
Dioxin aus Kehrichtverbrennung findet sich auch in Aargauer Böden – wo giftige Stoffe gefunden wurden
Bereits im Frühling sperrte die Stadt Lausanne mehrere Parks, Sportanlagen oder Spielplätze, weil dort hohe Dioxinwerte gemessen worden waren. Wie gross das Ausmass der Bodenbelastung mit dem hochgiftigen Stoff tatsächlich ist, wurde aber erst am Montag publik. Bis zu 640 Nanogramm Dioxine pro Kilogramm Boden wurden in den am stärksten Gebieten gemessen. Der Prüfwert für Dioxin liegt bei 20 Nanogramm, ab dieser Konzentration können Menschen, Tiere und Pflanzen gefährdet sein.
Grund für die hohen Dioxinwerte in Lausanne ist die ehemalige Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) Vallon, die bis 2005 betrieben wurde. Wie der «Tages-Anzeiger» berichtet, wollen nun auch andere Kantone rund um ihre Anlagen den Boden auf Dioxin untersuchen. Peter Kuhn, Leiter der Abteilung für Umwelt des Kantons Aargau, sagt dazu:
«Im Rahmen der regelmässigen Untersuchungen bei unserem kantonalen Bodenmessnetz haben wir geplant, bei drei oder vier Messstellen im Umfeld der KVA Buchs auch Dioxine zu bestimmen.»
Diese Messungen sollen laut Kuhn voraussichtlich im kommenden Jahr stattfinden.
SP-Grossrat verlangt Auskunft über Schadstoffbelastung
Bereits im August verlangte SP-Grossrat Martin Brügger vom Regierungsrat Auskunft darüber, ob in der Umgebung der Anlage Bodenproben genommen werden. Brügger fragte, «wie weit die Schadstoffe aus der Startphase der KVA heute noch messbare schädliche Rückstände auf landwirtschaftlichen Produktionsflächen und im Trinkwasser aufweisen». Zuvor hatte der «Tages-Anzeiger» berichtet, dass in den 1970er-Jahren in Suhr mehrere Kühe eines Bauern verendet seien.

SP-Grossrat Martin Brügger will Klarheit zur Schadstoffbelastung.
Brügger ist der Ansicht, der Niederschlag von Schadstoffen der Kehrichtverbrennungsanlage habe nach 1973 «mitunter das Landwirtschaftsland und die Tiere des Biobetriebs Breiteloohof Suhr vergiftet». Im gleichen Artikel sagte Peter Kuhn von der Umweltabteilung, in den 1990er-Jahren hätten Analysen bei einer anderen KVA im Aargau nur niedrige Werte ergeben. Weiter sagte er: «Aus heutiger Sicht besteht kein Handlungs- respektive Untersuchungsbedarf bezüglich Umfeld unserer Kehrichtverbrennungsanlagen.» Ob dies wirklich zutrifft, ist offen, der Vorstoss von SP-Grossrat Brügger liegt beim Regierungsrat, seine Fragen zur Bodenbelastung sind noch nicht beantwortet.
Dioxinwerte in regelmässigen Bodenuntersuchungen nicht ausgewiesen
Auch die Ergebnisse von Analysen an Standorten des kantonales Bodenbeobachtungsnetzes, die auf der Website des Kantons verfügbar sind, bringen mit Blick auf Dioxin keine Klarheit. Im Jahr 1991 wurden total 76 Standorte (53 Wald, 23 Landwirtschaft) untersucht, im Jahr 1996 wurden die Werte von 38 Standorten (16 Wald, 22 Landwirtschaft) des kantonalen Bodenbeobachtungsnetzes ausgewertet. Dabei fanden sich an mehreren Standorten rund um die drei Kehrichtverbrennungsanlagen in Buchs, Oftringen und Turgi Schadstoffe im Boden (siehe unten) – allerdings enthalten die Fachberichte keine Angaben zur Dioxinbelastung.
Recherchen der AZ zeigen nun aber erstmals, bei welchen Kehrichtverbrennungsanlagen die Bodenproben genommen wurden und wie hoch die Dioxinbelastung war. Peter Kuhn von der kantonalen Umweltabteilung sagt auf Anfrage: «Um die KVA Buchs wurde der Boden im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung für die Erweiterung der Anlage auf Dioxine überprüft.»
Der entsprechende Bericht stammt aus dem Jahr 1992, die gemessenen Werte lagen in Hauptwindrichtung bei rund 11 Nanogramm pro Kilogramm, in Nebenwindrichtung bei rund 4 Nanogramm. Kuhn betont: «Damit lag die Belastung deutlich unter dem heutigen Prüfwert gemäss Verordnung über Belastungen des Bodens.»
Zu hohe Werte rund um Kehrichtverbrennungsanlage Turgi in 1990er-Jahren
Rund um die Kehrichtverbrennungsanlage Turgi wurde der Boden in den 1990er-Jahren im Rahmen des Programms «Embo» (Emittentenbezogene Bodenuntersuchungen im Kanton Aargau) ebenfalls auf Dioxin analysiert. Bei zwei von acht Proben wurde der Prüfwert von 20 Nanogramm pro Kilogramm überschritten, die Belastung lag bei 29 und 34 Nanogramm. Die Werte der übrigen sechs Proben lagen deutlich unter dem Prüfwert, wie Kuhn ausführt. Der höchste Wert wurde in der Nähe eines anderen Industriestandortes registriert, rund zwei Kilometer von der Kehrichtverbrennungsanlage entfernt.
