
Dramatisch gesunkener Preis für Altkarton: Müssen auch die Aargauer bald für die Entsorgung bezahlen?
Was der Handelskrieg mit dem Kartonpreis zu tun hat
Warum ist der Preis für Altkarton derart im Keller? Schuld ist keine Entwicklung in der Schweiz, sondern die Weltpolitik: Der Handelskrieg zwischen den USA und China führt dazu, dass die Rohstoffpreise für Recyclinggüter drastisch gesunken sind. China hat den Import von Altkarton und Altpapier massiv zurückgefahren. Gegenüber dem «Blick» sagt Thomas Bähler vom Schweizer Verband für Stahl, Metall und Papier-Recycling: «2017 hatte China noch rund 29 Millionen Tonnen Altpapier und Altkarton importiert, 2019 sind es gerade mal noch zehn Millionen.» Als Folge bleiben sowohl die USA als auch Europa auf ihrem Altpapier und Altkarton sitzen, das Angebot übersteigt die Nachfrage bei weitem. Deswegen sinken derzeit auch die Preise. Schon vergangenes Jahr stoppte China den Import von rezykliertem Papier. Damals sprangen Länder wie Indien oder Vietnam als Abnehmer ein. (frh)
Karton ist nichts mehr wert, die Preise sind im freien Fall. Haben Recyclingfirmen für die Tonne Altkarton früher noch ein paar Franken bekommen, müssen sie ihren Abnehmern seit einigen Monaten teilweise draufzahlen.
Diese Kosten werden jetzt auf die Verbraucher überwälzt: Einige Entsorgungszentren in der Schweiz haben Gebühren eingeführt, wie verschiedene Medien Anfang Woche berichteten. Eine Umfrage bei grösseren Recyclinghöfen im Aargau zeigt: Auch hier könnten die Kunden schon sehr bald zur Kasse gebeten werden, wenn sie Altkarton entsorgen wollen.
Vor einem Jahr hat die Gemeinde Oftringen die Zahlungen ans Recycling- und Entsorgungscenter Wiggertal eingestellt. Das blieb nicht folgenlos: Wer im Oftringer Recyclinghof entsorgt, muss seit 1. Januar 2019 eine pauschale Jahresvignette lösen.
Diese ist auf dieses Jahr gar teurer geworden: «Nachdem sich die Problematik im November verschärft hat, haben wir den Preis der Vignette von 10 auf 15 Franken erhöht», sagt Geschäftsleiter Erich Müller.
Wie kam das bei den Kunden an? «Am Anfang war es schwer, wir mussten lang und breit erklären, dass der Wert von Karton auf unter Null gefallen ist.» Nun, da das Thema medial präsenter ist, sei auch das Verständnis grösser. Mit der Vignette könne man den Altkarton subventionieren und für das nächste halbe Jahr auf eine Gebühr verzichten, sagt Müller.
Das kann sich allerdings schnell ändern: «Sollte der Preis für Karton über die Jahresmitte tief bleiben, sehen wir uns gezwungen, doch Geld zu verlangen für die Entsorgung.»
In Zofingen, unweit von Oftringen, müssen seit Dezember Industriekunden zahlen. Für grosse Abfallmengen verrechnet das dort angesiedelte Gloor Recycling Center 35 Franken pro Tonne. «Wir haben lange zugewartet», sagt Geschäftsführer Dieter Gloor.
Schliesslich sei die Massnahme unausweichlich geworden. «Die Situation ist seit Monaten schlecht.» Doch nun könne man die betrieblichen Aufwände immerhin knapp ausgleichen. Das bedeutet auch: Der Normalverbraucher bleibt im Gloor Recycling Center vorerst von Gebühren verschont. «In unserer öffentlichen Sammelstelle nehmen wir den Karton noch immer gratis an», sagt Gloor.
Auch im Entsorgungszentrum «Brings» in Turgi kommt man ohne Gebühren aus. «Aber man macht sich als Sammelstelle natürlich Gedanken», sagt Thomas Benz von der Geschäftsleitung der zuständigen Obrist Transport + Recycling AG.
Der Preiszerfall halte schon länger an, und die Aussichten seien nicht gerade rosig. Auch sie müssten für die Abgabe beim Verwerter draufzahlen, erklärt Benz. «Die Kosten für den Sammelcontainer und die Transporte sind bei weitem nicht mehr gedeckt.» Benz sagt, man versuche durch kurze Vertriebswege zu sparen und das Beste aus der Lage zu machen. Mehr könnten sie nicht tun: «Wir sind wie alle dem Weltmarkt ausgeliefert.»
