohne Heilpädagogik.»
Wenn die Verschiebungsquote so hoch ist, stimme doch etwas nicht, sagt Meier. Sie schlägt deshalb in einem Postulat vor, den Stichtag vorzuverlegen. Denkbar wäre für sie das Zuger Modell. In Zug ist der Stichtag auf Ende Februar festgelegt. Möglich ist dort auch eine flexible Einschulung bis Ende Mai für weit fortgeschrittene Kinder. Das gäbe Eltern Spielraum, so Meier, zu entscheiden, ihr Kind mit vier Jahren oder ein Jahr später in den Kindergarten zu schicken.
Doch heisst das, dass ein Kind dann einfach einige Monate später in den Kindergarten eintreten kann, wenn die Eltern finden, jetzt sei es reif? Meier schüttelt den Kopf: «Nein, Schulbeginn ist und bleibt der August. Der Eintritt erfolgt dann halt ein Jahr später.» Das Problem heute sei, dass die jüngsten Kinder beim Kindergarteneintritt genau vier Jahre alt sind. Sobald sie mit dem Kindergarten begonnen haben, gebe es in der Regel kein Zurück mehr.
Diese Kinder sind und bleiben dann die Jüngsten, auch beim Schulbeginn, in der Oberstufe oder in der Lehre, die diese Kinder bereits mit genau 15 Jahren beginnen. Eine Wiederholung einer Klasse oder ein drittes Kindergartenjahr sehe unser Schulsystem nicht beziehungsweise nur in wenigen Ausnahmefällen vor. Meier listet auf: «Die Kinder werden irgendwie durchs Schulsystem mitgeschleppt, mithilfe von Heilpädagogen und anderen teuren Massnahmen, obwohl sie – ich sage es nochmals – eventuell einige Monate später ganz von alleine ‹den Knopf aufgemacht› hätten.»
Manche tragen noch Windeln
Vielen Eltern scheine die Problematik bewusst zu sein und sie würden von sich aus auf die Bremse stehen, sagt Meier. Mit vier Jahren seien viele Kinder noch nicht reif genug, einige tragen noch Windeln, andere hätten Mühe, sich über einen längeren Zeitraum zu konzentrieren. Einerseits überfordere ein zu früher Kindergarteneintritt das Kind, andererseits könnten zu früh eingeschulte Kinder einen negativen Einfluss auf die ganze Klasse haben, gibt Meier zu bedenken.
Lehrerverband: Problem besteht
«Das Problem besteht tatsächlich», sagt Manfred Dubach, Geschäftsführer des Aargauischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (alv). «Wir haben viele entsprechende Rückmeldungen von Schulleitungen und Kindergartenlehrpersonen. Es kommt sogar vor, dass Letztere Kindern die Windeln wechseln müssten. Das dürfen sie rechtlich gesehen aber gar nicht, weil sie nicht die Ausbildung einer Kleinkinderzieherin haben. Sie müssten in so einem Fall die Eltern anrufen», so Dubach. Da müsste man die Ausbildung der Kindergartenlehrpersonen anpassen, was Dubach aber nicht sinnvoll findet.
Trotz allem findet er den Vorstoss von Maya Meier unnötig. Wie geht das zusammen? Dubach: «Die Eltern können heute schon problemlos einen um ein Jahr späteren Eintritt in den Kindergarten beantragen, wenn sie finden, ihr Kind sei noch nicht reif dafür. Die Schulpflege muss dem dann stattgeben.» Im Gesetz steht aber, die Schulpflege könne dem Gesuch stattgeben? Das schon, sagt Dubach. In der Praxis kenne er aber keinen Fall, bei dem ein Gesuch wegen fehlender Reife abgelehnt wurde: «Das Problem besteht wohl nur in der Theorie – zumal es ja auch noch die Möglichkeit der privaten Schulung gibt.»
Was aber nicht gehe, so Dubach, sei, ein Kind einfach einige Monate später in den Kindergarten zu schicken oder einzuschulen: «Das brächte enorm viel Unruhe in die Klasse, würde niemandem nützen. Zudem dauert die Schulpflicht elf Jahre, nicht zehndreiviertel» Dubach sieht das Problem eher in umgekehrter Richtung, nämlich dass Eltern oft auf dem Kindergarteneintritt mit vier Jahren beharren, auch wenn die Schulpflege im Einzelfall abrät. Konsequenterweise fordert er, dass künftig auch die Schulpflege ein Kind um ein Jahr zurückstellen können soll.
Lösung für 15-Jährige angehen
Auch das Problem mit 15-Jährigen, die eine Lehrstelle antreten wollen und das aus rechtlichen Gründen nicht können, komme bald auf uns zu, sagt Dubach: «Jugendliche, die ein Schuljahr übersprungen haben und als 15-jährige eine Lehrstelle suchen, müssen dann ein Jahr warten. Das geht nicht. Da müssen wir das Gesetz anpassen.»