
Die erste Aargauer SVP-Nationalrätin tritt ab: «Meine Nachfolge ist in guten Händen»
Als die Schweiz am 20. Oktober gewählt hat, stand Sylvia Flückiger zum ersten Mal seit zwanzig Jahren auf keiner Kandidierenden-Liste. Mitgezittert hat sie trotzdem – und als dann klar war, dass Martina Bircher die Wahl in den Nationalrat geschafft hatte, hat sie Luftsprünge gemacht. Dass eine SVP-Frau gewählt wird, hatte sich Sylvia Flückiger gewünscht – und vielleicht werden es, nach den zweiten Wahlgängen für Stände- und Regierungsrat gar zwei sein. So verabschiedet sich Flückiger beruhigt in den Ruhestand, denn sie weiss: «Meine Nachfolge ist in guten Händen.» Als sie 2007 im dritten Anlauf in den Nationalrat gewählt wurde, war sie die einzige Frau der sechs- bis siebenköpfigen aargauischen SVP-Delegation, und das sollte bis zum letzten Wahlsonntag so bleiben.
Die Frauen sichtbarer zu machen, ist Flückiger ein besonderes Anliegen. «Bei meiner Berufswahl sagte meine Grossmutter noch, ich würde ja sowieso einmal heiraten. Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen – zum Glück», so die 67-Jährige. Sie begrüsse es, dass es inzwischen für Frauen selbstverständlicher ist, Karriere zu machen: «Wegen unterschiedlicher Sichtweisen funktionieren gemischte Gremien besser als reine Männerteams. Ich habe diese Erfahrung schon oft gemacht.» Schon bald werde sich aber die Frage ob Frau oder Mann nicht mehr stellen, davon ist Sylvia Flückiger überzeugt.
Die Fraktion war wie eine Schulklasse
Am 27. September hatte sie ihre letzte Sitzung mit dem Nationalrat. «Der Rücktritt fühlt sich richtig an», sagt Flückiger. Ihr Plan sei immer gewesen, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen und rechtzeitig jüngeren Frauen eine Chance zu geben, in Bern zu politisieren.
Amtsmüde ist sie auch nach zwölf Jahren in Bundesbern nicht geworden. «Ich bin bis zum Schluss mit Ehrfurcht und Verantwortungsbewusstsein an die Sitzungen im Bundeshaus gegangen, um dort meine Wählerschaft zu vertreten, diesen Respekt habe ich nie verloren», sagt Flückiger. Die Augen der Politikerin leuchten, wenn sie über ihre Zeit im Parlament spricht. Es fällt leicht, ihr zu glauben, dass sie dort gute Jahre erlebt hat – entsprechend schwingt in ihren Erzählungen ein wenig Wehmut mit.
Die SVP-Fraktion habe für sie den Charakter und die Dynamik einer grossen Schulklasse gehabt. «Man war politisch nicht immer einer Meinung, das liegt in der Natur der Sache, aber man hat zusammengehalten und sich auf die grossen Linien fokussiert. Wir waren alle Kolleginnen und Kollegen, ich werde sie sicher vermissen.» Aber auch mit den anderen Parlamentarierinnen und Parlamentariern habe sie stets ein gutes Verhältnis gepflegt. «Wenn ich im Bundeshaus mit jemandem einen Kaffee trinke, spielen unsere politischen Haltungen keine Rolle.»
Sylvia Flückiger war in ihrer ganzen Zeit im Nationalrat in der Wirtschaftskommission tätig. Selber Unternehmerin – sie hat mit ihrem Mann Hanspeter Flückiger 1991 die Flückiger Holz AG in Schöftland gegründet – hat sie sich für die Anliegen des Gewerbes und der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) eingesetzt.
Als grössten Erfolg bezeichnet sie denn auch die Revision des öffentlichen Beschaffungswesens. «Wenn unsere Unternehmen stark sind, geht es auch der Schweiz gut, dazu brauchen sie auch die Aufträge der öffentlichen Hand», sagt sie. Die Unternehmen zu stärken, erachtet Flückiger deshalb als zentral. Da 20 Prozent der öffentlichen Aufträge vom Bund und 80 Prozent von den Kantonen vergeben werden, werde sie sich weiterhin dafür einsetzen, dass die öffentliche Hand ihre Verantwortung wahrnimmt, auch im Aargau. Dies allerdings nicht mehr als Politikerin, sondern als Präsidentin der Holzwirtschaft Schweiz (Lignum) und als Vorstandsmitglied des Schweizerischen Gewerbeverbandes.