Karin Bertschi fordert: Geduldig und grosszügig sein
Jahrelang galt in der Schweiz die eiserne Regel: Altkarton, Altpapier, Altglas und Altmetall darf man an Sammelstellen zurückgeben – zum Nulltarif. Dass es jetzt Gebühren auf Karton geben soll, nervt die Verbraucher.
Man stösst auf viel Unmut, wenn man durch die Kommentarspalten von Newsportalen scrollt. Die meisten können nicht verstehen, dass sie auch für kleine Abladungen ins Portemonnaie greifen müssen. In Grenchen SO etwa kostet die Entsorgung in jedem Fall drei Franken, egal, wie viel Karton abgegeben wird.
Karin Bertschi führt mit ihren Geschwistern die Recycling-Paradies AG mit Standorten in Spreitenbach, Hunzenschwil, Muri und Reinach. Sie kann den Ärger nachvollziehen: «Der Durchschnittskunde bringt Eierschachteln, Guetzlipäckli und kleine Kartonboxen, rund 200 bis 500 Gramm Karton. Da fühlt man sich abgestraft und denkt sich: Wieso soll ich dafür zahlen?»
Karin Bertschi (hier mit Sammelstellenbetreuer Michael Rohr) leitet vier Recyclinghöfe im Kanton.
© Sandra Ardizzone
Der eigentlich verwertbare Karton könnte nun vermehrt im Kehricht landen oder im Wald weggeworfen werden, fürchtet Bertschi. «Das schadet der Umwelt und ist schlecht für die Recycling-Quote.»
Für jedes Kilo Karton legt das Recycling-Paradies derzeit Geld drauf.
Gebühren aber will Bertschi keine erheben. Es würde ein falsches Zeichen setzen, findet sie: «Jahrelang hat man als Sammelstelle mit Karton die Kosten decken können, oder sogar daran verdient. Zum ersten Mal seit langem schlägt jetzt die Situation um.»
Bertschi mahnt zu Geduld und einer Prise Grosszügigkeit. Doch auch ihre Recyclinghöfe sind vor der Marktdynamik nicht gefeit. Nähmen die Zuzahlungen bis zum Sommer dramatisch zu, werde sie im Familienrat Lösungen diskutieren müssen, räumt Bertschi ein. Wohl oder übel. «Ich hoffe natürlich auf Besserung.»
In einer Gemeinde wurde schon die Grüngutmarke teurer
23 private Recyclinghöfe sind gemäss der Abteilung für Umwelt im Aargau aktuell registriert. Der instabile Rohstoffpreis könnte mittelfristig aber nicht nur sie treffen. Auch die Gemeinden selbst werden reagieren müssen. Aargauer Gemeinden haben auf Kartonabfall aus Haushaltungen ein Entsorgungsmonopol.
Das heisst, es ist ihnen freigestellt, wie sie die Abfuhr organisieren. In einigen Gemeinden wird der Karton regelmässig vor der Haustür oder am Strassenrand abgeholt, andere betreiben eigene Sammelstellen oder lagern an private Unternehmen aus. Die Kosten für die Entsorgung werden in der Regel durch die Abfallgrundgebühr gedeckt.
«Für die Gemeinden sollte das eine Nullrechnung geben», sagt Walter Gloor, Präsident des Aargauischen Bauverwalterverbands. Manchmal aber geht die Rechnung nicht mehr auf: Dann, wenn die Einnahmen durch die Wertstoffe zu wenig Ertrag abwerfen.
In Rothrist etwa, wo Gloor die Abteilung Planung und Bau leitet, wurden deshalb letztes Jahr die Grüngutmarken teurer. Gloor kann sich gut vorstellen, dass immer mehr Gemeinden ihr Abfallreglement anpassen. Sprich: Es droht eine Erhöhung der Abfallgrundgebühren. «Fällt der Preis auch bei Altmetall, Glas oder Papier, wird das bestimmt zum Thema», sagt Gloor.
Letztlich müssen die Aargauer damit rechnen, dass die Zeit der kostenlosen Kartonrückgabe nicht mehr ewig anhalten dürfte. Die Einbussen im Rohstoffgeschäft werden Folgen für die Verbraucher haben – ob nun in Form der höheren Grundgebühr oder direkt vor Ort beim Besuch der Sammelstelle.