
Die Öko-Frage: Die Aargauer Freisinnigen stehen vor einer Zerreissprobe

Sabina Freiermuth übernimmt aller Voraussicht nach am Dienstag das Präsidium.
Lukas Pfisterer ist noch bis heute um Mitternacht Präsident der Aargauer FDP, danach übernimmt aller Voraussicht nach Sabina Freiermuth. Zwar muss die Zofingerin noch gewählt werden, das dürfte aber reine Formsache sein: Freiermuth ist die einzige von der Geschäftsleitung vorgeschlagene Kandidatin; meldet sich heute Abend nicht noch jemand spontan, so wird die jetzige Fraktionspräsidentin im Grossen Rat die Partei ab morgen Mittwoch führen.

Lukas Pfisterer führt am Dienstag zum letzten mal durch den Parteitag. Er war vier Jahre lang Präsident der Aargauer FDP. (11.02.2021)
Der Parteitag findet pandemiebedingt online statt. Nur Mitglieder des Präsidiums und die Referenten des Abends sind in Aarau vor Ort. Er hätte es sich anders gewünscht, meint Pfisterer, auch weil die Versammlung sein letzter Akt als Präsident ist. Der Austausch mit den Mitgliedern fehle ihm, aber: «Es geht nicht um mich.»
Tatsächlich ist die Traktandenliste nahrhaft, denn die Freisinnigen fassen heute Abend die Parolen für die Abstimmungen vom 13. Juni. Und hier haben sie, im Gegensatz zur Präsidiumsfrage, Diskussionsbedarf. Insbesondere bei den Ökologie-Vorlagen Trinkwasser-Initiative und CO2-Gesetz sind sich die Aargauer Freisinnigen uneins, entsprechend werden die Abstimmungsempfehlungen mit Spannung erwartet.
Jauslin dafür, Burkart dagegen
Für das CO2-Gesetz hat die FDP-Schweiz im letzten Oktober die Ja-Parole beschlossen und damit ihren 2019 eingeschlagenen Kurs für mehr Ökologie bestätigt. Das Klima solle mit einem «freisinnigen Rezept aus Eigenverantwortung, Innovation und Kostenwahrheit geschützt werden», hielt die Partei nach der Parolenfassung fest. Die FDP Aargau entscheidet heute also über nicht weniger, als ob sie den offensiven Klimakurs der Mutterpartei mitträgt.

Matthias Samuel Jauslin, Nationalrat FDP. Er setzt sich für das CO2-Gesetz und für die Trinkwasser-Initiative ein.
Nationalrat Matthias Jauslin ist hier auf Linie von Petra Gössi, Chefin der FDP Schweiz. Er ist im Co-Präsidium des kantonalen Ja-Komitees, ebenso Grossrätin Suzanne Marclay. Bei der Vorstellung des Komitees sagte Jauslin, Klimapolitik müsse ökologisch nachhaltig, sozial verträglich, aber auch wirtschaftlich attraktiv sein.
Doch auch die Gegenseite formiert sich. Der Turgemer FDP-Grossrat Adrian Schoop ist in einem der Gegenkomitees, ebenso mehrere Aargauer Jungfreisinnige. Ständerat Thierry Burkart oder Nationalrätin Maja Riniker sind (noch) in keinem Komitee organisiert, Burkart hatte sich aber nach der Parolenfassung der FDP-Schweiz gegen deren Position ausgesprochen.

Jeanine Glarner, Grossrätin FDP, setzt sich gegen das CO2-Gesetz ein.
Um den Mitgliedern den Entscheid zu erleichtern, findet am Parteitag ein Streitgespräch zum Thema statt. Wie deutlich die Meinungen in der Partei auseinandergehen, zeigt schon die Besetzung des Podiums, denn sowohl die Befürworter als auch die Gegenseite werden von Parteimitgliedern verteidigt – das ist ungewöhnlich. Unter der Leitung von Lukas Pfisterer kreuzen Matthias Jauslin und Grossrätin Jeanine Glarner die Klingen. Diese hatte ihre Haltung ebenfalls nach der Parolenfassung der FDP-Schweiz ausgedrückt: Das Gesetz bringe höhere Abgaben und mehr Bürokratie, bleibe im Kampf gegen den Klimawandel aber wirkungslos. «Liberale Klimapolitik sieht anders aus.»
Pfisterer will keine Stimmfreigabe
Parteipräsident Pfisterer wagt keine Prognose, wie sich die Aargauer Freisinnigen entscheiden werden. «Die Position der FDP Schweiz ist klar; wie die Kantonalpartei zum CO2-Gesetz steht, werden wir sehen», sagt er. Sie habe schliesslich das Energiegesetz mit grosser Mehrheit unterstützt, es sei mit Stimmen auf beiden Seiten zu rechnen. Pfisterer ist es ein Anliegen, dass die Partei Ja oder Nein sagt. «Stimmfreigabe zeigt keine klare Haltung, das würde der Relevanz des Themas nicht gerecht.» Die Jungfreisinnigen sehen das anders: Sie haben Stimmfreigabe beschlossen.
Etwas abschätzbarer scheint die Lage bei der Trinkwasser-Initiative: So wie er die Stimmung trotz fehlender Austauschmöglichkeiten wahrnehme, rechne er «eher mit Ablehnung», sagt Pfisterer, das hange aber auch von der Mobilisierung ab. Ständerat Burkart ist Co-Präsident des Nein-Komitees. Die Grossratsmitglieder Karin Faes und Adrian Meier sind im Komitee, der einzige Bauer der FDP-Grossratsfraktion, Beat Käser, lehnt die Initiative ebenfalls ab. Damit sind sie alle auf dem Kurs der Mutterpartei.

Liberales Komitee Aargau für die Trinkwasserinitiative (v.l.) Gian von Planta, Grossrat glp, Benjamin Riva, Jungfreisinnige, Christian Minder, Grossrat EVP, Yannick Berner, Grossrat FDP, und Roman Mäder, Trinkwasserspezialist, Birr, 7. Mai 2021.
Allerdings unterstützte ein guter Teil der schweizerischen Delegierten die Trinkwasser-Initiative, darunter Nationalrat Jauslin. Er hat heute Grossrat Yannick Berner und die Jungfreisinnigen auf seiner Seite. «Die Unterstützung der FDP Aargau hätte eine gute Symbolwirkung», sagt der Jungfreisinnige Martin Mennet. Doch er hegt leise Zweifel, dass sie sich überzeugen lässt. «Die Gegenseite ist stark», meint er.
Geschäftsstelle erwartet Grossaufmarsch
Die Freisinnigen wissen um die Bedeutung dieses Parteitags, Geschäftsführer Stefan Huwyler erwartet einen Grossaufmarsch. Bis am Montagnachmittag haben sich über 150 Mitglieder für die Versammlung angemeldet. So viele haben zuletzt im August 2019 bei der Nominierung von Jeanine Glarner für die Regierungsratskandidatur teilgenommen. Am Parteitag vom letzten Oktober, der ebenfalls online durchgeführt wurde, haben 50 Mitglieder mitgemacht.