
Ein Neubau für psychisch kranke Straftäter als Antwort auf Ausbrüche in der Vergangenheit
Das Gericht kann neben Geld- oder Freiheitsstrafen auch stationäre Therapien anordnen. Diese Möglichkeit haben die Richter, wenn die Straftat einen direkten Zusammenhang mit der psychischen Störung eines Täters hat und eine Therapie das Rückfallrisiko senkt. Psychisch kranke Täter werden im Aargau in der Klinik für Forensische Psychiatrie in Königsfelden behandelt. 90 Prozent von ihnen leiden an einer Schizophrenie.
In den letzten Jahren machte die Klinik zweimal Schlagzeilen, weil Straftäter ausgebrochen waren. Im Mai 2016 öffnete Kris V. mit einem Werkzeug das Sicherheitsnetz vor dem Balkon und seilte sich ab. Der damals 22-Jährige war in der Klinik, weil er als 16-Jähriger eine Jugendliche mit einem Holzscheit erschlagen hatte. Im Januar 2018 gelang zwei weiteren Straftätern die Flucht.
Straftäter sollen sicherer untergebracht werden
Es habe sich gezeigt, dass die bestehende Infrastruktur für gefährliche Straftäter nicht genüge, sagte Justizdirektor Urs Hofmann gestern an einem Anlass der Psychiatrischen Dienste Aargau (PDAG). Als Reaktion auf die Ausbrüche haben die PDAG zwar bereits bauliche Massnahmen ergriffen und einen internen Sicherheitsdienst aufgebaut.
Doch das genügt längerfristig nicht, um dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung Rechnung zu tragen. Dazu kommt, dass es im Strafvollzugskonkordat der Nordwest- und Innerschweiz allgemein zu wenig Plätze für psychisch schwer kranke und gefährliche Straftäter gibt.
Deshalb entsteht auf dem Areal – unmittelbar vor dem jetzigen Pavillon – ein Erweiterungsbau mit 26 zusätzlichen Plätzen für solche Täter. Gestern war der Spatenstich. Ende 2021 soll der Erweiterungsbau bezugsbereit sein. Er kostet 30 Millionen Franken. Der Bund beteiligt sich mit 10 Millionen Franken an den Kosten.
Keine Abhängigkeit mehr vom Kanton Zürich
Das Projekt erfülle aus Sicht des Bundes alle Anforderungen und schaffe wichtige Plätze für psychisch kranke Straftäter, sagte Kurt Pfeuti vom Bundesamt für Justiz. Auch Benjamin Brägger, Sekretär des Strafvollzugskonkordats Nordwest- und Innerschweiz, ist glücklich, dass der Aargau «dieses wichtige Projekt gestemmt hat».
Die zusätzlichen Plätze würden eine Versorgungslücke schliessen und dafür sorgen, dass die Kantone im Konkordat nicht mehr abhängig vom Kanton Zürich seien, sondern über eigene Plätze verfügten.
Der Hochsicherheitstrakt wird an das bestehende Gebäude angeschlossen. Im neuen Gebäude gibt es eine Sicherheitsloge, die rund um die Uhr mit Mitarbeitenden des internen Sicherheitsdienstes besetzt ist. Auf der Triagestation werden einerseits neu eintretende Straftäter abgeklärt. Andererseits landen hier auch Täter, die ihre Strafe eigentlich im Gefängnis absitzen, wenn sie eine Krise haben – also zum Beispiel sich selber oder andere gefährden. In Königsfelden werden diese Täter stabilisiert und danach wieder ins Gefängnis zurückverlegt.
Der Fachkräftemangel als grosse Herausforderung
Das Sicherheitsaudit, das der PDAG-Verwaltungsrat bereits wenige Tage vor dem ersten Ausbruch in Auftrag gegeben hatte, habe gezeigt, dass es im Zusammenhang mit Notfällen aus Gefängnissen zu gefährlichen Situationen kommen könne, sagte Peter Wermuth, Chefarzt der Klinik für Forensische Psychiatrie. «Dass wir diese Patienten in Zukunft nur noch auf der besser gesicherten Triage-Station behandeln, ist ein grosser Fortschritt.»
Wenn der Erweiterungsbau in Betrieb ist, verfügen die PDAG über insgesamt 72 Plätze für psychisch kranke Straftäter (heute: 46 Plätze). Entsprechend hoch ist der Bedarf an zusätzlichen Mitarbeitenden. Das sei angesichts des «gravierenden Fachkräftemangels» ein grosses Thema, sagte Wermuth.
Bereits heute komme es vor, dass sich auf freie Oberarztstellen niemand bewerbe. Um dem Mangel entgegenzuwirken, investieren die PDAG in die Ausbildung. Zusammen mit der Fachhochschule Nordwestschweiz bieten sie voraussichtlich ab 2020/21 den CAS «Interprofessionelles Handeln in der Forensik» an.