Chance für Regierungsrat zum falschen Zeitpunkt
Die Zeit, als Sylvia Flückiger im Kanton politisiert hat, ist indes schon lange vorbei, sie war Grossrätin von 2000 bis 2008. Just als sie nach Bern gewählt wurde, trat Ernst Hasler als SVP-Regierungsrat zurück. «Das wäre eigentlich meine grosse Chance gewesen. Das Amt des Regierungsrates habe ich immer als interessant und herausfordernd gewertet», sagt sie. Zu dieser Zeit war sie aber im eigenen Unternehmen präsent und hat sich darum gegen eine Kandidatur und für den Nationalrat entschieden.
Gerne aber hätte Sylvia Flückiger 2012 das Präsidium des Schweizerischen Gewerbeverbandes übernommen. Sie zog schliesslich zugunsten von Parteikollege Jean-François Rime ihre Kandidatur wieder zurück, um das Präsidium für die SVP zu sichern, denn: «Die Zeit war noch nicht reif für eine erfolgreiche Frauen-Kandidatur.»
Stattdessen ist Flückiger im Vorstand des Verbands geblieben. Sie könnte sich im nächsten Frühling noch einmal wählen lassen, das müsse sie sich noch überlegen. Auch hier spielt mit, dass sich Flückiger eine Nachfolgerin wünscht. «Es ist mir ein wichtiges Anliegen, dass auch im Gewerbeverband nach meiner Demission wieder eine Frau Einsitz nehmen kann, denn wir sind heute nur zwei Frauen in diesem Vorstand», erklärt sie.
Die SVP-Nationalrätin als Frauenförderin? So sagt es Sylvia Flückiger dann doch nicht. «Frauen müssen nicht gefördert werden, sie sind heute gut ausgebildet und wissen, was sie wollen», betont sie.
Neuer Lebensabschnitt mit dem Ehemann
Vor einigen Monaten haben Flückigers ihr Unternehmen einem Nachfolger übergeben. Hanspeter Flückiger arbeitet noch in Teilzeit für die Flückiger Holz AG. Sie freue sich darauf, jetzt mit ihm einen neuen Lebensabschnitt zu gestalten, so Sylvia Flückiger. «Ich würde meinen Mann wie vor 41 Jahren sofort wieder heiraten. Wir sind schon das ganze Leben ein wunderbares Team, ich habe das grosse Glück, eine wunderbare Familie zu haben», sagt die Mutter zweier Söhne. Ein Herzensanliegen sei es, einen Tangotanzkurs mit dem Ehemann zu besuchen. Auch ein wenig reisen will sie, dafür habe es in den letzten Jahren zeitlich nur selten gereicht.
«Zudem möchte ich endlich lernen, mit dem Jagdhorn zu musizieren.» Als Pächterin im Revier in Schöftland ist die Jagd eine weitere Passion im Leben von Sylvia Flückiger. Auch in dieser Männerdomäne konnte sich die zierliche Frau behaupten. «Am Anfang waren die Frauen unter den Jägern eher selten, aber heute gibt es immer mehr Frauen, die sich der Prüfung stellen.»
Sylvia Flückiger geht die Energie nur selten aus. Ihre Hobbys umfassen ihren Garten und das Mountainbike-Fahren (immer noch ohne «E», wie sie betont). Das Langstrecken-Laufen, das sie sehr geprägt habe, musste sie bereits vor Jahren aufgeben. «Man wird älter und das Knie will nicht mehr so recht. Dass ich ein ausdauernder Mensch bin, hat mir in der Politik aber oft geholfen.»
Was gibt die langjährige Politikerin ihren Nachfolgerinnen mit auf den Weg? «Bleibt immer am Ball, seid keine Mimosen, steht bei Niederlagen wieder auf und macht weiter», sagt sie, denn: «Es ist ein Privileg, Nationalrätin zu sein und für unsere Bürgerinnen und Bürger und für unser wunderbares Land einzustehen.»