Auf die Frage, wie der Kanton auf die Überschreitung des Dioxin-Prüfwerts bei der KVA Turgi reagiert habe, sagt Kuhn: «Aufgrund der gemessenen Resultate musste von keiner Gefährdung ausgegangen werden, deshalb gab es keine Empfehlungen an die Bevölkerung.»
Damals wurden die Bodenproben an der Oberfläche genommen, heute ist dafür eine Tiefe von 20 Zentimetern vorgeschrieben. Deshalb könne davon ausgegangen werden, dass die Belastung an den beiden Standorten, wo in den 1990er-Jahren die höchsten Dioxinwerte gemessen wurden, heute unter dem geltenden Prüfwert liegen würde.
Bodenbelastung: Zeitlicher Abstand zwischen Untersuchungen wird länger
Das kantonale Bodenbeobachtungsnetz (Kabo) gibt in verschiedenen Untersuchungen, die periodisch wiederholt werden, Auskunft über Höhe und Veränderungen der Schadstoffbelastung der Aargauer Böden. Bisher wurden gemäss Website des Kantons drei Untersuchungen durchgeführt: die erste im Jahr 1991, die zweite im Jahr 1996 und die dritte im Jahr 2006. Die nächste Analyse ist 2022 vorgesehen, also 16 Jahre nach der letzten Untersuchung.
Warum werden die zeitlichen Intervalle zwischen den Auswertungen immer länger? «Anfänglich wurden die Abstände kürzer gewählt, um mögliche Veränderungen feststellen zu können», sagt Peter Kuhn. Aufgrund der bisherigen Messdaten könnten die Untersuchungen nun weniger oft durchgeführt werden, da im Lauf der Zeit nur geringe Veränderungen der Schadstoffbelastung erwartet würden.
Blei, Cadmium, Quecksilber: Schadstoffe aus der Kehrichtverbrennung
Die regelmässigen Untersuchungen zeigen aber: Rund um die drei Kehrichtverbrennungsanlagen (Buchs, Oftringen, Turgi) ist der Boden mit Schadstoffen belastet. Dabei wurden in den 90er-Jahren an mehreren Standorten die Grenzwerte überschritten, wie aus den Fachberichten zu den Bodenanalysen hervorgeht.
Bei einer Messstelle in Turgi lag die Belastung mit dem Schwermetall Cadmium im Jahr 1991 über dem Richtwert. «Als Emittent wird die Kehrichtverbrennungsanlage in Turgi vermutet», heisst es im Bericht. Bei der zweiten Untersuchung im Jahr 1996 hatte der Cadmiumgehalt deutlich abgenommen, lag aber immer noch über dem Richtwert. Die Experten kamen deshalb zum Schluss: «Der Standort ist weiter zu beobachten.»
Bei einem Messstandort in Gebenstorf, der Nachbargemeinde von Turgi, zeigten sich 1991 und 1996 erhöhte Quecksilberwerte. «Als Verursacherin kommt die Kehrichtverbrennungsanlage in Frage», heisst es dazu im Fachbericht – auch dieser Standort soll weiter beobachtet werden.
Bei einer Messstelle in Suhr wurden im Jahr 1991 erhöhte Werte von Blei, Cadmium und Quecksilber festgestellt, wobei aber der Gehalt an Quecksilber unterhalb des halben Richtwertes liegt. «Zu einem Teil könnten dafür die Emissionen der Kehrichtverbrennungsanlage in Buchs verantwortlich sein, zu einem anderen Teil der nahe vorbeiführende Strassenverkehr», heisst es im Fachbericht.
Bei der Bodenuntersuchung im Jahr 1991 wurden bei einer Messstelle in Oftringen die Richtwerte für Blei, Zink und Nickel überschritten, zudem war auch der Quecksilbergehalt erhöht. Die Ursache dieser Belastung liegt laut Fachbericht «bei den Emissionen der nahe gelegenen Autobahn und der Kehrichtverbrennungsanlage».
Grenzwerte für die Bodenbelastung mit Dioxin
Richtwert: 5 Nanogramm Dioxin pro Kilo Boden
Wenn der Richtwert überschritten wird, prüfen die Kantone mögliche Ursachen der Belastungen. Von einer Gefährdung für Menschen, Tiere und Pflanzen muss nicht ausgegangen werden.
Prüfwert: 20 Nanogramm Dioxin pro Kilo Boden
Bei einer Überschreitung des Prüfwerts klärt der Kanton ab, ob die Belastung des Bodens Menschen, Tiere oder Pflanzen gefährdet. Bei konkreter Gefährdung wird die Nutzung des Bodens so weit eingeschränkt, dass die Gefährdung nicht mehr besteht. Dies gilt für empfindliche Nutzungen (zum Beispiel: Kinderspielplatz), wenig empfindliche Nutzungen (zum Beispiel: Grünrabatte im städtischen Raum) sind weiter möglich.
Sanierungswert: 100 bis 1000 Nanogramm Dioxin pro Kilo Boden
Der Sanierungswert liegt für Kinderspielplätze bei 100 Nanogramm – dies, weil Kinder dort Erde direkt aufnehmen können und darum besonders gefährdet sind. Für landwirtschaftliche Flächen liegt der Sanierungswert bei 1000 Nanogramm, dort ist also eine zehnmal höhere Konzentration zulässig. Wird der Sanierungswert überschritten, ist am betreffenden Standort keine Bodennutzung mehr möglich.