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Erster Prozesstag zum Horror-Crash vor Bözbergtunnel: Opferanwalt fordert neues Gutachten

Die drei Insassen im Renault verstarben auf der Unfallstelle.
Bei den Todesopfern handelt es sich um drei Erwachsene aus dem Baselbiet.
Der Porsche hatte den Renault gerammt und diesen so in einen Lastwagen geschoben.
Der Bözbergtunnel war mehrere Stunden lang gesperrt.
Der weisse Porsche des Unfallverursachers, der viel zu schnell unterwegs war.
Der Porsche-Fahrer blieb unverletzt, das Fahrzeug erleidet einen Totalschaden.
Der Renault – ein Totalschaden
Der rote Renault
Der Sattelschlepper
Die Rettungskräfte sind hier noch mit Bergungsarbeiten beschäftigt.
Die Kantonspolizei und die Ambulanz sind kurz nach dem schweren Unfall vor Ort.
Der Verkehr wurde über die Kantonsstrasse umgeleitet. Es kam zu kilometerlangen Staus.
Der Lenker des Porsche versuchte zu Fuss zu flüchten, wurde aber wenig später verhaftet.

Jeder Autofahrer kennt die Situation: Eine gesperrte Spur, die Fahrzeuge wechseln nach rechts, es entsteht stockender Kolonnenverkehr. So geschehen vor zwei Jahren, am 27. November 2019, auf der A3 vor dem Bözbergtunnel. Was dann passierte, beschreibt ein Zeuge so: «Links vor uns war eine Verkehrssignalisierung und ein Prellbock. Da nahm ich plötzlich im Seitenspiegel wahr, dass sich etwas schnell bewegt.»

Es war ein Porsche Cayenne, der mit 150 km/h über die gesperrte Spur raste. «Es war ein skurriler Moment, alles stand praktisch still, und dann ein so schnelles Auto.» Vor dem Prellbock zog der Porsche nach rechts in eine Lücke und steuerte wieder nach links, so dass er mit seiner Front direkt auf einen Renault Kadjar prallte. Dieser wurde ins Heck eines Anhängerzugs geschoben und regelrecht zerquetscht. Für die drei Insassen kam jede Hilfe zu spät.

Gerichtspräsident Sandro Rossi fragt den Zeugen, einen älteren Mann, was am Abend nach dem Unfall seine Gedanken waren. «Weil mein Vater bei einem Unfall starb, habe ich einen anderen Bezug zum Thema», sagt dieser. «Ich war mit meinen Gedanken bei den Angehörigen. Und ich war dankbar, es hätte auch mich erwischen können.»

War es ein 21-seitiger Abschiedsbrief?

Der Unfallfahrer, ein Montenegriner mit Wohnsitz im Aargau, blieb beim Horror-Crash wie durch ein Wunder unverletzt. Vor Gericht erklärt er, sich an einen Grossteil der Fahr nicht erinnern zu können. Ab Pratteln habe er ein Blackout. Obwohl Rossi intensiv nachfragt, und auf eine polizeiliche Einvernahme vom Dezember 2019 verweist, bei der sich der Beschuldigte sehr wohl erinnern konnte, bleiben viele Fragen unbeantwortet.

Zumindest wird klar, dass es hinter etliche Aussagen des Beschuldigten ein Fragezeichen zu setzen gilt. So äussert er sich in der Frage nach einer suizidalen Absicht klar: Niemals habe er den Wunsch gehabt, sich das Leben zu nehmen. Allerdings hatte er am Tag des Unfalls einen 21 Seiten langen Brief bei sich, in dem er sein Leben von Kindheit weg beschreibt und in dem es auch um eine angebliche Affäre seiner Ehefrau geht, mit der jetzt das Scheidungsverfahren läuft. «Ich habe den Brief für meine Kinder geschrieben, damit sie ihn irgendwann lesen können, und auch erfahren, was da mit ihrer Mutter war», begründet der Angeklagte. Warum er den Brief mit sich geführt habe, will Rossi wissen. «Damit die Kinder ihn nicht zuhause finden.» Seine Skepsis macht der Gerichtspräsident mit einer Anschlussfrage klar: «Tragen Sie heute auch einen 21-seitigen Brief bei sich?»

Auch seine Frau kann oder will nicht mehr Licht in die Sache bringen. Sie sagt, ihr Mann habe sich verfolgt gefühlt, habe ihr vorgeworfen, ihn zu betrügen, obwohl es dafür keinen Grund gegeben habe. Er habe sich aber nie umbringen wollen. Darauf wird im Saal eine Aufnahme abgespielt. Es ist der Notruf, den die Frau am 27. November abgesetzt hat: «Mein Mann hat mich angerufen. Er hat gesagt, er will sich umbringen.» Auf der Aufnahme macht die Frau einen ruhigen, fokussierten Eindruck. Auch Rossi sagt: «Es wirkt auf mich sehr gefasst, nüchtern und sachlich.» Sie erinnere sich nach wie vor nicht mehr daran, dass sie gesagt habe, ihr Mann wolle sich umbringen, so die Frau.

Gutachter stellt verminderte Schuldfähigkeit fest

Der Gutachter Thomas Knecht attestiert dem Beschuldigten mangelnde Kontrolle über seine Emotionalität. Die Trennung von der Frau habe zu einer Destabilisierung geführt. «Der Beschuldigte hätte auf der Strecke mehrmals abbremsen können. Irgendwann wurde jedoch der Platz und die Zeit zu knapp, um das Auto noch zu stoppen.» Sein Selbsterhaltungstrieb habe schliesslich überwogen. So habe der Beschuldigte erst im letzten Moment die Spur gewechselt, bevor er mit dem Signalisationsfahrzeug kollidiert wäre.

Im Gutachten ist von einer «mittelgradigen Verminderung der Schuldfähigkeit» die Rede. Martin Lutz, Vertreter eines Privatklägers, kritisiert dieses. Weil er hinter manchen der Befunde in Fragezeichen setze, stelle er den Antrag auf ein «Notgutachten». Ob dieser Beweisantrag genehmigt wird, entschieden die Richterinnen und Richter am Montagabend. Am Dienstag geht die Verhandlung in Hausen weiter, wir berichten wieder im Liveticker.